Geflüchtete aus Moria in Berlin: Seehofer antwortet nicht
Auf Berlins Angebot, Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen, hat der Bund bisher nicht mal reagiert
taz |
Der Brief beinhaltet ein klares, wenn auch zögerlich vorgetragenes Angebot vor dem Hintergrund der humanitären Notlage in den Lagern auf Lesbos, Samos oder Chios. Er endet mit den Worten: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie unser Anliegen rasch prüfen können.“
Dem Vernehmen nach funktioniert die Post trotz Coronakrise, es darf also davon ausgegangen werden, dass der Brief bei Seehofer angekommen ist. Doch eine Antwort hat der Berliner Senat bisher nicht erhalten. „Wir fragen regelmäßig nach“, sagt Geisels Sprecher, Martin Pallgen, der taz.
Bettina Jarasch, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, hat dafür kein Verständnis. „Dass unser Angebot monatelang unbeantwortet geblieben ist, ist nicht mehr hinnehmbar“, sagt sie. Geisel solle nicht nur Briefe schreiben, sondern die bereits vorbereitete Aufnahmeanordnung direkt hinterherschicken.
Senator hatte Anordnung in der Mappe
Eine solche Anordnung regelt etwa, nach welchen Kriterien Geflüchtete ausgewählt werden, wie viele kommen können. Kriterien können Alter, Herkunftsland oder Schutzbedürftigkeit sein, oft auch die Frage, ob die Geflüchteten bereits familiäre oder „integrationsfördernde“ Verbindungen nach Deutschland haben.
Dass die Innenverwaltung eine Aufnahmeanordnung bereits vorbereitet hat, weiß Jarasch aus der letzten Innenausschuss-Sitzung. „Der Senator hat seine Mappe aufgemacht und sie gezeigt“, sagt sie und fordert: „Er muss sie jetzt in die Ressortabstimmung geben, damit der Senat sie beschließen kann.“
Aus Sicht der Innenverwaltung ergibt das noch keinen Sinn. „Das Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister ist unabdingbar“, sagt Sprecher Pallgen. Es ginge ihnen darum, möglichst schnell viele Kinder nach Berlin zu holen. Und dabei setzt die Innenverwaltung derzeit auch auf die Ankündigung, dass Seehofer ja selbst noch – über die 47 nun in Deutschland angekommenen unbegleiteten Minderjährigen hinaus – bis zu 500 Kinder und Jugendliche evakuieren möchte. Auch von denen könnte Berlin dann welche aufnehmen.
Hautpsache, die Kinder kommen
„Das sind zwei verschiedene Verfahren“, sagt Jarasch. Denn der Bund nimmt Geflüchtete über die Dublin-Regelungen direkt auf. Beim Land Berlin ginge das nur im Rahmen eines humanitären Aufnahmeprogramms, und dafür sieht der Bund keine rechtliche Grundlage.
„Für mich ist das kein Widerspruch: Da der Bund selbst Jugendliche aufnimmt, würde Berlin im Einklang mit dem Bund handeln“, sagt Jarasch, Seehofer könne seine Zustimmung nicht verweigern. Die Debatte darüber, ob ein humanitäres Landesaufnahmeprogramm zulässig ist, findet sie daher falsch. „Der Skandal ist ja gerade, dass wir durch die Abschottungspolitik in Europa einen Zustand haben, dass man die Leute da rausholen muss“, sagt sie.
„Wichtig ist, dass die Kinder nach Berlin kommen, über welches Verfahren, ist zweitrangig“, sagt Pallgen. Über den Bund ginge es wahrscheinlich sogar schneller. Jarasch hält dagegen, dass Berlin in einem Landesaufnahmeprogramm eigene Kriterien einbringen und damit auch schwangere Frauen oder andere besonders schutzbedürftige Menschen aufnehmen könnte. Ähnliches hatte auch Geisel in seinem Brief bereits angedeutet.
Zuletzt hatten außerdem 44 Initiativen gefordert, dass Berlin sich zügig mit Institutionen und Behörden vor Ort abstimmt, um die Evakuierung vorzubereiten. Doch der Senat will auch hier auf den Bund warten. „Wir haben bisher keinen Kontakt nach Griechenland aufgenommen. Das wäre kontraproduktiv“, sagt Pallgen.
Die Aufnahmeanordnung loszuschicken sei auch nur Symbolpolitik, räumt Jarasch ein. „Der Bund hält uns hin. Jetzt muss der Bund dem Senator und vor allem auch der Zivilgesellschaft erklären, warum er darauf nicht reagiert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut