Geflüchtete in Belarus: Lukaschenkos Escort-Service
Hunderte Geflüchtete lässt Lukaschenko momentan in die EU. Es ist eine gezielte Racheaktion als Reaktion auf Sanktionen gegen Belarus.
Hut ab, der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko ist offensichtlich lernfähig. Vorbild ist sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan. Der hatte seinerzeit ja vorgemacht, wie durch eine Grenzöffnung für Geflüchtete die EU effektiv unter Druck gesetzt werden kann. Warum da also nicht ein wenig abkupfern von Ankara. Praktischerweise steht Lukaschenko eine 680 Kilometer lange Grenze zu Litauen für seine menschenverachtenden Feldversuche zur Verfügung. Die Geflüchteten wollten ja nicht nach Belarus, sondern weiter in das aufgeklärte, warme und behagliche Europa. Daher werde Minsk sie nicht zurückhalten, sagte Lukaschenko vor ein paar Tagen und fand sich dabei wohl auch noch originell.
Bereits am 26. Mai war der Autokrat deutlich geworden. „Bis jetzt haben wir Migranten und Drogen gestoppt. Jetzt werdet Ihr selbst die Drogen fressen und die Migranten einfangen“, lautete seine Ansage an die EU. Den Worten folgen Taten, die besonders der Nachbar Litauen, seit 2004 Mitglied der EU, zu spüren bekommt. Seit Juni – und damit noch bevor Minsk ein Abkommen mit der EU über die Rücknahme von Geflüchteten einseitig aufgekündigte – verzeichnet Vilnius eine rasant anwachsende Anzahl illegaler Grenzübertritte.
Allein am 1. Juli wurden 150 Personen in Litauen aufgegriffen – mehr als in den vergangenen zwei Jahren zusammen. Insgesamt registrierte die litauische Polizei in der vergangenen Woche über 1.200 Grenzgänger. An diesem Montag entdeckte sie weitere 131, die nachts in einem grenznahen Wald umherirrten. Die Menschen kommen aus Irak, Syrien und Afghanistan, aber auch Geflüchtete aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien sowie aus Marokko, Gambia und dem Jemen sind dabei. Die meisten haben keine Papiere bei sich.
Im Shuttle bis zur Grenze
Die litauischen Behörden haben einige interessante Fakten zusammen getragen. So gibt es ganz plötzlich viel mehr Direktflüge von Bagdad und Istanbul nach Minsk. Bei der Anbahnung der Exkursionen sind unter anderem Reiseagenturen behilflich, die ihren Sitz in der belarussischen Hauptstadt haben. Der freundliche Escort-Service per Shuttle zur Grenze ist dann die letzte Dienstleistung in dem All-Inklusive-Paket. Dass dies alles eine konzertierte Aktion Lukaschenkos ist, um sich an der EU zu rächen, ist offensichtlich.
Denn die hatte die erzwungene Landung eines Fliegers am 23. Mai in Minsk, um eines kritischen Bloggers habhaft zu werden, mit weiteren Sanktionen gegen das Regime in Minsk beantwortet. Als Fürsprecher der Strafmaßnahmen hatte sich Litauen besonders hervorgetan. Und nicht nur das. Schließlich ist das baltische Land mittlerweile zu einem wichtigen Zufluchtsort für zahlreiche belarussische Oppositionelle geworden, die, ginge es nach Lukaschenko, doch eigentlich in belarussischen Gefängnissen verrotten müssten. Doch damit nicht genug der Provokationen. Vor wenigen Tagen hat Vilnius der exilierten belarussischen Oppositionsbewegung der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja und ihrem Team auch noch einen offiziellen Status verliehen.
Auf die wachsende Anzahl von Geflüchteten will Litauen jetzt mit dem Bau von Grenzsicherheitsanlagen und einer Aufstockung des Personals reagieren. Auch die EU bietet ihre Hilfe an, wie EU-Ratspräsident Charles Michel dieser Tage bei einem Ortstermin im litauischen Grenzort Medininkai versicherte. Fragt sich nur, wie die aussehen wird. Denn so geschmeidig wie im Mittelmeer, wo viele Geflüchtete mit ihren Booten gleich mit untergehen, wird sich das Problem wohl kaum lösen lassen.
Ergo ist Kreativität gefragt – mehr denn je. Am Donnerstag meldete das belarussische Webportal charter97.org unter Berufung auf die polnische Grenzpolizei, dass an der Grenze zu Brest 42 Personen, darunter zehn Kinder, festgesetzt worden seien. Zwei Tage vorher waren es 40. Dass Polen dazu gezwungen werden könnte, sich ausgerechnet durch die Hintertür Lukaschenkos an der Aufnahme von Geflüchteten in der EU zu beteiligen, hätte sich die regierende PiS, Retterin und Verteidigerin des christlichen Abendlandes, wohl nicht gedacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“