Gartengestalter über Bezüge zur Natur: „Durch Beobachtung verstehen“

Für den Landschaftsgestalter Gilles Clément ist jeder Garten eine Schule. Ausgehend von diesen philosophiert er über Klimawandel, Ökonomie und Widerstand.

Der teils von Clément gestaltete Parc André Citroën entstand 1992 auf dem Gelände einer Citroën-Fabrik Foto: Ben­ja­min Leterrier/afp

taz: Herr Clément, benutzen Sie Antimoskitospray?

Gilles Clément: Nein, niemals. Hier, in diesem Teil Frankreichs, im Département Creuse, wo ich meinen Garten habe und von Frühling bis Herbst wohne, gibt es wenig Mücken. Zudem haben sich in einem kleinen Wasserbassin vor meinem Haus Libellenlarven angesiedelt, die insbesondere Mückenlarven essen. Meine Antimückenmittel sind also Larven. Das ist das Tolle an Diversität: ein beständiger Ausgleich.

Sie leben nicht nur mit einem Garten, sondern Sie leben nach seinen Gesetzen. Auch Ihr Haus soll offen für Pflanzen, Tiere und Menschen sein. Wie kultivieren Sie diese Offenheit?

Ich habe es schon im Kindesalter als Wunder empfunden, dass Raupen zu Schmetterlingen werden können. Diese eigentlich unvorstellbare Metamorphose war der Antrieb, mich für das fantastische Potenzial anderer Lebensarten als der des Menschen zu faszinieren. Durch Beobachtung habe ich gelernt, dass sich ein Ökosystem mit großer Diversität gut selbst reguliert. Das bringt mich dazu, nach dem Prinzip der Offenheit und nicht nach dem des Ausschlusses zu leben. Daher habe ich mich auch von allen Pestiziden oder Gegenmitteln befreit, die nur dafür gemacht wurden, eine Art zu töten. Letztlich töten sie. Zudem deregulieren sie das System.

geboren 1943, ist Gärtner, Landschaftsgestalter, Künstler, Pädagoge und Autor. Er hat in Frankreich und in anderen Ländern zahlreiche Landschaftsgärten (wie den Parc André Citroën in Paris oder die Domaine du Rayol am Mittelmeer) gestaltet. Forschungsreisen führten ihn unter anderem nach Australien und in afrikanische Länder. Er veröffentlicht Erzählungen und Schriften zu seinen Ideen der Gartenkunst. Auf Deutsch sind erschienen: „Die Weisheit des Gärtners“, „Gärten, Landschaft und das Genie der Natur“ (beide Matthes & Seitz) sowie „Manifest der Dritten Landschaft“ (Merve Verlag).

Sie haben Ihr ganzes Leben lang Gärten kreiert. Eine Ihrer Grundüberzeugungen ist, dass ein Garten – und auch die Erde als Ganze bezeichnen Sie als einen solchen, als planetarischen Garten – in Bewegung ist und keine Grenzen akzeptiert. Wie also definieren Sie einen Raum?

Es gibt keine biologischen Grenzen, mit einer Ausnahme: den klimatischen Grenzen. Für den Wind, die Vögel und alle anderen Tiere, die Samen von hier nach dort transportieren, existieren administrative Grenzen und Eigentum nicht. Was es dagegen gibt, ist eine gewisse Mission eines Gebiets, die Arten, die sich darin ansiedeln, zu versorgen. Diese Mission ist immer auch mit einem Wandel verbunden, ansonsten könnte das Terrain sich nicht erhalten. In Bezug auf den Klimawandel heißt das zum Beispiel: Das Leben eines Territoriums versucht sich anzupassen. Es kann sich nicht wie zuvor erhalten und auch nicht künstlich erhalten werden.

Die Rolle des Gärtners, so schreiben Sie in einem Ihrer Bücher, sei die eines „Grenzenkünstlers“. Er sorge dafür, dass die geschaffene Form sowohl den Sinn des Projekts als auch den Respekt vor dem Leben enthalte. Wie gestaltet sich diese Grenzkunst?

Das Wort Garten geht auf zwei Ursprünge zurück: Paradies und Gehege. Das Gehege wurde von den ersten sesshaft gewordenen Nomaden geschaffen. Statt die Früchte am Wegrand während ihrer Wanderungen zu sammeln, haben sie das Beste aus ihrem Erfahrungsschatz ausgewählt, um es an einem geschützten Platz zu züchten. Die Grenze hat also eine Schutzfunktion, um etwas Kostbares zu bewahren. Was jedoch nur funktioniert, solange andere Lebensweisen nicht darunter leiden. Die Kunst besteht letztlich darin, das, was kultiviert wird, nicht auf Kosten anderer zu kultivieren.

Sie sagen, man müsse im Garten anfangen, um einer Dynamik zu entkommen, mit der ein „McDonald’s-Teil der Erdoberfläche“ viele Gesellschaften mit sich reiße. Durch Beobachten sei ein anderes Zusammenleben zu erlernen. Braucht es dafür einen eigenen Garten?

Generell ist die Beobachtung des Lebendigen schwierig, weil sie in den Schulen und Universitäten kaum gelehrt wird. Wenn man in die Natur geht, dann geschieht dies, um Sport zu treiben, um Fotos zu machen, Partys von mir aus. Die Natur ist ein Ort geworden, wo Erwachsene sich aufführen wie Kinder. All das hat nichts mit einem Sinn für das Lebendige zu tun.

Ein Garten verpflichtet einen zu begreifen, was darin passiert. Auch wenn man keine wissenschaftliche Bildung hat, kann man durch Beobachtung Stück für Stück lernen und verstehen. Leider kann nicht jede Person einen eigenen Garten als Beobachtungsgrundlage haben. Aber es gibt zum Glück immer mehr Gemeinschaftsgärten und es wäre auch möglich, das Konzept von öffentlicher Parks in diese Richtung zu entwickeln.

Nicht zuletzt das Coronavirus hat unseren Bezug zur Natur verändert. Als scheinbar sicherer Rückzugsort, aber auch als Ort zukünftigen Lebens. Wie nehmen Sie diese Tendenz wahr?

Rauszugehen in die Natur, um dem Virus zu entkommen, ist natürlich eine Illusion. Als gäbe es Reservate, in die ein Virus nicht eindringen kann. Es ist überall. Wir leben, auch wenn wir keine Fische sind, im Wasser und vom Wasser. Die Atmosphäre ist nichts als Wasser. Wir sind darüber beständig im Kontakt mit Mikroorganismen. Mehr als das: Wir nehmen auch beständig Mikroplastik zu uns, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Ich sehe jedoch einen Sinn in der Bewegung aus den Städten hinaus aufs Land. Diese Bewegung wertet aufgegebene Regionen wieder auf und eröffnet Möglichkeiten. Das Départment Creuse, in dem ich lebe, ist beispielsweise sehr dünn besiedelt. In den letzten drei Jahren sind aber wieder Menschen hinzugezogen. Plötzlich sind sie mit Grünflächen vor den Häusern konfrontiert und fangen an zu lernen, was eine Pflanze ist, welche Schmetterlinge und Vögel es gibt. Sie lernen etwas Konstruktives über das Leben.

Noch wichtiger ist, dass es junge Menschen gibt, die aus den Universitäten kommen und sagen: „Wir wollen nicht so leben, wie es uns beigebracht wurde, wir wollen anders leben.“ Sie haben die ernsthaften Probleme, die wir unserem Planeten bereiten, erkannt. Wir wissen noch nicht, wie es ihnen gelingen wird, etwas zu ändern. Aber ich bin sicher, dass wir von ihnen lernen können.

Für die Zukunft der Erde schlagen Sie vor, dass auch der Ökonom nach den Prinzipien des Gärtnerns arbeiten solle. Das heißt, nach Ihrem Motto „So viel möglich dafür, so wenig wie möglich dagegen tun“?

Ein Ökonom wäre jemand, der uns beibringt, so wenig wie möglich zu konsumieren, um so wenig wie möglich Ressourcen erschöpfen zu müssen und sie so viel möglich zu erhalten.

Das ginge mit einer größeren ökonomischen Unabhängigkeit einher?

Für eine Ökonomie der Unabhängigkeit könnten wir uns von einem Sprichwort leiten lassen: „Lege nicht alle Eier in denselben Korb.“ Denn züchtet man nur Hühner und legt deren Eier in denselben Korb, dann hat man nichts mehr, fällt dieser um. Wer nicht nur auf Hühner setzt, muss sich diese Sorgen nicht machen. Dieses Gesetz gilt nicht nur für die Agrikultur, sondern auch für die Erde. Die Monokultur, die einseitige, industrielle Ausnutzung des Bodens, ist das Gefährlichste, was wir ihr antun können. Die Monokultur zerstört beides: den planetarischen Garten und die Wirtschaft.

Das Beispiel der Weizenproduktion in der Ukraine ist doch unglaublich. Was ist mit uns passiert, dass wir einen Krieg in Europa brauchen, der eine Hungersnot in anderen Ländern der Welt auslöst, weil ein großer Teil des weltweiten Grundnahrungsmittelbedarfs in einem einzigen Teil der Erde produziert wird? Der Korb fällt um, und wo führt das hin? Wie kann die Menschheit zu solch einer Dummheit fähig sein?

Als Nicolas Sarkozy an die Macht kam, hatten Sie die Zusammenarbeit mit staatlichen Re­prä­sen­tan­t:in­nen bis auf Weiteres aufgekündigt. Kann der zeitgenössische Garten ein Ort des Widerstands sein?

Ja, ein Garten, in dem ich die Entfaltung des Lebens beobachte und davon lerne, kann für mich ein Ort des Widerstands sein, selbst wenn ich das nicht intendiert hatte. Ein Ort auch, sich dem Markt eines falsch verstandenen Wachstums zu entziehen. Wenn der Garten ein Ort ist, an dem ich das Leben erhalte, dann wird er eine Möglichkeit des Widerstands.

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