Die Wahrheit: Eulen & Zitronen, Pilze & Patronen

Trends und Gerüchte: So munter geht’s weiter mit 2018. Die wichtigsten Änderungen und Entwicklungen im fortschreitenden Jahr.

Illustration: Dorthe Landschulz

Erst ein paar Wochen ist 2018 alt – in vielen Haushalten sind die Kalender längst noch nicht umgestellt, finden sich in den Portemonnaies altmodische Euro statt aktueller Bitcoin. Doch Zukunftsforscher warnen: Wer jetzt nicht auf die Trends 2018 aufspringt, hat 2019 ex­trem schlechte Karten, überhaupt noch am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, und kann sich spätestens 2020 endgültig einsalzen lassen. Die wichtigsten Änderungen für jeden einzelnen lesen Sie hier im Überblick.

Große Koalition zum Wohlfühlen

Monatelange Streitereien, eine am Boden liegende SPD und ein Europa, das von einem Jungen namens Kevin in Geiselhaft gehalten wird – das alles ist 2018 endlich vergessen. Jetzt kann das politische Berlin zum Alltagsgeschäft zurückkehren und sich zum Beispiel dem Ausbau des Merkel’schen Badezimmers widmen. Die Kanzlerin plant angeblich, die aktuelle Renaissance des Holzzubers mitzumachen und aus der unbehaglichen Nasszelle am Kupfergraben einen Wohlfühlort mit Landhaus-Charme zu schaffen. Ein nachhaltiges Zeichen für eine starke vierte Amtszeit – und auch für die fünfte!

Flamingos statt Rechtsradikale

Immer mehr Nazis zeigen ihre Weltanschauung völlig offen; haben überhaupt kein Problem, mit Thor-Steinar-Klamotten oder Hundekrawatten ins Phantasialand zu gehen. Kann ihnen ausgerechnet die Mode ein Schnippchen zu schlagen? „Logos und politische Bekenntnisse auf der Kleidung sind soooo 2017“, sagt Modemanager Özgün Kayar. „2018 werden sie vollkommen verdrängt – dafür kommen Aufnäher mit Naturmotiven! Flamingos oder Ananas, Eulen oder Zitronen, Melissen oder Komodowarane – Hauptsache, ein starkes Bekenntnis zum Leben. Nimm dies, Faschismus!“

Umwelt jetzt vertikal

Die Verwüstung großer Teile der Erdoberfläche durch Abholzung und Klimawandel schreitet weiter voran; auch Wetterereignisse wie Sturmtief Friederike zeigen sich zerstörerischer und weniger berechenbar. Dafür werden unsere Lebensmittel frischer und gesünder: durch vertical farming wird es möglich, in Berliner Hipster-Restaurants Salat zu speisen, der im selben Lokal angebaut wurde – ein intelligentes System aus Beleuchtung und Bewässerung sorgt für ein knackiges Erlebnis auf dem Salatteller. Das Schöne: vertical farming funktioniert auch unter der Erde, falls sich die Menschheit zum Überleben in weitläufige Höhlensysteme zurückziehen muss.

Wirtschaft macht in Ultraviolett

Die Finanzkrise der Nullerjahre ist weiterhin nicht aufgearbeitet; immer noch spekulieren unregulierte Hedgefonds auf das Ende ganzer Volkswirtschaften. Kaum jemand hat eine Idee, wie sich das entfesselte Finanzsystem wieder disziplinieren lässt. „Da braucht es Originalität, Einfallsreichtum und visionäres Denken“, sagt ein Sprecher der Online-Bastelplattform Etsy – „und dafür steht Pantone 18-3838 Ultra Violet, die Trend-Farbe 2018. Das leuchtende, gutgelaunte Lila könnte auch viele ratlose Finanzaufseher neu beflügeln!“ Aber Vorsicht: Pantone 18-3838 liegt nur wenige Pigmente entfernt von Pantone 18-3836, dem depressiven Hämatom-Violett, das angeblich Selbstverstümmelungen, psychotische Attacken und heißen Hotdog-Hunger bei Ikea auslöst. Farbechte Drucker werden also auch im Jahr 2018 immer wichtiger.

Nahost voll gechillt

Mit dem Eintritt der Türkei in den Syrien-Konflikt verschärfen sich die Spannungen auf der arabischen Halbinsel weiter; auch der Atomdeal mit dem Iran stellt sich als wertlos heraus. Hoffnung macht hier nur mehr der sibirische Chagapilz, der in der modernen Fusionsküche für einen exotischen Akzent sorgt. Zusammen mit anderen Trendlebensmitteln wie glutenfreiem grünen Bananenmehl und fettlösenden Blauen Algen ist der Chagapilz eine köstliche Überraschung im Friedensprozess – denn Frieden geht bekanntlich durch den Magen.

Nobelpreis blickt aufs Ganze

Ob die Akademie wieder für eine Riesenüberraschung sorgen wird wie damals mit dem Literaturnobelpreis für Schlagersänger Bob Dylan? Möglich ist alles. Aber die Schweden werden wie immer auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen berücksichtigen müssen – so etwa die auf dem Buchmarkt um sich greifende Manie zur Tapetenoptik auf Hardcovern. Tropen­flair und florale Motive stehen derzeit immer noch hoch im Kurs, auch Metallic- und Glanzelemente sieht man wieder gern – ein Spiel mit den Achtzigern, das die Nobelpreisjury hoffentlich in ihrer Entscheidung berücksichtigen wird.

Buchmessen-Ting in Hessen

Die Frankfurter Buchmesse steht 2018 unter dem stolzen Motto: „Nazis willkommen! 50% Rabatt für alle mit Parteiausweis“. Buchmessengastland ist das teilautonome Herzogtum Schnellroda, Fürst Kubitscheck wird als Festredner zum Friedenspreis erwartet. Buchmessenchef Boos will das aber ausdrücklich nicht als politische Positionierung verstanden wissen: „Hier soll ein Wettstreit der Meinungen herrschen – mit welchen Mitteln der ausgetragen wird, ob mit Baseballschlägern, Macheten oder Patronen, ist uns dabei als neutraler Veranstalter gleich.“ Um eine Eskalation wie 2017 zu verhindern, will Boos alle politischen Verlage in eine „Donnerkuppel“ genannte Arena pferchen – aber trotzdem ansprechbar bleiben: „Bei Problemen können mich die Standbetreuer gerne jederzeit anrufen, da ich auch im Urlaub ans Telefon gehe.“ Wie viele andere Trendsetter auch, macht Boos dieses Jahr in Chile Ferien, dem Südtirol Südamerikas, das immer mehr als die Schweiz unter den Kontinenten gehandelt wird.

E-Sports im Kommen

Die ganze Welt fiebert mit, wenn in Korea die Olympischen Winterspiele eröffnet werden – erstmals sollen nord- und südkoreanische Raketen gleichzeitig ins Stadion einlaufen. Raketen? Quatsch, Athleten! Ein schönes Zeichen des Sportgeistes und der Fairness, dass der Atomkrieg zwischen den Ländern extra für den friedlichen, sportlichen Wettstreit verschoben wird. Dabei sind traditionelle Sportarten in Korea eigentlich auf dem absterbenden Ast: E-Sports, professionell ausgerichtete Videospiel-Turniere, sind mittlerweile wichtiger. 2018 werden erstmals auch E-Zigaretten zugelassen – Rauchen wird olympisch! Die Kombattanten paffen elektronisch eine nach der andern weg, und wer dabei die realistischsten Lungenkrebssymptome rendert, gewinnt. Dieses Jahr tritt bei den E-Sports auch eine deutsche Quereinsteigerin an: die 59-jährige Birgit Staniewski aus Frankfurt gilt als Europas beste Spielerin im Bereich Windows Solitair. Nach einem fast dreißigjährigen Trainingscamp in den Räumen eines Frankfurter Nachrichtenmagazins will Staniewski 2018 für Deutschland erstmalig Gold holen – oder zumindest die Post rein. Beides wäre ein gutes Signal für unser gebeuteltes Land.

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