Gedenkveranstaltung der Bundesregierung: Matthias Brandt warnt vor dem Gift von Hass und Ausgrenzung
Vor 81 Jahren scheiterte das Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler. Der Sohn von Willy Brandt beklagt Geschichtsvergessenheit.

„Aus Schuld folgt eben diese Verantwortung – für uns alle“, betonte Hubig. Das Gedenken sei Aufforderung, auch „heute entschieden Widerstand“ gegen diejenigen zu zeigen, die Demokratie und Recht bedrohten. Denn auch heute stünden diese „wieder unter Druck“.
Am 20. Juli 1944 hatte Claus Schenk Graf von Stauffenberg ein Attentat auf Hitler verübt, um die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu beenden. Nach dem Scheitern des Umsturzversuchs wurden Stauffenberg und einige seiner Mitverschwörer noch in derselben Nacht im Hof des Bendlerblocks, des damaligen Oberkommandos des Heeres, hingerichtet.
In Berlin-Plötzensee wurden in der Folge etliche der am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 beteiligten Widerstandskämpfer erhängt. Nach Angaben der Gedenkstätte waren es 89 von der Nazi-Justiz im Zusammenhang mit dem Widerstand des 20. Juli Verurteilte, die zwischen August 1944 und April 1945 dort ermordet wurden. Insgesamt wurden zwischen 1933 und 1945 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee mehr als 2.800 Gefangene enthauptet oder erhängt.
Matthias Brandt erinnert an den politischen Flüchtling Willy Brandt
Berlins Regierender Bürgermeister, Kai Wegner (CDU), verwies auf den „großen Mut“ der Widerstandskämpfer gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Wer damals Widerstand leistete, habe sich und seine Familie in Lebensgefahr gebracht, sagte er bei der Gedenkveranstaltung. „Es drohten Entrechtung, Konzentrationslager, Sippenhaft oder Ermordung.“
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) verwies gleichfalls in einer Erklärung auf das Schicksal der Angehörigen der Attentäter. „Auch ihre Familien bewiesen Mut – und zahlten oft einen hohen Preis“, erklärte er. „Verwandte, die zwischen Aktenbergen Briefe versteckten. Ehefrauen, die in Gefängnissen ausharrten. Mütter, die Verhöre über sich ergehen ließen, immer in Angst, was man ihren Kindern antun würde.“
Die Ansprache bei der diesjährigen Gedenkveranstaltung hielt der Schauspieler Matthias Brandt, Sohn des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD). Er erinnerte an den Widerstand seiner Eltern, des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) und seiner Frau Rut. Vor über 50 Jahren sei mit Willy Brandt ein Mann deutscher Bundeskanzler geworden, der einmal politischer Flüchtling gewesen sei und in einem zivilisierteren Land Asyl und eine zweite Heimat gefunden habe.
Heute sickere wieder das Gift von Rassismus und Ausgrenzung in die Gesellschaft
Der 1992 verstorbene Willy Brandt war von 1969 bis 1974 erster sozialdemokratischer Kanzler der Bundesrepublik. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler Ende Januar 1933 floh er kurz darauf ins Exil nach Skandinavien. Von Norwegen aus arbeitete der als Herbert Frahm geborene junge Mann dann unter dem Decknamen Willy Brandt gegen das Nazi-Regime, das ihn 1938 ausbürgerte. 1948 erhielt er die deutsche Staatsangehörigkeit zurück
Heute sickere wieder das Gift von Rassismus und Ausgrenzung in die Gesellschaft ein, warnte Matthias Brandt. Das zeige sich in Wahlergebnissen wie auch „in einer Verrohung des Umgangs, nicht zuletzt sprachlicher Natur, durch Gewalt und bewusstes Kokettieren mit Sprachbildern der NS-Propaganda“. Menschen seien auf einmal wieder „Fremdkörper“, „nicht zugehörig“, sollten „entfernt“ werden. „Das alles unter Berufung auf eine zu schützende angebliche biologische oder ethnische Basis deutscher Identität“, so Brandt. „Was ist das anderes als Geschichtsvergessenheit?“
Seine Mutter habe ihm beigebracht, dass man sich entscheiden müsse. „Dass Nichtstun ebenfalls eine Entscheidung ist – wie oft geht mir das in letzter Zeit durch den Kopf – nämlich eine Entscheidung für das Wegschauen, für das Geschehenlassen“, sagte Brandt. Er träume weiter davon, „in einem europäischen, weltoffenen, humanen Deutschland als freier Mensch unter anderen freien Menschen zu leben und zu wachsen“.
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