Verfahrener Tarifkonflikt bei der Bahn: Der Zug rollt
… aber in welche Richtung? Die Chancen stehen schlecht, dass sich Bahnvorstand und Lokführergewerkschaft einigen und ein Arbeitskampf vermieden wird.
Berlin taz | Lässt sich ein Bahnstreik noch verhindern? In einem eindringlichen Appell hat die Deutsche Bahn die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zur Rückkehr an den Verhandlungstisch noch im Juli aufgefordert. „Es muss uns gemeinsam gelingen, einen Streiksommer zu vermeiden“, sagte Personalvorstand Martin Seiler am Donnerstag.
Die Zeit drängt: Bis zum 9. August führt die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) eine Urabstimmung unter ihren Mitgliedern über deren Bereitschaft zur Arbeitsniederlegung durch. Es kann von einer großen Zustimmung ausgegangen werden. Damit würden Streiks mitten in den Schulferien fast aller großer Bundesländer drohen.
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Die Bahn macht alleine die GDL für die verfahrene Situation verantwortlich. Eine „verantwortungslose Geisterfahrt“ und eine „Konfrontation um jeden Preis“ wirft Personalvorstand Seiler ihr vor. Demgegenüber wolle die Bahn „ein ausgewogenes und solidarisches Tarifpaket verhandeln“. Doch so einfach ist es nicht.
Oberflächlich betrachtet liegen die Forderung der einen und das Angebot der anderen Seite nicht weit auseinander: Die GDL fordert einen Abschluss, der der Vereinbarung im Öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen im vergangenen Jahr entspricht. Konkret würde das eine Lohnsteigerung um 1,4 Prozent rückwirkend ab April dieses Jahres und um noch mal 1,8 Prozent ab April 2022 bedeuten. Der Bahnvorstand will sich ebenfalls am Abschluss des Öffentlichen Dienstes orientieren – allerdings nur am Notlagen-Tarifvertrag für die Beschäftigten an Flughäfen. Das hieße: eine Nullrunde 2021, erst ab Januar 2022 ein Lohnplus von 1,5 Prozent und von noch mal 1,7 Prozent ab März 2023.
Drohende Minusrunde
Die Bahn sei „bereit, die geforderte Lohnerhöhung von 3,2 Prozent in zwei Schritten zu vereinbaren“, gibt sich Seiler konziliant. „Wir benötigen allerdings eine etwas längere Laufzeit, um die gewaltigen Corona-Schäden bewältigen zu können.“ Auf dieser Grundlage sei „eine Lösung zum Greifen nahe“. Was er nicht sagt: Der Bahnvorschlag würde zu einem Reallohnverlust für die Beschäftigten führen.
Für die GDL ist es hingegen nicht einsehbar, warum der Flughäfen-Notlagen-Tarifvertrag zum Vorbild genommen werden sollte, schließlich seien selbst in der Hochphase der Coronapandemie die Züge rund um die Uhr gefahren, während die Flugzeuge am Boden blieben. Da sei es nicht akzeptabel, die Beschäftigten „mit Minusrunden abspeisen“ zu wollen, empört sich GDL-Chef Claus Weselsky.
Problem Grundkonstellation
Gleichwohl sind die Positionen eigentlich nicht so weit auseinander, als dass sich nicht auch ohne harten Arbeitskampf ein Kompromiss finden lassen könnte. Nur gibt es einen großen Haken: Nach außen hin zeigt sich der Bahnvorstand zwar offen für Verhandlungen, de facto tendiert die Bereitschaft, sich auf die GDL zuzubewegen, jedoch gegen Null. Der Grund: Auf das, was er der GDL bietet, hat sich der Bahnvorstand bereits im vergangenen Jahr mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) verständigt. Aus seiner Sicht ist es ein Ding der Unmöglichkeit, der kleineren Konkurrenz mehr zuzugestehen. Denn das könnte die wesentlich mitgliederstärkere EVG verstimmen, mit der der Bahnvorstand von jeher ein besseres Verhältnis pflegt.
Auf der anderen Seite muss die GDL beweisen, dass sie mehr zu bieten hat als die verhasste EVG. Zudem wirft sie dem Bahnvorstand vor, sie aus dem Konzern drängen zu wollen. Es ist die gleiche Grundkonstellation, die bereits zu den Streiks 2014 und 2015 geführt hat. Ob sie sich diesmal abwenden lassen, ist völlig offen. Für die GDL geht es auch um eine Existenzfrage.
Leser*innenkommentare
Ruediger
Im Moment haben die Lokführer gute Karten, weil es viel weniger davon gibt, als die Bahn Bedarf hat. Aber jeder Streik und jeder hohe Tarifabschluss wird auch den Druck erhöhen, selbstfahrende Züge auf den Markt zu bringen.
kditd
@Ruediger Und das wäre dann der Punkt, wo a) "die Gesellschaft" entscheiden muß, ob sie diese Art der Arbeitsplatzbekämpfung ("tust du nicht was ich dir sag', zerstör ich deinen Arbeitsplatz") OK findet und b) die Passagiere, Zugbegleiter usw. sich überlegen müssen, ob sie ihr Leben für immer einem Computer anvertrauen möchten (der ist nämlich nicht perfekt und obendrein auch noch hackbar - stellen Sie sich mal vor, jemand hackt alle Züge in Deutschland).
Ich schätze, die Mehrheit hat mit beidem kein Problem - aber das ist ja kein Qualitätssiegel.
Zum Glück ist der Lokführercomputer Zukunftsmusik - die Bahn schafft es ja noch nicht mal, in allen Zügen zuverlässig Internet anzubieten.
Ruediger
@kditd Naja, Jobs die technisch obsolet sind, werden sich nicht erhalten lassen, in einem Bereich wo es schwierig ist, die vorhandenen Stellen zu besetzen, macht das schon gar keinen Sinn. Es geht ja auch darum, ein klimafreundliches Verkehrsmittel konkurrenzfähig und bezahlbar zu halten. Und irgendwann wird die Technik sicherer sein, als der Mensch.
HoboSapiens
Volle Solidarität mit der GDL!
Eine der wenigen Gewerkschaften die Ihren Namen auch verdient...
MC
@HoboSapiens Volle ZUstimmung!