Gedenkstättenleiter Wagner zu Ost-Wahlen: „Die Engagierten stärken“

Thüringens Gedenkstätterleiter Jens-Christian Wagner steht unter Beschuss der AfD. Er hält dagegen – und fordert die Prüfung eines Parteiverbots.

Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Jens-Christian Wagner, vor dem Haupttor des ehemaligen NS-Konzentrationslagers Buchenwald in Weimar, Deutschland, Mittwoch, 31. Januar 2024.

Sieht die Demokratie in Thüringen, aber auch in einigen anderen Regionen akut bedroht: Jens-Christian Wagner Foto: Markus Schreiber/ap

taz: Herr Wagner, der Thüringer Co-Landeschef der AfD, Stefan Möller, gab jüngst Ihre Absetzung als Ziel aus. Thüringen brauche einen neuen Gedenkstättenleiter, der den Leuten nicht „mit Predigen auf den Senkel geht“. Wie haben Sie das aufgenommen?

Jens-Christian Wagner: Persönlich lässt mich das kalt. Was mich nicht kaltlässt, sind die Angriffe auf die kritische Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Denn welche Predigten meint Möller? Natürlich den neurechten Vorwurf eines Schuldkults. Nicht umsonst fordert Thüringens AfD-Chef Höcke eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungspolitik. Die AfD ist eine nationalistische Partei, und die NS-Verbrechen sind da ein Makel, den man möglichst kleinreden will, um wieder stolz auf die deutsche Geschichte sein zu können. Auch an die zentrale Lehre aus dem Nationalsozialismus, die Menschenwürde aller zu achten – nicht nur die der Deutschen –, legt die AfD die Axt an. Deshalb wird in der Partei der Holocaust verharmlost, relativiert, kleingeredet.

Was sagt das über die AfD aus, wenn sie Kri­ti­ke­r*in­nen mit dem Rauswurf droht?

Ich bin ja nicht der Einzige, den sie loswerden wollen. Im Grunde sind es alle, die im Bereich der kulturellen Bildung tätig sind und für eine demokratische, vielfältige Gesellschaft eintreten. Das folgt einem internationalen Muster. Denken Sie an Polen oder Ungarn, wo autoritäre Regierungen die Institutionen ausgehöhlt haben. Das droht in Thüringen auch städtischen Thea­tern oder Museen. Wenn die AfD hier die Mehrheit hat, wird es für sie sehr einfach, ihr Programm durchzusetzen, personell und inhaltlich. Es geht um die Erlangung kultureller Hegemonie, das versucht die AfD Schritt für Schritt umzusetzen und ist damit leider Gottes recht erfolgreich.

Jens-Christian Wagner, Jahrgang 1966, ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und lehrt Geschichte an der Universität Jena. Zuvor war er Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten.

Fürchten Sie um Ihr Amt?

Mich würde die AfD nicht so leicht los. Dafür bräuchte es eine Mehrheit im Stiftungsrat – und von der ist die AfD weit entfernt. Ich mache mir aber Sorgen um die Gedenkstättenarbeit. Denn sollte die AfD im Herbst Macht erlangen, mitregierend oder tolerierend, könnte sie beim Haushalt mitreden und hier einiges kaputt machen.

Die AfD wurde bei den Europawahlen in Ostdeutschland stärkste Kraft, bei den Kommunalwahlen in Thüringen zweitstärkste. Wie bedrohlich ist das?

Ich sehe leider die Demokratie in Thüringen, aber auch in einigen anderen Regionen akut bedroht. Die neurechte Landnahme war hier erfolgreich. Mit Protestwahlen hat das überhaupt nichts mehr zu tun, sondern es sind tatsächlich gefestigte sozialmoralische Milieus, auf die sich die AfD mittlerweile stützen kann; Milieus, welche die liberale Demokratie ablehnen, die mindestens latent rassistische und antisemitische Positionen vertreten und die sich nicht daran stören, dass die AfD notorisch Geschichtsrevisionismus betreibt.

Wie konnten diese Milieus entstehen?

Da spielt die ostdeutsche Geschichte eine ganz tragende Rolle, was auch die Ost-West-Unterschiede bei den AfD-Wahlergebnissen erklärt. Die gefühlte oder tatsächliche Demütigung in den Neunziger Jahren, in der Transformationszeit nach der deutschen Vereinigung. Eine autoritäre, antiwestliche, antiliberale, teils auch antizionistische Sozialisation in der DDR. Der Fakt, dass die DDR ein monoethnischer, autochthon deutscher Staat war, der kaum Erfahrung mit Migration gemacht hat, anders als Westdeutschland. Und zuletzt der antifaschistische Gründungsmythos der DDR, der dazu beitrug, dass eine wirkliche Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen im Osten ausgeblieben ist, weil man die Schuldigen allein im Westen verortete. Diese Folgen merken wir bis heute.

Angesichts dieser verfestigten Milieus: Glauben Sie, dass nach der Thüringer Landtagswahl im Herbst ein Ministerpräsident Höcke möglich ist?

Für wahrscheinlich halte ich das nicht. Aber man muss leider sagen: Es ist auch nicht ganz ausgeschlossen. Ich befürchte, dass die AfD bei den Landtagswahlen ein ähnliches Ergebnis erzielen wird wie jetzt bei der Europawahl…

Also rund 30 Prozent, vor der CDU und dem BSW, dann abgeschlagen SPD und Linke.

Ja. Und das wäre bereits desaströs, weil die AfD im Landtag eine Sperrminorität hätte und damit etwa die Besetzung des Verfassungsgerichts blockieren könnte. Erschreckend finde ich aber auch die Stimmen für das BSW, das mit einer Mischung aus xenophoben, Putin-apologetischen, autoritären Positionen und Personenkult aufwartet. Entscheidend wird sein, wie sich die CDU verhält. Ihr Spitzenkandidat Mario Voigt will – wie ich finde, glaubhaft – nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Es gibt aber durchaus andere Stimmen in der CDU in der zweiten und dritten Reihe. Und da mache ich mir tatsächlich Sorgen, dass es zu einem Riss in der CDU kommt, vielleicht auch zu einer Spaltung, die dazu führt, dass ein Teil der CDU mit der AfD agiert. Und dann wäre Höcke tatsächlich Ministerpräsident.

Im vergangenen Herbst waren Sie Teil eines zivilgesellschaftlichen Bündnisses, um in Nordhausen, der Stadt Ihrer Gedenkstätte, einen AfD-Mann als Oberbürgermeisterkandidaten zu verhindern – mit Erfolg. Was war das Rezept?

Zum einen haben wir als Gedenkstätte, als Institution mit einer gewissen Autorität, deutlich auf die den NS verharmlosenden Positionen des AfD-Kandidaten hingewiesen und klargemacht, dass es mit ihm an der Stadtspitze von Gedenkstättenseite keinerlei Zusammenarbeit geben würde. Zum anderen hat diese Positionierung die Zivilgesellschaft in Nordhausen ermuntert, sich zu zeigen und offensiv für eine demokratische Stadt zu streiten. Am Ende haben die Hochschule, die Kirchen, die Sozialverbände gekämpft. Noch am Vorabend der Wahl dachten wir, wir schaffen es nicht. Aber wir haben es geschafft. Das war eine große Ermutigung.

Ist das übertragbar auf die Wahlen im Herbst?

Das wird schwierig. Aber genau diesen Weg müssen wir jetzt gehen. Gerade auf dem Land wurden die Initiativen, die sich für eine vielfältige Demokratie einsetzen, viel zu lange alleingelassen. Viele haben sich da, auch wegen konkreter Bedrohungen, nicht mehr getraut, in die Öffentlichkeit zu gehen. Da müssen wir dringend gegensteuern. Wir müssen der Zivilgesellschaft den Rücken stärken, insbesondere dort, wo die AfD die kulturelle Hegemonie schon erlangt hat. Wir müssen den Engagierten zeigen, dass sie nicht alleine sind. Wir müssen aufzeigen, welchen Wert unser Grundgesetz und die liberale Demokratie haben. Wir müssen werben und streiten. Das ist das Einzige, was man jetzt noch machen kann, um das Schlimmste zu verhindern.

Was Ihre Gedenkstätte angeht, haben Sie eine klare Linie: Für AfD-Funktionäre gilt bei Veranstaltungen Hausverbot. Dabei bleibt es?

Dabei bleibt es. Auch ein Ministerpräsident Höcke hätte keine Erlaubnis, an unseren Veranstaltungen teilzunehmen. Ich bin überzeugt, dass nur eine klare Haltung gegen Rechtsextreme diese eindämmt. Als Privatpersonen können sich die AfD-Leute in unseren Ausstellungen über die Folgen völkischer Politik informieren – aber daran zeigen sie ja kein Interesse.

Sie gehen noch einen Schritt weiter und fordern auch, jetzt ein AfD-Verbot ernsthaft zu prüfen. Warum?

Es kann nicht sein, dass die ­liberale Demokratie eine Partei zu Wahlen zulässt und ihren Wahlkampf finanziert, welche die liberale Demokratie abschaffen will. Wenn eine Partei erwiesenermaßen verfassungsfeindlich ist, dann muss sie auch verboten werden – egal, wie viele Leute sie wählen. Das ist in den fünfziger Jahren auch mit der Sozialistischen Reichspartei passiert, obwohl sie in einigen ­Regionen Niedersachsens 30 Prozent der Stimmen holte. Die Verbotsfrage darf nicht politisch nach der Stärke der Partei entschieden werden, sondern nur rein juristisch. Sobald die AfD erwiesen verfassungsfeindlich ist, muss ein Verbot folgen.

Und die AfD ist aus Ihrer Sicht verfassungsfeindlich?

Mindestens in einigen östlichen Bundesländern, wie etwa Thüringen, ja.

Aber das rechtsextreme Gedankengut verschwände ja auch mit einem AfD-Verbot nicht?

Deshalb muss es immer auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD geben. Wir müssen die Menschen ganz klassisch aufklären, was diese Partei an Gedankengut transportiert. Da habe ich den Eindruck, dass das viele Menschen immer noch nicht wirklich wissen. Wem das egal ist, dem müssen wir erklären, welche zerstörerischen Konsequenzen dieses Gedankengut hat. Und wir müssen die Vorzüge von Demokratie und der Achtung der Menschenrechte vermitteln.

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