Gedenken an Drogentote in Bremen: Leben in Schwarz-Weiß
Mit Kränzen auf dem Ziegenmarkt und einer Fotoausstellung im Weide 3 gedenkt Bremen verstorbenen Drogengebraucher*innen.

Zudem sind wieder künstlerische Aktivitäten mit Unterstützung des Landesinstituts für Schule (LIS) geplant. Das hatte 2017 bereits Filme aus dem Wettbewerb „ausweggesucht“ gezeigt. 2018 entwickelte der Bremer Künstler Lars Kaempf eine Installation mit der Zahl 500: So viele Menschen würden durch kombinierten Alkohol- und Tabakgenuss in der Stadt Bremen jährlich zu Tode kommen, sagt Oliver Peters, kommissarischer LIS-Leiter. „Aber um das Kunstwerk herum einen Gedenkraum für Angehörige zu initiieren, das funktionierte letztes Jahr nicht, niemand kam.“ Also Konzeptänderung. Dieses Jahr wird am Gedenktag ab 11 Uhr eine Fotoausstellung gezeigt.
Darin setzen sich drei Künstler grundsätzlich mit Aspekten des Themas auseinander – und zwar im ehemaligen Sado-Maso-Klub „Weide 3“ im Bahnhofsviertel. Das Etablissement geriet in die Auseinandersetzungen rivalisierender Rockergruppen und wurde 2011 geschlossen. Jörn Schipper, eloquenter Jazz-Schlagzeuger und elektronischer Klangwerker, erwarb die Immobile 2011. In den Obergeschossen wohnen jetzt Studenten, das Erdgeschoss ist Konzerten, Lesungen, Ausstellungen gewidmet.
Schipper selbst bezeichnet sich als Hobbyknipser. Da seine heute erwachsene Tochter vor einigen Jahren in den Wallanlagen bei der Aktion „Bremen räumt auf“ reichlich Drogenbesteck und sogar einen Toten gefunden hatte, begab er sich für die aktuelle Ausstellung selbst auf die Suche – und präsentiert nun seine Fundstücke. Etwa den Trampelpfad zu einem Bunkerort für illegale Substanzen – ein „Boulevard of broken dreams“. Aber auch ein Berg Bierflaschen ist knallbunt inszeniert, gekrönt von einem Kuscheltier. Daneben hängt ein Stillleben mit leerer Whiskeyflasche im Gegenlicht. Stets ragen Blätter oder Gräser als hoffnungsgrüne, per Photoshop farbintensivierte Botschaft der Natur ins Bild.
Die freiberufliche Fotografin Magdalena Stengel hat cleane Süchtige besucht und Lebenssituationen in Schwarz-Weiß nachempfunden. Ein unscheinbares Pflastergeviert wird da zum Ort, an dem die Drogenkarriere einer Frau begann. Eine andere steht in aller geboten optischen Unschärfe vor einem Hochhaus, in dem ihr Freund an Heroin gestorben ist. Auf der Station 71 des Klinikums Ost erkundet ein Ex-Abhängiger sein ehemaliges Entgiftungszimmer und zieht sich eine Plastikplane über den Kopf.
Auch Lars Kaempf ist wieder dabei. Dieses Mal porträtiert er die Discomeile am Rembertikreisel. Auf der einen Seite die lebensfeindliche Hochhausschäbigkeit, auf der anderen mit „Drink“-Leuchtschrift einladende Kioske. Die Verheißungen der Klubs auf ekstatische Vitalität und die Reklameversprechen der Alkoholindustrie kontrastieren die Tristesse des Ambientes. Die gesamte Ausstellung soll demnächst auf Reisen gehen, der Tourplan steht aber noch nicht fest.
Die Comeback-Leiterin Cornelia Barth versteht den Trauertag auch als Protest- und Aktionstag, um für die Umsetzung der im Entwurf des Koalitionsvertrags fixierten Mittelerhöhung zu werben. Und auf den Mangel an Substitutionsplätzen hinzuweisen.
An illegalen Drogen starben 38 Menschen im Bremen des Jahres 2007. Seitdem hat ihre Zahl kontinuierlich abgenommen und ist relativ konstant. 2018 starben 22 Menschen in der Hansestadt unmittelbar am Konsum harter Drogen. Gerade sei Crack in Bremen auf den Markt gekommen, was die Opferzahlen wohl wieder erhöhen würde, so Barth.
Peters vom LIS möchte am Gedenktag vor allem deutlich machen, dass Sucht eine Krankheit sei, die im schlimmsten Fall tödlich verlaufe – und kein individuelles Fehlverhalten, das moralisch zu beurteilen sei. Zudem zitiert er Woody Allen: „Meine Einstellung zum Tod hat sich nie geändert: Ich bin vehement dagegen.“
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