Game-Expertin über die Spiele der Nazis: „Eine Gamefizierung von Terror“
Computerspiele boomen – was Rechtsradikale geschickt ausnutzen. Die Gamerszene muss sich eindeutiger von ihnen distanzieren, fordert Veronika Kracher.
Laut „Game“, dem Verband der deutschen Games-Branche, spielen mittlerweile mehr als 40 Prozent der Deutschen regelmäßig Computerspiele. Das Klischee vom Nerd im Jugendzimmer hat also ausgedient, Eltern zocken inzwischen genauso viel wie ihre Kinder. Dieser kulturelle Wandel macht das Feld der Computerspiele auch interessant für Rechte aller Couleur.
Nicht zuletzt durch den Terroranschlag von Halle steht die Gamer-Szene im Fokus: Attentäter Stephan B. hatte auf der Spieleplattform „Steam“ mehrfach über seine rechtsradikalen Ansichten Zeugnis abgelegt und seinen Anschlag auf eine Synagoge wie einen Gaming-Live-Stream inszeniert. Die kritische Aufarbeitung dieser Entwicklung steht erst am Anfang. Das bewegt auch Veronika Kracher, die bei der Initiative „Keinen Pixel den Faschisten“ mitmacht.
taz: Veronika Kracher, vergangenes Jahr wurde das Spiel „Heimat Defender“ wenige Wochen nach der Einführung indiziert. In dem Spiel kämpfen Neonazis als Helden in Antifazonen. Figuren wie Björn Höcke und der Identitäre Martin Sellner sind Avatare. Wie kam das an?
Veronika Kracher: Das Spiel selbst wurde belächelt. Es war leicht als plumpe Propaganda zu durchschauen, obwohl vordergründing nur Interessierte in der Gaming-Community angelockt werden sollten. Es scheint aber, dass dabei Metapolitik im Fokus stand. Kalkül war, dass das Spiel von den Verkaufsplattformen genommen wird und Medien negativ darüber berichten. Schlechte Publicity trat dann ein und stützte das Narrativ, das auch im Spiel selbst vertreten wird: Es behauptet, wir leben in einer Meinungsdiktatur und niemand darf mehr öffentlich Kritik üben.
Bei Nazi-Musik hat man in den letzten Jahren einen neuen Trend gehört: Während in den Neunzigern Rechtsrock benutzt wurde, um Fans derselben Ideologie auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, versucht man inzwischen, mit Nazi-Rap von Protagonisten wie Chris Ares eine hippe, unpolitische Klientel anzusprechen. Ist das vergleichbar mit der Strategie hinter „Heimat Defender“?
Musik und Game ergänzen sich. Es bleibt festzuhalten, dass die Radikalisierung nach rechts heute generell online stattfindet. Über Imageboards wie 4chan und 8kun und Meme-Kultur ist die Anwerbung sehr niedrigschwellig geworden. Gerade gruppenbezogener Menschenhass, Antifeminismus und Queerfeindlichkeit lassen sich als Bezugspunkte auch in Computerspiele einbauen. Im Fall von „Heimat Defender“ gab es Karikaturen von queeren Menschen als Feindbilder zu bekämpfen. Dass es dennoch nicht klar als „Nazi-Spiel“ zu erkennen ist, sondern locker-lustig solche Themen verhandelt, ist dabei ein Türöffner: Interessierte sollen nicht abgeschreckt werden. Bereits Indoktrinierte sollen mit allerlei Referenzen und Witzen bei Laune gehalten werden.
Bei der Diskussion über Computerspiele gibt es eine Fixierung auf Shooter, auf Spiele also, in denen die Lösung mit Waffen herbeigeführt wird. Was kommt heraus, wenn man so zwischen guten und bösen Spielen auf einer oberflächlichen Ebene debattiert?
Die Killerspieldebatte, wie sie nach dem Amoklauf in Erfurt 2002 entbrannte, ist eine Stellvertreterdiskussion. Damit lässt sich vortrefflich vermeiden, über gesellschaftlich relevante Probleme zu sprechen. Statt zu schauen, warum Spieler:Innen sich dieser fiktiven Erfahrung von Gewalt zuwenden, dämonisiert man diese per se.
Das ist zu simpel; die Alternative wäre meines Erachtens die Erkenntnis, dass Ballern sehr viel mit der Kapitalismus-inhärenten Ohnmachts- und Entfremdungserfahrung zu tun hat. Darüber will aber niemand reden. Generell ist es gerade für Journalist*innen und Politiker*innen, die wenig mit Computerspielen zu tun haben, einfacher, über die Form zu reden und nicht über den Inhalt. Das schwächt die Kritik leider.
geboren 1990 in München, arbeitet als Publizistin und Referentin in einem Monitoring-Projekt der Amadeu-Antonio-Stiftung zu Antifeminismus, Rechtsextremismus und Onlineradikalisierung. Im November 2020 erschien ihr Buch „Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults“ (Ventil Verlag, Mainz, 280 Seiten, 16 Euro).
Nun hat sich die Killerspieldebatte in Folge des Terroranschlags von Halle gewandelt. Heute stehen nicht allein die Spiele im Fokus, sondern der ganze Lifestyle. Der Attentäter hat den Anschlag live ins Internet ausgespielt und reale Gewalt wie eine herkömmliche Computerspiel-Erfahrung kommentiert.
Wenn man über Stephan B. redet, fällt ein neuer Attentäter-Typus auf. Ich nenne ihn Do-it-yourself-Attentäter. Er lässt sich als Ausdruck der rechten Idee eines „führerlosen Widerstands“ verstehen. Typen wie B. werden vornehmlich online radikalisiert und sind kein Teil einer organisierten rechten Struktur wie beim NSU und der Atomwaffen-Division. Sie agieren dennoch nicht allein, dahinter steht eine Onlinecommunity, die ihre Taten anfacht und sich radikalisiert – es findet eine regelrechte Verehrung von Mördern wie Anders Breivik statt. Der Norweger Breivik ist der Heilige dieser Onlinecommunity, der diese neue Form begründet hat.
Dazu findet auch eine Gamifizierung von Terror statt, die von den Erfolgslogiken inspiriert ist. Der Attentäter von Halle hatte sich zum Beispiel eine Liste von Achievements, also von angestrebten Zielen, angelegt. Das dient aber nicht nur dem Selbstzweck, sondern ist, worauf auch Klaus Theweleit hinweist, ein Werkzeug von Dehumanisierung. Seine Opfer als Zahlen und nicht als Menschen darzustellen vereinfacht oder ermöglicht erst die Tötung.
Hat die Gamer-Szene also ein Rechtsextremismus-Problem?
Nein, das lässt sich so nicht sagen. Aber es ist eindeutig, dass die Distanzierung der Szene von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus mangelhaft ist.
Wie könnten Lösungsansätze aussehen? Ist es ein Problem von Medien, dass Computerspiele in Print, im Fernsehen und bei den großen Onlineplattformen immer nur dann erwähnt werden, wenn es einen Skandal oder gar Straftaten gibt?
Was meines Erachtens keine Lösung wäre, was in der Debatte um Spiele seit mindestens 20 Jahren aber dennoch immer wieder gewünscht wird, ist die behördliche Überwachung. Wir wissen nicht erst seit dem NSU, dass so etwas in Deutschland nicht funktioniert. Ob es hilft, wenn Computerspiele mehr in der Öffentlichkeit stattfinden, kann ich nicht einschätzen.
Eindeutig kann ich aber sagen, dass es wichtig wäre, innerhalb der Gaming-Community – auch gegen alle Widerstände – Aufmerksamkeit für das rechtsradikale Problem zu erzeugen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit darf nicht geduldet werden und müsste mit Ausschluss bestraft werden. Da hakt es ganz gehörig.
Woher kommt das?
Die Methoden der Rechten sind geschickt: Sie testen mit Memes und (Pseudo-)Humor stets das Wasser und schauen, wer mitzieht. Wer sich dagegen wehrt und darauf verweist, dass ein rassistischer Witz nicht okay ist, wird schnell als Spielverderber:In geoutet. Das Argumentieren gegen Hass wird dann problematisiert. Eine Methode, die wir ja auch aus der Parteipolitik kennen.
Mit der Folge?
Dass Frauen, Menschen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind, diese Räume dann meiden. Für die Rechten sind homosoziale Räume das Ziel. Hier kann jeder, der nicht dazu gehört, dann als nichtzugehörig und gar als Feind markiert werden.
Sie sind Teil des zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses „Keinen Pixel den Faschisten“. Was verbirgt sich hinter dieser Initiative?
Es ist eine Gemeinschaft aus Spieler:Innen, Entwicklerstudios, Medienschaffenden und Forscher:Innen. Wir versuchen gemeinsam ein Gegengewicht darzustellen und aufzuklären. Auf unserer Homepage gibt es Informationen und Stellungnahmen; etwa eine lange Aufarbeitung von Gamergate (so wird der sexistische Shitstorm von 2014 gegen weibliche Beschäftigte in der US-Spiele-Industrie genannt. Er gilt als Geburtsstunde der Vereinnahmung der Games-Community durch Rechte).
Die Beteiligten wollen die Beißreflexe der Szene aushebeln und klar machen: Es ist nicht okay, rassistische Witze zu machen. Da muss die Community mitziehen.
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