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Gastkommentar Linke SammlungDiskurs statt Gefolgschaft

Innerparteiliche Pluralität ist besser als eine linke Sammlungsbewegung, wie sie Lafontaine und Wagenknecht vorschwebt.

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine propagieren eine Sammlungsbewegung linker Strömungen Foto: dpa

V ergangenen Sonntag entschied die SPD sich mit knapper Mehrheit für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU. Dieses Wochenende wählen die Grünen ihre neue Parteiführung. Im Vorfeld beider Parteitage wurde viel über den Sinn von Strömungen und Flügeln diskutiert. Und in der Linkspartei rufen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine gleich dazu auf, eine neue Sammlungsbewegung zu gründen. Eine Zwischenbilanz.

Es ist derzeit en vogue, auf die SPD einzuprügeln. Doch das ist wohlfeil. Aus dem erneut miserablen Abschneiden bei der Bundestagswahl 2017 zog die Partei die nachvollziehbare Schlussfolgerung, in die Opposition zu gehen. Eine Mehrheit ohne die Union war nicht erreichbar, in Umfragen sprachen sich deutliche Mehrheiten für ein Jamaika-Bündnis aus.

Die Grünen haben ernsthaft versucht, Jamaika zu ermöglichen, auch um österreichische Verhältnisse zu vermeiden. Dort hat eine dauerhafte Große Koalition zu einem Bündnis von Konservativen mit Rechtsextremen geführt. Aber Christian Lindner hat für sich und seine FDP die Gestaltungsverantwortung für einen flotten Spruch weggeworfen.

CDU und CSU wiederum verweigern sich einer Minderheitsregierung. Stattdessen setzt die Union auf den dritten Aufguss einer zunehmend kleiner werdenden „Großen Koalition“, die in der Vergangenheit zu herben Verlusten bei den beteiligten Parteien geführt hat.

Flügel als wichtige Repräsentanten verschiedener Milieus

Dass es in der SPD rumort, ist nachvollziehbar, geht es doch um den Fortbestand der ältesten Partei in Deutschland. Und damit auch um die Perspektive von Mitte-links. Die Perspektive einer Gestaltungsoption aus SPD, Grünen und der Linkspartei. Thüringen und Berlin sind dafür Modelle.

Wer sieht, wie ernst- und schmerzhaft in der SPD gerungen wird, sieht den Wert innerparteilicher Pluralität. Es ist ein Widerspruch, zu kritisieren, dass Parteien immer stromlinienförmiger würden. Und im selben Atemzug Parteien, die innerparteilich um die beste Lösung ringen, Politikfähigkeit abzusprechen. Halten wir fest: Flügel binden Menschen mit unterschiedlichen Positionen ein. Sie sind die direkteren Repräsentanten der feiner fraktionierten gesellschaftlichen Milieus und Interessen.

Die Autoren

Benjamin-Immanuel Hoff, Die Linke, ist Chef der Staatskanzlei in Thüringen.

Michael Kellner ist politischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen.

Sie befeuern und strukturieren Debatten und schärfen inhaltliche Ausein­andersetzungen. Genau das ist die Aufgabe von Parteien, die politische Willensbildung zu organisieren. Dabei verlieren wir nicht den Blick für kritische Entwicklungen. Flügel neigen dazu, zur Personalrekrutierung zu verkümmern und Konflikte durch taktisch motivierte Formelkompromisse zu ersticken. Sie vergessen gern, dass sie selbst nur einen Teil der Partei abbilden. Bloße Flügelarithmetik reicht also nicht, doch ohne Strömungen wären Parteien ärmer.

Das Gegenteil ist in einer neuen Formation vermeintlich moderner Parteien zu erkennen. Von der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien über Macrons En Marche in Frankreich hin zur Liste Sebastian Kurz in Österreich. In Deutschland versucht Christian Lindner, dies schlecht zu kopieren. Diese Parteien sind zugeschnitten auf eine Führungsfigur, verlangen Gefolgschaft der Mitglieder statt Diskurs. Ihnen gemein ist, dass sie ihren pluralen Charakter gegen ein autoritäres Konzept eintauschen: die charismatische Führung.

Avantgarde ist nicht immer positiv

Um nicht falsch verstanden zu werden: Parteien werden von charismatischen Führungsfiguren geprägt, die sich im demokratischen Wettstreit unterschiedlicher Positionen herausbilden. Genau dieser Wettstreit fehlt in Parteien, in denen die Führungsfigur ein lebendiges Parteileben ersetzt. Der Charakter der Partei schrumpft dabei zur bloßen Akklamationshülle.

Auch die Idee einer neuen (linken) Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine greift auf dieses kritisierte Politikverständnis zurück. Deshalb lehnen wir sie ab. Der Idee zugrunde liegt die irrige Annahme, alle Parteien – inzwischen offensichtlich auch die Linke – seien „neoliberaler Einheitsbrei“. Aus dieser Parteienverachtung entsteht die Überzeugung, eine neue „Bürgerbewegung“ von unten aufbauen zu können. Es erscheint uns vielmehr notwendig zu sein, auch und gerade unter den schwierigen Rahmenbedingungen seit der Bundestagswahl 2017, die Arbeit an unterschiedlichen Bündnissen fortzusetzen.

Wenn die Führungsfigur ein lebendiges Parteileben ersetzt, verkommt die Partei zur Akklamationshülle

Ostdeutschland ist, was die Auflösung des Parteiensystems anbetrifft, Avantgarde. Avantgarde ist nicht immer positiv. Die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im kommenden Jahr werden Ausstrahlung weit über Ostdeutschland hinaus haben. Die drei Landesverbände der CDU rücken scharf nach rechts. Sie suchen die Nähe zur AfD. Ingo Senftleben, Brandenburger CDU-Vorsitzender, hat Sondierungsgespräche mit der AfD angekündigt.

Zwischen Eichsfeld und Lausitz, zwischen Gera und Potsdam konfiguriert sich das Parteiensystem neu. Ein Aufwachen mit der ersten CDU-AfD-Koalition auf Landesebene wird vorstellbar. Der Kampf gegen ein solches Bündnis ist mehr als nur ein mobilisierendes Thema für Mitte-links. Zur Abstimmung steht sozialökologische und demokratische Landesentwicklung gegen restaurative Politik der Abschottung.

Sozialökologischer Wandel gegen Klimakrise

SPD und Grüne werden in einem sich ändernden Parteiensystem nicht auf andere Optionen verzichten, weder die SPD auf Groko oder Ampel noch die Grünen auf ein Bündnis mit der Union. Doch ebenso klar bleibt doch die Notwendigkeit eines sozialökologischen Wandels, um die Klimakrise entschieden zu bekämpfen. Das kann nur gelingen, wenn es mit einer sozialen Politik einhergeht und sich den Debatten über Digitalisierung und Arbeit der Zukunft öffnet. Neue Antworten für die Arbeitsgesellschaft und den Sozialstaat sind gefragt.

Gestaltungspolitik und eine gemeinsame Praxis als Parteien in und mit Bewegungen erscheinen uns viel notwendiger als das Herbeireden von Sammlungsbewegungen von oben oder das Ausrufen allein seligmachender Bündnisse.

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11 Kommentare

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  • Aus dem Kommentar spricht klar die Angst vor dem posten- und pöstchenverlust von parteipolitikern, die Idee einer parteiübergreifenden linken Sammlungsbewegung ist das beste, was ich seit langem gehört habe....

  • Pluralität & Basisdemokratie gerne, aber mit Handlungsfähigkeit gefälligst, d.h. neoliberale U-Boote und identitäre Distinktionskasper vor die Tür!

  • 3G
    38071 (Profil gelöscht)

    Es sind doch Leute wie Hoff die dafür sorgen, dass man die Linke nicht mehr wählen kann. Kaum nehmen sie auf dem Regierungsbänkchen Platz, wird alles was linke Politik ausmacht, abgestreift wie eine schlechtsitzender Mantel. Ob Berlin, MV, BB oder Thüringen, da ist von linker Politik nichts zu sehen.

  • Wenn man davon ausgeht, dass die großen Volksparteien weiter in ihrer Bedeutung schrumpfen werden, könnten Parteibündnisse durchaus eine Möglichkeit sein, zukünftige Wahlen effektiver und aussagekräftiger zu machen. Aus einer Vielzahl von Kleinparteien, die sich alle Koalitionsoptionen offen halten, eine auszuwählen, die dann in einer Regierung unter gebuttert wird die man gar nicht wollte, ist frustrierend. Wenn es nicht vorhersehbar ist, was meine Stimme bewirkt, bleibe ich doch lieber gleich zu hause.

    • @Gregor Tobias:

      "Wenn es nicht vorhersehbar ist, was meine Stimme bewirkt, bleibe ich doch lieber gleich zu hause." (Zitat: Gregor Tobias)

      Mit Verlaub: Das erscheint mir weder eine Option für gelebte Demokratie noch ein taugliches Lebensmotto zu sein. Diese Versicherungsmentalität mit Qualitätsgarantieanspruch taugt echt nur als Ausrede für den Rückzug auf die Couch. Reales Leben, reale Politik beinhaltet nämlich immer auch die Chance zum Scheitern - geht gar nicht anders.

      Mit so einer Einstellung kann man sich ja gleich nach der Entbindung die Kugel geben - das spart einem dann ganz bestimmt auch ne Menge Frust. Da kann dann nix mehr schief gehen.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Ich bin schon der Überzeugung, dass die gegenwärtige Flügelverteilung in der Parteilandschaft dysfunktional ist.

    Die Linken in der SPD und bei den Grünen werden durch die neoliberal agierende Führungsriege neutralisiert und die progressiven Europäer*innen in der Linkspartei müssen sich von ressentimentgeladenen autoritären Altkadern lächerlich machen lassen. Auf diese Weise kommen wirklich progressive Positionen nicht zum Zug, in keiner der Parteien!

     

    Meiner Überzeugung nach bräuchte es tatsächlich eine linke "Sammlungsbewegung", aber nicht nach den Ideen von Wagenknecht und Lafontaine, sondern mit klar proeuropäischer und radikaldemokratischer Ausrichtung.

    Die Flügel in dieser Partei nach dem Vorbild des anarchistischen Plattformismus sollten jede eigene (radikal-)demokratische Prozeduren zur Entscheidungsfindung entwickeln und die Ergebnisse dann der Kompromissbildung ausgesetzt werden. Mitglieder würden sich für die Teilhabe an einem der Flügel entscheiden und dadurch würden verschiedene Repräsentationssysteme miteinander direkt konkurrieren. Das machte eine solche Partei zur Systemkonkurrenz, eine Rolle, die derzeit keine der genannten Parteien einnehmen kann.

    Existierende kleine Parteien wie Demokratie in Bewegung oder glitzerkollektiv.de könnten direkt in eine solche Plattform eintreten und zusammenarbeiten. Aus der SPD, den Grünen und der Linkspartei könnten proeuropäisch und an demokratischen Strukturreformen interessierte Menschen eigene Flügel gründen, etwa einen räterepublikanischen Flügel, der seine Entscheidungsfindung durch die Repräsentation von gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Räten ergänzt.

    Auf der kompromissbildenden Plattformebene können auch direkt NGO's und sogar Vertreter*innen "befreundeter" Parteien mit einbezogen werden und auch in einem gewissen Umfang Stimmrechte erhalten.

    Relative Einigkeit könnte bei bedingungslosem Grundeinkommen, Bürgerversicherung, ökosozialem Umbau und europäischen wie nationalen Strukturreformen bestehen.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Es könnte auch einen feministischen Flügel geben.

      Theoretisch lässt sich das Konzept auch unter dem Gesichtspunkt des Intersektionalismus begreifen.

       

      Wirklich plural ist die Meinungsbildung in keiner der Parteien, würde ich behaupten, wenn die Flügelbildung nach dem naiven linearen Prinzip links-rechts geschieht. Gerade wenn es um die Konkurrenz von Repräsentationssystemen geht, kann es keine derartig einfache Aufteilung von Flügeln geben. Die mehrdimensionale Aufstellung einer Plattformpartei entspräche einer Pluralität viel eher als die eindimensionale Ausrichtung der SPD, der Grünen und der Linkspartei.

       

      Ferner ist gerade die Linkspartei nicht in der Lage, zeitadäquat Entscheidungen zu fällen. Wer direkt nach der Bundestagswahl anfängt, innerparteiliche Diskussionen um die realpolitische Gestalitung eine linken Einwanderungsgesetzes anfängt, hat die letzten Jahre wohl verschlafen. Zumindest die Grundzüge einer solchen Gesetzgebung hätten vor der Wahl klar sein müssen. So haben die Flügel der Linkspartei zumindest in der Wahrnehmung entgegengesetzte Inhalte vertreten, wobei Lafontaine und Wagenknecht eine Position in der Öffentlichkeit vertreten haben, die den basisdemokratische gefällten Programmbeschlüssen widerspricht und das im Wahlkampf. Im Leipziger Süden bekommt die Linkspartei gerade dank der Arbeit von Jule Nagel 40% und das nicht, weil irgendjemand Ressentimentpolitik gemacht hätte.

  • Flexibel

     

    Es folgt eben gerechtrerweise die Hartz-Quittung für die Sozialabbau-SPD.

    Echt gut so!

    Die SPD-Politiker sollten sich jetzt nach Parteien umsehen, die sie aufnehmen und in denen sie ihre Laufbahnfortsetzen können. Heutzutage muss man flexibel sein!

    Sonst droht Hartz IV...

  • "Das Gegenteil ist in einer neuen Formation vermeintlich moderner Parteien zu erkennen. Von der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien über Macrons En Marche in Frankreich hin zur Liste Sebastian Kurz in Österreich. In Deutschland versucht Christian Lindner, dies schlecht zu kopieren. Diese Parteien sind zugeschnitten auf eine Führungsfigur, verlangen Gefolgschaft der Mitglieder statt Diskurs. Ihnen gemein ist, dass sie ihren pluralen Charakter gegen ein autoritäres Konzept eintauschen: die charismatische Führung."

     

    War das jetzt etwa (leise) Kritik am Heilsbringer Europas? An dem Mann der für die politische Nadel des europäischen Kompas der Norden ist und die Hoffnung für Unfrieds und Habecks unserer Welt? Und steht da wirklich "autoritäres Konzept"?

     

    Na hoffentlich speichert die taz sich dies in ihrem journalistischen ROM.

  • Ich stimme "Das kann nur gelingen, wenn es mit einer sozialen Politik einhergeht[.]" ja voll und ganz zu, aber die letzten 4 Jahre GroKo gingen ebensowenig in diese Richtung, wie die aktuellen GroKo-Sondierungen.

    Wenn eine SPD mit, sagen wir mal, 44% Befürwortern einer linken Politik mitterechts regiter, kommt es mir schon so vor, als wären diese 44% in einer linken Bewegung besser aufgehoben, als innerhalb der existierenden SPD neutralisiert zu werden.

    • 4G
      42682 (Profil gelöscht)
      @BigRed:

      Ich finde die Idee auch nicht schlecht.

      Es muss alles ausprobiert werden, damit die CDU auf Bundesebene nicht mit der AfD regieren wird.

      Ich befürchte, wenn dies erst in den Ländern ausprobiert wird und es "funktioniert" wird das auch in Berlin so gemacht.