Fußballer verwarnt: Boateng kommt glimpflich davon

Ist Fußballer Jérôme Boateng ein notorischer Frauenschläger? Die Richterin im Berufungsverfahren gegen den Ex-Bayern-Star meint: Nein.

Jerome Boateng mit geschlossenen Augen

München, 19. Juli: Jérôme Boateng, Fußball-Profi, im Gerichtssaal des Landgerichts Foto: Peter Kneffel/dpa

MÜNCHEN taz | „Damit ist die Sache erledigt“, sagt Susanne Hemmerich am Ende noch. „Glücklicherweise. Nach sechs Jahren.“ Zuvor hat die Richterin rund eine Stunde lang erklärt, warum sie gegen den Fußballer Jérôme Boateng ein mildes Urteil verhängt hat. Eines, das weit unter den Forderungen der Staatsanwältin geblieben ist. Diese hatte eine Geldstrafe von 1,12 Millionen Euro gegen den 35-Jährigen gefordert. Nun wurde Boateng wegen Körperverletzung zwar verwarnt, die Strafe von nur 40 Tagessätzen à 5.000 Euro, also insgesamt 200.000 Euro, muss der Sportler allerdings nur zahlen, wenn er sich innerhalb einer einjährigen Bewährungszeit noch einmal etwas zuschulden kommen lässt. Davon unabhängig machte die Richterin die Zahlung von je 50.000 Euro an zwei Vereine für Jugendliche und Kinder zur Auflage.

Verhandelt wurde ein Streit zwischen Boateng und seiner damaligen Partnerin Sherin S., mit der er zwei Kinder hat, während eines Karibikurlaubs 2018. Die Richterin ließ es sich denn auch nicht nehmen, auf die vermeintlich magische Bedeutung der Zahl sechs hinzuweisen: Das Verfahren habe vor genau sechs Wochen begonnen, der Vorfall habe sich auf den Tag genau vor sechs Jahren zugetragen. Bei der Auseinandersetzung fielen dabei offenbar nicht nur wüste Beschimpfungen in beide Richtungen, es kam auch zu Handgreiflichkeiten, in deren Verlauf Boateng an der Lippe und seine damalige Freundin zumindest am Auge verletzt wurden.

In dem Fall waren bereits zwei Urteile ergangen, 2021 und 2022. Beide Male war Boateng zu hohen Geldstrafen verurteilt worden. Gegen das erste Urteil wurde jedoch von Staatsanwaltschaft und Verteidigung Berufung eingelegt, das zweite wurde nach entsprechenden Revisionsanträgen vom Obersten Landesgericht kassiert.

Einmal ausgerastet?

Anders als die Richter vor ihr kam Hemmerich nun zu dem Schluss, dass ein Großteil der Vorwürfe der Staatsanwaltschaft haltlos seien. So hätte sich Sherin S. in ihrer Aussage in weiten Teilen als unglaubwürdig erwiesen – ebenso wie eine Freundin, die ebenfalls mit in dem Urlaub gewesen sei und erneut als Belastungszeugin auftrat. Es sei beispielsweise nicht anzunehmen, dass Boateng, wie von S. behauptet, mit einer schweren Laterne und einer Kühltasche nach ihr geworfen und sie zumindest mit zweiterer am Rücken verletzt habe. Auch die Behauptung, er habe sie in den Kopf gebissen, lasse sich vor allem nach der Erklärung eines Sachverständigen nicht halten.

Auch Vorwürfe zu einem Vorfall zwei Jahre zuvor bei einer Geburtstagsparty, die Boateng für seine Freundin gegeben hatte, hätten sich nicht, wie von der Zeugin S. beschrieben, belegen lassen. Auch damals soll Boateng S. geschlagen sowie sie um ein Auto gejagt haben, bis sie gestürzt sei und sich verletzt habe. Dieser Fall wurde zwar nicht angezeigt, aber von Staatsanwaltschaft und Nebenklage als Beleg dafür angeführt, dass sich hier bei Boateng ein wiederkehrendes Verhalten zeige.

Das sieht Hemmerich, die sich während der Verhandlung immer wieder giftige Wortgefechte mit der Staatsanwältin wie auch der Nebenklagevertreterin lieferte, komplett anders: „Wir haben hier nicht den schlimmen Frauenschläger“, so Hemmerich. „Wir haben hier einen Menschen, der einmal in einer Beziehung über Gebühr ausgerastet ist.“ Bei dem Vorfall 2016 ergibt sich der Richterin zufolge nach der Aussage eines Zeugen auch vielmehr das Bild, dass Sherin S. handgreiflich geworden sei und Boateng mit Stöckelschuhen ins Gesicht getreten habe. Eine Vorstellung, die die Richterin sogar kurzzeitig in den Dialekt verfallen lässt: „ Wenn des koa g’fährliche Körperverletzung is’, dann woaß ich’s net.“

„Absolut toxische Beziehung“

In der Tat schien es in den nunmehr drei Verfahren um den Fall im Gerichtssaal mitunter um weit mehr zu gehen als um das, was juristisch auf der Agenda stand. So ergab sich bisweilen der Eindruck, als würde hier stellvertretend toxische Männlichkeit bei Profifußballern im Allgemeinen, oder parallel laufende familienrechtliche Auseinandersetzungen, verhandelt werden. In diesen geht es vor allem um die gemeinsamen Zwillingstöchter, die in den Augen der Richterin ohnehin die Hauptleidtragenden des Verfahrens sind.

Auch der Fall Kasia Lenhardt konnte in dem Verfahren nicht völlig ausgeklammert werden. Lenhardt war ein Model, mit dem Boateng nach Sherin S. liiert war. Anfang 2021 teilte der Fußballer mit, sich von Lenhardt getrennt zu haben, und holte in einem Bild-Interview zu massiven Vorwürfen gegen sie aus. Sie habe ihn erpresst, ihn zerstören wollen. Die Schlammschlacht fiel jedoch einseitig aus. Lenhardt äußerte sich nicht. Nach Recherchen von Correctiv und Spiegel hatte Lenhardt eine Vereinbarung unterschrieben, wonach sie sich nicht zu ihrer Beziehung mit Boateng äußern durfte; sie hätte sich also nicht wehren können. Aber auch hier, argumentiert Richterin Hemmerich, habe sich mittlerweile gezeigt, dass es keine Anhaltspunkte für die Behauptung gebe, Lenhardt sei eine solche Vereinbarung abgepresst worden. Das Model starb kurz nach dem Interview – mutmaßlich tötete es sich selbst.

Richterin Hemmerich prognostizierte dem Fußballer am Ende des Verfahrens eine straffreie Zukunft. Boateng sei „sehr, sehr geläutert“. Der einzige Grund für den Prozess sei eine „absolut toxische Beziehung mit wohl auch gegenseitigen Körperverletzungen“. Nachdem Boateng aus dieser Beziehung raus sei, gebe es keine Veranlassung anzunehmen, dass es zu weiteren Straftaten komme.

Boatengs Anwalt kündigte bereits an, dass er nicht in Revision gehen werde, Staatsanwaltschaft und Nebenklage prüfen noch.

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