piwik no script img

Gastkommentar Kippa-DebatteIm eigenen Namen sprechen

Kommentar von Michal Bodemann

Der Beauftragte der Bundesregierung ruft dazu auf, am Al-Kuds-Tag in Berlin Kippa zu tragen. Dabei können Juden durchaus für sich selbst sprechen.

Teilnehmer der Solidaritätskundgebung „Berlin trägt Kippa“ im April 2018 Foto: dpa

F elix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, hat den Juden in Deutschland kürzlich empfohlen, aufgrund des wachsenden Antisemitismus die Kippa in der Öffentlichkeit nicht zu tragen. Dafür gab es viel Kritik. Nun ruft Klein dazu auf, an diesem Sonnabend an der Demonstration in Berlin gegen den „Al-Kuds-Tag“ der Palästinenser teilzunehmen. Dabei sollten alle die Kippa tragen – als Zeichen der Solidarität.

Im Kontext des Al-Kuds-Tages gibt es zweifellos antisemitische Bedrohungen und Pöbeleien, vor allem in Orten mit hohen migrantischen Anteilen; die Frage ist nur, welches Gewicht haben diese Vorfälle und mit welcher Intensität finden sie statt im Gesamtkontext des Antisemitismus in Deutschland?

Nach zuverlässigen Untersuchungen, etwa von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS), herzlich wenig im Vergleich zu der extremen Hetze seitens weißer Antisemiten in Internet-Foren, in Fußballstadien, Wehrsport Einheiten, Nazikneipen und nicht zuletzt im Alltag. Der Antisemitismus-Beauftragte ignoriert offenbar diese Gewichtung.

Bild: privat
Michal Bodemann

geboren 1944, ist emeritierter Soziologieprofessor der Universität von Toronto, Autor zahlreicher Bücher über Juden in Deutschland nach 1945 und selbst Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

Weshalb brauchen wir überhaupt noch einen Beauftragten für Judentum und Antisemitismus, einen nichtjüdischen Beschützer der Juden? Bricht hier nicht doch, einerseits, eine geschichtliche Erinnerung an die Schutzjuden des Souveräns vom Hochmittelalter bis zu Friedrich dem Großen durch? Und andererseits die Rolle des Schtadlan, des jüdischen Fürsprechers am Hofe des Fürsten, nur eben heute ein “verkehrter“, nichtjüdischer Fürsprecher, der nicht versteht, dass Juden in diesem Land durchaus für sich selber sprechen können?

Die Berufung eines nicht-jüdischen Antisemitismusbeauftragten ist, gerade auch angesichts des zunächst nicht-jüdisch besetzten Expertenkreises Antisemitismus des Bundestages, ein Beweis dafür, dass der deutsche Staat nach wie vor Juden und Jüdinnen als Fremdkörper denkt. Diese neue Kippah-Debatte ist ein weiterer Beweis für die verkorkste Doppelkonstruktion eines Beauftragten für jüdisches Leben und Antisemitismus, die schleunigst wieder abgeschafft gehört.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Ich finde schon, dass ein deutscher Nichtjude 74 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes mit der Aufgabe betraut werden kann, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen. Ob ihm das gelingt, das sei dahingestellt. Und ob der Antisemitismus nun von deutschen Rechten kommt oder von islamistischen MigrantInnen spielt eigentlich keine Rolle - weder für die betroffenen, in DE lebenden JüdInnen noch für den Beauftragten.

  • Die größte Diskriminierung findet immer noch gegenüber Atheisten statt.



    Das merkt man nur nicht, weil Atheisten ihre Gesinnung nicht in Form von Kreuzen, Kopftüchern oder Kippas in der Öffentlichkeit präsentieren.

    Der öffentliche Raum muß für alle Menschen gleichermassen neutral sein, dort haben religiöse Symbole nichts verloren - auch keine Kippa !

    Religionen jeglicher Couleur sind ein Schlag ins Gesicht der Vernunft und für mich eine andauernde Provokation.

    Vielleicht wäre ich etwas milder gestimmt, stünde in den Statuten dieser Seelenfänger etwas von Umwelt achten und erhalten,



    aber nein, der Mensch ist die Krone der Schöpfung und muß sich die Erde untertan machen… die eigene Religion ist die Einzige, die anderen sind nur Falschgläubige.



    Aber am schlimmsten sind die Atheisten - die Sprache verrät es - sie sind die Gottlosen, die ohne Glauben, die Feinde aller Gläubigen, weil sie es wagen ihren eigenen



    Verstand zu benutzen…

    Man muß sich mal diesen (staatlich unterstützten) Schwachsinn vor Augen halten - die erste Information über unsere Welt und den Kosmos erfährt man im Religionsunterricht,



    die meisten wissen ja was dort verzapft wird, anschließend kann man sich im Biologie-, Physik- und Chemieuntericht das reale Bild unserer Welt selber zusammenbasteln.



    Sofern man in einem Land lebt, wo die Evolution gelehrt wird.

    • @Karo:

      "Der öffentliche Raum muß für alle Menschen gleichermassen neutral sein, dort haben religiöse Symbole nichts verloren - auch keine Kippa !"

      Sie sind sich schon bewusst, dass Diskriminierung in reinster Form ist, die Sie hier nahelegen, oder? Der Punker oder modebewusste Exentriker darf herumlaufen wie er will, aber alles was sich mit Religion in Verbindung bringen lässt nicht? Entweder ist alles erlaubt oder gar nicht. Und da es Sie genau nullkommanix angeht, wie Menschen entscheiden sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, ist es dann offensichtlich Ersteres.

      • @Snip Snap:

        Dieser Vergleich ist doch völlig unproportioniert.

        Wir reden hier von Jahrhunderte alten religiösen Machtblöcken, von Glaubensgemeinschaften mit großem politischen und gesellschaftlichen Einfluss, deren Zugehörigkeit Kraft Geburt, Taufe oder sonstiger Rituale entsteht, die nur innerhalb der eigenen Religion heiraten dürfen, deren Zugehörigkeit nicht ohne weiteres gekündigt werden kann ohne Sanktionen zu erleiden, die schon von Kindesbeinen an indoktriniert werden, gegen ihren Willen beschnitten usw. den ganzen irrationalen Blödsinn eben, der Religionen schon immer ausgezeichnet hat.



        Zur Erheiterung an diesem sonnigen Samstagnachmittag, empfehle ich diese pittioreske Seite mit religiösen Kopfbedeckungen… es sind unzählige - da wirken Punker phantasielos dagegen…

        www.dieter-philipp.../sammlung-philippi

    • @Karo:

      Sie haben das Problem voll erkannt, ich als Atheist will halt als Atheist leben, ich verlange keinem anderen, es mir gleich zu tun - was die heutigen Religionen alle machen. Wenn die Religiösen endlich lernen würden, ihre Religion zuhause und in der Kirche auszuüben, hätten wir alle ein Problem weniger.

      • @Friedrich Grüner:

        Öhm?! Sehen Sie hier irgendwo Religiöse in dieser Diskussion hier. Irgend jemanden Religiösen, der von Ihnen fordert, Sie mögen doch bitte mit ihrem Atheismus „zuhause“ bleiben, weil wir dann ein Problem wenige hätten?

      • @Friedrich Grüner:

        Ich wusste gar nicht, dass Atheisten seit Jahrhunderten verfolgt, entrechtet und deren Endlösung im 20. Jahrhundert beschlossen und beinahe umgesetzt wurde oder dass man ihnen im 21. Jahrhundert wieder androht, in Gaskammern zu landen.

      • @Friedrich Grüner:

        Lustigerweise schreiben Sie das unter einen Artikel zum Judentum, wo es um das Tragen einer Kippa aus Solidarität geht.

        Die rabbinischen Strömungen des Judentum missionieren nicht oder haben Sie schon mal Leute in der Fußgängerzone getroffen die Ihnen die Thora in die Hand drücken wollten?

        Sollten Sie ungelöste Probleme mit Ihren christlichen Kirchen haben, klären Sie das mit denen oder werden endlich erwachsen, es sind nicht mehr die '60 wo der Pfarrer predigt, christliche Menschen wählen eine christliche Partei, nicht mal bei den Katholiken gehen 10% in die Kirche und noch weniger halten sich da an die Regeln.

        Und was stört Sie denn so in Ihrem Alltag? Wenn Sie nicht gerade für die Caritas arbeiten, dürften Ihre Berührungspunkte mit egal welcher Religion nicht allzu groß sein.

        • @Sven Günther:

          Es ist naiv zu glauben, Kirchen hätten keinen Einfluß, nur weil sie nicht in der Fußgängerzone missionieren.



          Stichwort §218, 219, die Diskussion wird doch massiv von den Moralvorstellungen der Kirchen beeinflusst..



          Thema Sterbehilfe - in diesem Zusammenhang wurde schon von einer unheiligen Allianz der chrstl. Kirchen mit der Pharmaindustrie gesprochen.

          Gehälter und Renten unser Pfarrer und Priester werden zu 100 Prozent aus unseren Steuergeldern bezahlt, auch von mir,



          obwohl ich keiner Kirche angehöre.



          Dabei sind die Kirchen reich, zählen immer noch zu den größten Wald- und Grundbesitzern.

          Und nur der Umstand, daß es für unsere Medien von geringem Interesse ist, heißt nicht, daß Dirkriminiereung von Atheisten nicht stattfindet.



          Sogar die Deusche Bundesbahn läßt gegenüber Atheisten Neutralität vermissen - mit dem Hinweis auf mangelnde Neutralität - ein Witz wenn es nicht so ernst wäre:

          kritisches-netzwer...kulare-buskampagne

          • @Karo:

            Nochmal, "Sollten Sie ungelöste Probleme mit Ihren christlichen Kirchen haben, klären Sie das mit denen"

            Das hat nichts mit den jüdischen Gemeinden zu tun.

  • Wie so viele, tut sich auch hier der Autor schwer damit, Antisemitismus der nicht von Rechts kommt, zu thematisieren.



    Augen zu und in der Blase bleiben.

  • Kommentar entfernt. Bitte bleiben Sie sachlich. Danke, die Moderation

  • Es war umgekehrt, die Initiative ging von der jpschen Gemeinde aus. Sie hat sogar enormen Druck auf die Regierung gemacht, damit ein Beauftragter eingesetzt wird. Volker Beck sollte es machen. Über Jahre blockte die Regierung.

    Was bewegte die Gemeinde? Hier mein persönlicher Eindruck, aber Vorsicht, er ist fast verschwörungstheoretisch:



    Es wurde sehr klar, dass die Stimme der Gemeinde nicht wahrgenommen wurde. Von der Regierung überhaupt nicht und von den Medien nur selten. Fast schon verzweifelt wirkten Schuster und co. als sie vor der Haß-Politik der AfD warnten (damals noch unter Bernd Lucke) und sie ein Verbot forderten. Reaktion: NULL.



    Kaum war der Beauftragte eingesetzt, änderte sich die Wahrnehmung schlagartig, Hans-Georg Maßen wurde endlich entlassen, ein Verbot der AfD geprüft. Aber auch Kleinugekiten änderten sich: Der Rat, keine Kippa zu tragen, den Schuster seit Jahren erteilt, und ein unerträglicher Zustand für die Gemeinde war, wird jetzt plötzlich wahrhenommen.

    Das ist, denke ich, der Sinn hinter den Beauftragten. Er ist immens wichtig für die jüdische Gemeinde. Daher geht der Text, mein persönlicher Eindruck, am Thema vorbei.

  • Dieses elende Relativieren von muslimischem Antisemitismus. Antisemitismus der nicht von rechts kommt, passt manchen anscheinend partout nicht ins Weltbild. Es hilft aber nichts, sich die Fakten zurechtzubiegen. Die Realität holt einen ein. Der Autor fragt sich ernsthaft welches "Gewicht" und welche "Intensität" muslimischer Antisemitismus in Deutschland hat?



    "Al-Quds" heißt "Jerusalem" auf Arabisch und der Al-Quds-Tag wird jährlich vom Iran im Rahmen eines gesetzlichen Feiertags genutzt, um zur Befreiung Israels von den "zionistischen Besatzern" aufzurufen. Dabei rufen dann in Berlin auf deutschem Boden Menschen so was wie "Jude, Jude feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein", wie 2018 geschehen.



    Dieses Bahnbrechen eines eklatanten Antisemitismus ist Symptom für einen muslimischen Antisemitismus, den die meisten Muslime von Kindes an eingetrichtert bekommen. Er existiert unbezweifelt, wird diskutiert, wird erforscht und bewegt Juden zum Auswandern aus Deutschland. Es ist auch nicht neu, dass Antisemitismus schwer statistisch zu erfassen ist, denn antisemitisch motivierte Straftaten werden entweder nicht polizeilich explizit als solche erfasst, oder sie werden dem Staat erst gar nicht bekannt. Da helfen auch ein Dutzend Vereine wie RIAS nicht, um dieses Problem zu lösen. Sich alleine auf deren Statistik zu berufen, um die Situation in Deutschland zu analysieren, halte ich sogar für töricht.



    Anders als solche relativierenden Beiträge von Soziologieprofessoren, die rechten Antisemitismus für das größte Problem halten und Nebenschauplätze, wie die Hinterfragung der weltanschaulichen Gesinnung des Antisemitismusbeauftragten, eröffnen, bräuchten wir am Datum des diesjährigen Al-Quds-Tag vielmehr eine klare Benennung des Übels: Muslimischer Antisemitismus.

    • @grim:

      "Es ist auch nicht neu, dass Antisemitismus schwer statistisch zu erfassen ist, denn antisemitisch motivierte Straftaten werden entweder nicht polizeilich explizit als solche erfasst, oder sie werden dem Staat erst gar nicht bekannt. Da helfen auch ein Dutzend Vereine wie RIAS nicht, um dieses Problem zu lösen. Sich alleine auf deren Statistik zu berufen, um die Situation in Deutschland zu analysieren, halte ich sogar für töricht."

      Aha, wenn die Statistiken so unzuverlässig sind und es keine wirklich aussagekräftigenDaten gibt, woher nehmen Sie denn ihr felsenfestes Urteil, dass der muslimische Islamismus das Hauotproblem ist, wenn nicht aus Ihrem Hinterteil?

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Leider so etwas von Falsch, nicht Jüd*innen sollten hauptsächlich gegen JEDEN Antisemitismus auf die Strasse gehen usw. sondern die Gesamtgesellschaft, weil Antisemitismus die Gesellschaft angreift.

    Wer einen von uns angreift, greift uns Alle an!

    Die Würde aller Menschen muss täglich verteidigt werden:

    Bsp.:

    Gleichstellungspolitik muss nicht nur von Frauen gemacht werden, wir müssen unabhängig von unserer eigenen Chromosomenzahl etc. für Trans*menschen - gemeinsam - kämpfen!

  • Sehr guter Kommentar, vielen Dank!



    Ich finde es daneben, gerade zu al kuds zum Kippatragen aufzurufen. Ehrlich, das ist ein rein politisches Zeichen (wir erinnern uns, ganz einseitig wird gerade der Status von Jerusalem verändert ohne "Deal") und hat nichts, aber auch garnichts, mit einem Eintreten gegen Judenfeindlichkeit zu tun! Schande über diejenigen, die das Thema wieder highjacken wollen! Gerne Kippa an jedem anderen Tag, aber noch besser: widersprecht den Rassisten im Alltag!! Jüdischer Name oder dunkelhäutig, beides kein Spaß in Deutschland.