GDL-Chef und der Bahnstreik: What a man
Alle hassen Claus Weselsky. Dabei ist der oberste Lokomotivführer ein richtig harter Hund – einer, der genau in dieser Position gebraucht wird.
Diese Stimme. Dieses Bärtchen. Und dann auch noch der Dialekt. Claus Weselsky verfügt über die äußerlichen Merkmale einer Witzfigur. Der GDL-Vorsitzende scheint irgend so ein Simpel zu sein, der immer noch nicht mitgekriegt hat, dass die Rotzbremse und der Messerformschnitt seit 1989 modische No-gos sind. Und dass im entwickelten Kapitalismus gemacht wird, was der Fabrikbesitzer, in diesem Fall das Staatsunternehmen Bahn AG, anordnet. Damit Ruhe ist.
Aber ein Simpel ist der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer offenbar nicht. Im Gegenteil. Das ganze Land zittert vor dem Mann.
Seit bekannt wurde, dass die GDL den Schienenverkehr lahmlegen will, wird gegen den Sachsen Stimmung gemacht. Die Bild gibt ihn als „Größen-Bahnsinnigen“ zum Abschuss frei und druckt auf Seite eins seine Frankfurter Büronummer ab, verbunden mit der Aufforderung: „Geigen Sie dem Gewerkschafts-Boss die Meinung!“
Focus online hat Weselskys Wohnhaus fotografiert. Und obwohl sich eigentlich alle langsam wünschen, diese 9.-November-Festspiele mögen alsbald zum Ende kommen, ist der Geiselnehmer Weselsky jetzt auch noch schuld daran, dass Cousine Ingeborg aus Pirna nicht gemeinsam mit Vetter Ewald aus Coburg am Sonntagabend am Brandenburger Tor „Stößchen!“ machen kann. Unsere ganze schöne deutsch-deutsche Besinnlichkeit, mäh mäh!
Latrinenparolen? Kein Kommentar
Und was macht Claus Weselsky? Steht wie eine Eins im Shitstorm. In Interviews erläutert er zum dreihundertsten Mal die Verhandlungslage. Dass die Öffentlichkeit an lästigen Details nicht unbedingt interessiert ist – geschenkt. Weselsky teilt mit beiden Fäusten aus.
Der strengen ZDF-Moderatorin Marietta Slomka erklärt er, er sei „es leid, irgendwelche Latrinenparolen zu kommentieren. Wir sind diejenigen, die entscheiden.“ Und „Tagesthemen“-Frau Pinar Atalay sagt er, seine GDL-Mitglieder würden nicht zum Streik gezwungen und sich auch nicht dem Zorn der Fahrgäste aussetzen, weil „hier jemand steht, der gern in eine Kamera redet“.
Total unsympathisch, weiß Gott. Dennoch ist dieser Kotzbrocken Weselsky eine coole Sau. Guten Lobbyisten eignet nun mal eine gewisse Arschlochhaftigkeit. Man denke nur an Hartmut Mehdorn, aktuell Geschäftsführer der Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH. Der Mann ist seit Jahrzehnten als Brachial-Schnösel verschrien. Versemmelt die BER-Milliarden und stößt der Journaille Bescheid, dass es die Öffentlichkeit gar nichts angeht, wann das Ding fertig wird. So einer ist auch Weselsky. Nicht auszudenken, was passierte, wäre Mehdorn noch Bahn-Chef. Bei diesem Ego couple wäre vermutlich nie wieder ein Zug gefahren. So sind es nur vier Tage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr