Gärtnerei in Vorpommern: Für rote Beten ohne Taille
In seiner Gärtnerei experimentiert Olaf Schnelle mit Pflanzen, die fast in Vergessenheit geraten sind. Manche schaffen es in die Hände von Sterneköchen.
Es gab einen Plan: An diesem Mittwoch im April sollten Schwarze-Johannisbeer-Hölzer bearbeitet werden. Sie stammen aus einer Baumschule, dort gelten sie als etwas Überschüssiges, Unbrauchbares. Doch wo andere an Müll denken, fängt Olaf Schnelle an zu experimentieren. Mit Öl und Essigen will er das Cassisaroma aus den geretteten Hölzern locken.
Nach so was sucht Schnelle: Nachhaltiges, das allen dient. „Manchmal klappt’s“, sagt er lachend. Heute nicht: Es ist so windig und kalt, dass er niemanden raus zu den Hölzern schicken möchte.
Olaf Schnelle ist Gärtner, er lebt und arbeitet im Trebeltal, dem südlichsten Zipfel Vorpommerns. Hier hat der 55-Jährige die Geräuschlosigkeit gefunden, sagt er. Zwischen riesigen Rapsfarmen, die sich in alle Richtungen erstrecken. Ausgerechnet an diesem Ort hat sich Schnelle der Idee verschrieben, den Boden vielfältiger und fruchtbarer zu hinterlassen, als er ihn vorfindet.
Was dabei herauskommt, macht das winzige Dorf Dorow bei denen bekannt, die man als Spitze der deutschen Gastronomie bezeichnet. Denn in Dorow wird zum Beispiel aus den Gräsern, die früh im Sommer zwischen Margeriten und Karottenblüten stehen, Heu gemacht, das eine Berliner Sterneküche später zu Eis verarbeitet.
Buntes Wirrwarr auf den zweiten Blick
„Schnelles Grünzeug“ heißt die Gärtnerei, in der Pflanzen und Kräuter wachsen, die es in Deutschland sonst kaum noch gibt. Nach einem wiederentdeckten althergebrachten Prinzip, das sich „Market Gardening“ nennt: Auf kleinster Fläche wird möglichst dicht und dabei vielfältig gepflanzt, der Boden aber wird kaum bearbeitet. Olaf Schnelle richtet sich explizit nicht danach, mit welcher Maschine man die meiste Arbeit spart. „Sonst baust du die Pflanzen nach Maschinenbedürfnissen an, und nicht mehr nach Pflanzenbedürfnissen“, sagt er.
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Um den Arbeitsaufwand dennoch gering zu halten, ist auch in Schnelles Gärtnerei alles standardisiert, die Beete, die Wege, die beweglichen Gewächshäuser. Auf den ersten Blick wirkt das merkwürdig aufgeräumt, unnatürlich akkurat. Erst wenn man mittendrin steht, offenbart sich das bunte Wirrwarr, das sich in den Beeten eng aneinander drängt.
In einem davon keimt zwischen Rettich und Fenchel Unkraut. Das wird nicht abgehackt, weil dabei zu viel Erde bewegt werden würde, erklärt Schnelle. Weniger zerstörerisch und auch weniger mühsam sei es, wenn man die Beete mit einer Mulchschicht aus frischem Rasenschnitt versehe. Dadurch wird das Unkraut abgedeckt, es entwickelt sich genau wie das Gras zu Futter für Mikroorganismen.
Neben der natürlichen Düngung sorgt diese Technik für einen geringeren Wasserverbrauch und einen gleichmäßigen Wuchs, sodass der Roten Bete keine Taille wächst. Schnelle kniet sich auf ein Beet und gräbt beide Hände tief in den Boden. Die Erde ist ganz weich, voll von den kleinen Kringeln aus Regenwurmkacke, auf die der Gärtner stolz ist.
„Geht’s auch besser, anders, schöner?“
Fast absurd, dass es ein Grund zur Freude ist, wenn der Boden erdig riecht. Doch schon als Olaf Schnelle auch im Feld des Nachbarn beide Hände in die Erde graben will, fällt der Unterschied auf. Der Boden ist hart und bröselig, die Brocken riechen säuerlich, auch salzig. Hier beginnt die Monotonie der Masse, das Land, auf dem unzählbar viele, noch kleine Rapspflanzen wachsen.
Schnelle spricht über fehlgeleitete Agrarpolitik; auch deswegen, weil er die Folgen aus nächster Nähe beobachten kann. Was zuerst wie Verbitterung anklingt, entpuppt sich als Mitgefühl. Die Offenheit dafür, Gewohntes neu zu probieren, hat Schnelle auf einen Weg gebracht, der für ihn zu funktionieren scheint. „Ich hatte Glück“, sagt er nur.
Das war nicht immer so. Mit seinem ersten Unternehmen scheiterte Olaf Schnelle. Statt um Wildkräuter wie Giersch und Vogelmiere ging es bald immer mehr ums Geschäft, die Zusammenarbeit mit einem Investor schlug fehl. „Ich hatte die Details übersehen“, sagt er über diese Zeit, auf der seine heutige Arbeit gründet. „Die Details siehst du oft nur, wenn du an den Beginn zurückgehst: Muss immer alles so sein, wie wir es machen? Geht’s auch besser, anders, schöner?“
Direkt gegenüber seiner Anbaufläche steht der moderne Bungalow, in dem er sich diesen Fragen heute widmet. Die Menschen, die hier arbeiten, nennen das Haus „Fermentebude“. Es riecht nach Essig und Gewürzen, säuerlich, kräftig. Aus großen, weißen Eimern schöpfen sie fertig fermentiertes Gemüse, daneben gärt schon die nächste Ladung.
Die vier Angestellten werden von vier Praktikant:innen unterstützt. Der Platz ist fast zu eng, aber Schnelle wollte niemandem absagen. Außerdem schätzt er, wie sehr sein Geschäft von neuer Inspiration profitiert: Praktikantin Nina Janoschka, eine gelernte Köchin, ist Ideengeberin, aber auch Schaltzentrale der Fermentebude. Ihr gefällt, dass schon im Boden und später auch hier im Labor alles von Bakterien bestimmt wird.
Mehr als Bio
Manchmal beobachten sie und die anderen die Bakterien durch ein Mikroskop. Nicht als Qualitätskontrolle, sondern aus Neugier. Was machen Bakterien? Schnelle lacht: „Die lungern so rum.“ Und sie machen aus Spitzkohl und Chili das „Ostsee Kimchi“, aus Kombinationen wie Karotte-Holunder oder Weiße-Bete-Lavendel machen sie Produkte, die sich gut verkaufen.
Eigentlich sei das Fermentieren aus der Not geboren, sagt Schnelle. Damit er seine professionelle Kundschaft zuverlässig beliefern kann, muss er überproduzieren – was er nicht verkauft, fermentiert er und macht es dadurch haltbar.
Wieder einmal fügt es sich für den Mann, der kein Unternehmer sein will. Der nicht von ökonomischen Überlegungen, sondern seiner Überzeugung getrieben scheint. Denn auch die Fermente kommen gut an, etwa bei Sven Elverfeld, der in Wolfsburg das Drei-Sterne-Restaurant Aqua führt. Micha Schäfer vom Berliner Nobelhart & Schmutzig setzt wie auch Matthias Schmidt in der Frankfurter Villa Merton auf radikale Regionalität.
Mit seiner Gärtnerei und dem Fermentierlabor kann Schnelle aber noch mehr als das bedienen: „Wenn ein Koch bei einem internationalen Event irgendein Gemüse oder Kraut sieht, das er nicht kennt, macht er heimlich ein Foto davon und schickt es mir“, verrät Schnelle. Er könne das Gewünschte dann ziemlich oft besorgen.
Gerade hat Schnelle einem Biohotel in der Nähe 600 Kilogramm Rote Beten abnehmen können, die dort pandemiebedingt nicht verkocht werden konnten. Die Rüben hat er zusammen mit grüner Fenchelsaat fermentiert, mittlerweile stehen dutzende Packungen davon im begehbaren Kühlschrank. An das Hotel dürfte er sie nicht zurückverkaufen, weil er seine Biozertifizierung abgegeben hat.
Schnelle findet, dass die Bioverbände stehengeblieben und insgesamt zu lasch seien. Ein anderer Grund dafür, dass er auf das Biosiegel verzichtet, ist, dass er es nicht braucht. Seine Kundschaft aus der Gastronomie weiß, dass sie bei ihm etwas bekommt, was über Bio hinausgeht.
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