G-20-Gipfel in Indien: Neueste Trends auf der Modi-Schau
Beim G20-Treffen in Delhi zeigen sich die Schwellenländer unter Führung des indischen Premierministers selbstbewusst.
Indien richtet den G20-Gipfel der Industrie- und Schwellenländer aus. Viele Bewohner:innen Delhis haben drei Tage frei und sind aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Damit sie wissen, wem sie dieses Großereignis zu verdanken haben, hat Premierminister Narendra Modi, ein Jahr vor den Parlamentswahlen, die Stadt mit G20-Grußbotschaften und seinem Konterfei zuplakatieren lassen.
Für Modi läuft es gut. Schon einen Tag vor dem offiziellen Ende des Gipfels am Sonntag konnte er einen großen Erfolg verkünden, nämlich die Einigung auf eine gemeinsame Abschlusserklärung durch die 19 Mitgliedsländer der G20 und die EU. Die Herstellung dieser Einstimmigkeit ist so etwas wie das Gesellenstück einer jeden G20-Präsidentschaft. Indien hatte von Anfang an darauf hingearbeitet, dass alle 20 Mitglieder, inklusive China und Russland, dem Abschlusskommuniqué zustimmen. Das ist gelungen, doch es hatte seinen Preis, den vor allem die Ukraine bezahlt.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist das zentrale Thema, welches die G20 auseinanderdividiert. Anders als vor einem Jahr, als sich die Gemeinschaft auf Bali in ihrer gemeinsamen Erklärung noch darauf verständigte, dass „die meisten Mitgliedsländer den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste verurteilen“, heißt es nun schwammiger: Alle Staaten sollten jede Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen, um sich fremde Territorien einzuverleiben. Das ist ein Erfolg für Russland und China und ein Dämpfer für die westlichen Industrieländer.
Alle sehen einen Erfolg, nur die Ukraine nicht
In der Ukraine ist man enttäuscht über die Ergebnisse des Gipfels. Das sei nichts, worauf die G20 stolz sein könnten, schrieb der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums Oleg Nikolenko auf X, vormals Twitter. Indien hatte auch aus diplomatischen Erwägungen verhindert, dass der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski wie im vergangenen Jahr als Gast zum Gipfel zugeschaltet wurde. Die russische Unterhändlerin Swetlana Lukasch nannte die Erklärung dagegen ausgewogen.
Russland konnte noch einen weiteren Punkt für sich verbuchen. Die G20 rufen dazu auf, die Lieferung von Düngemitteln und Getreide aus Russland und der Ukraine zu gewährleisten. Zwar sind Getreide und Dünger gar nicht sanktioniert, doch fällt diese russische Erzählung in den Ländern des Globalen Südens, wo die Getreidelieferungen seit Kriegsbeginn ausbleiben, die Preise steigen und Menschen hungern, auf fruchtbaren Boden.
Für Indien ist ein gemeinsamer Abschluss ein Muss gewesen. Der Gastgeber habe besonders hart und lange verhandelt, hieß es auf dem Gipfel. Indem er persönlich verhindert habe, dass der Ukrainekrieg, wie von den westlichen Staaten gewünscht, alle anderen Themen überschatte, habe er dem Globalen Süden wie versprochen eine Plattform geboten. Modi habe mit diesem G20-Gipfel Geschichte geschrieben und Indiens Autorität auf der Weltbühne unter Beweis gestellt. In den westlichen Industrieländern, die Indien als strategischen Verbündeten gegen China und Russland umwerben, gönnt man den Gastgebern den Erfolg und übt sich in Zurückhaltung.
Die Erklärung vertrete sehr gut den Grundsatz, dass Staaten keine Gewalt anwenden dürften, um Gebietserwerb anzustreben, so der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten Jake Sullivan. Und der deutsche Kanzler Olaf Scholz bezeichnet es „für sich genommen als einen großen Erfolg“, dass eine gemeinsame Erklärung zustande gekommen ist. Das war in der Tat fraglich.
Der ganze Ruhm geht an Modi
Noch wenige Tage vor dem Gipfel bemühte man sich im Berliner Kanzleramt, die Erwartungen zu dämpfen. Auf ein gemeinsames Dokument in der Bali-Sprache zu drängen, wäre unklug, hieß es aus dem Umfeld des Kanzlers. Es könne auch ein gutes Zeichen sein, wenn sich im Abschlussdokument Formeln wie die „Achtung der territorialen Integrität“ wiederfinden. Immerhin, das ist gelungen.
Zumindest diese Formulierung könnte Russland unter Druck setzen. Dass Russlands Präsident Wladimir Putin, der per internationalem Strafbefehl gesucht wird, nicht nach Delhi kommen würde, war lange vorher klar. Er hatte wie im vergangenen Jahr Außenminister Sergei Lawrow geschickt. Auch Chinas mächtigster Mann, Präsident Xi Jinping, war erstmals nicht selbst zum Gipfel angereist. Über seine Motive schwieg er sich aus. Man vermutete, dass er dem Rivalen Indien mit seiner Abwesenheit die Party verderben wollte.
Doch ob diese Taktik tatsächlich aufging? Wie Indien bemüht sich China um den Posten als Klassensprecher des Globalen Südens. Nun blieb Xi Jinping ausgerechnet jenem Gipfeltreffen fern, auf dem beschlossen wurde, die Afrikanische Union, die Vereinigung von 55 afrikanischen Staaten, als ständiges Mitglied in die G20 aufzunehmen. Den Ruhm dafür heimste Modi ein.
Die G20, die sich nun eigentlich in G21 umbenennen müssten, repräsentieren bereits heute zwei Drittel der Weltbevölkerung und über 80 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. Sie sind das einzige Forum, in dem Entwicklungsländer und Schwellenländer mit den Industriestaaten auf Augenhöhe diskutieren, Themen setzen und Selbstverpflichtungen eingehen können. Im diplomatischen Instrumentenkasten sind sie unerlässlich, als Bausteine und Hebel für bindende Verträge – von Klimaabkommen bis zu Friedensverhandlungen.
Lula will Putin nicht verhaften lassen
Die Gipfeltreffen und Erklärungen sind aber auch so etwas wie die Momentaufnahmen eines globalen Stimmungsbildes. Und das zeigt: Die Gewichte verschieben sich. Der Globale Süden tritt lauter und selbstbewusster auf, die westlichen Industrieländer bescheidener und zurückhaltender. Eine Entwicklung, die Scholz eigentlich begrüßt. Nach dem Gipfel betonte er, dass es darum gehe, an einer multipolaren Welt zu arbeiten, in der nicht die Macht einzelner Staaten, sondern das internationale Recht die Zusammenarbeit bestimme. Mit Ländern wie Indonesien und Indien, aber auch Brasilien und Südafrika, die die nächsten G20-Gipfel ausrichten werden, arbeite man daher gern zusammen.
Doch auch diese Zusammenarbeit hat ihre Tücken. Brasiliens Staatschef Lula da Silva, der die Präsidentschaft von Modi übernahm, kündigte umgehend an, Putin nicht verhaften zu lassen, sollte er nächstes Jahr zum G20-Treffen nach Rio de Janeiro kommen. Das ist eine explizite Einladung an den russischen Staatschef. Die Verhandlungen für den nächsten G20-Gipfel haben damit im Grunde schon begonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“