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„Fremdenfeindlichkeit“ in den MedienDie Angst vor dem Wort „Rassismus“

Nach dem Angriff auf einen Eritreer in Hessen sprechen viele Medien von einem „fremdenfeindlichen Motiv“. Das ist falsch – und schürt Rassismus.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantwortet Fragen der JournalistInnen Foto: dpa

Berlin taz | „Hessen: Mann angeschossen – womöglich fremdenfeindliches Motiv“ schreibt Spiegel Online, „Mann erschießt Eritreer – Ermittler prüfen fremdenfeindliches Motiv“ heißt es bei Süddeutsche.de und auch bei tagesschau.de, Zeit Online, Welt.de, Tagesspiegel.de und Bild.de stehen ähnliche Überschriften am Montagabend. Zuvor wurde am Mittag ein junger Mann im hessischen Wächtersbach aus einem Auto heraus angeschossen. Über das Opfer ist bisher wenig bekannt, die Generalstaatsanwaltschaft spricht von einem 26-jährigen Eritreer. Der mutmaßliche Täter, ein 55-jähriger Deutscher, soll nach der Tat geflohen sein und anschließend Suizid begangen haben. Das Opfer wurde notoperiert und befindet sich aktuell nicht mehr in Lebensgefahr.

Dass verschiedene Medien den brutalen Vorfall vermelden, ist richtig, doch ihre Wortwahl ist falsch. Bei den Schüssen auf den Eritreer handelt es sich nicht um ein fremdenfeindliches, sondern um ein rassistisches Motiv. Und das ist ein großer Unterschied.

Medien verwenden den Begriff immer wieder in der Bemühung um einen nicht wertenden und vorsichtigen Begriff. Doch aus Angst, Rassismus zu schreiben, nutzen sie einen, der selbst Rassismus fördert. Denn sie geben die Perspektive der Täter*innen wieder. Auch die Aussagen von Donald Trump gegen über den vier nichtweißen demokratischen Kongressabgeordneten wurde in Deutschland als „fremdenfeindlich“ eingeordnet. Alle etablierten Medien gebrauchen „Fremdenfeindlichkeit“ immer wieder, wenn sie eigentlich Rassismus meinen – auch die taz.

Von Rassismus in Deutschland sind beispielsweise nichtweiße Menschen, Ausländer*innen, muslimische oder jüdische Menschen oder Geflüchtete betroffen – also Menschen, die strukturell benachteiligt werden aufgrund von Merkmalen, wie Hautfarbe, Herkunft, Sprache oder Religion. Wenn nun aber Schwarzen oder muslimischen Menschen von außen zugesprochen wird, in Deutschland fremd zu sein, ist das Rassismus. Und auch Menschen ohne deutschen Pass müssen nicht fremd hier sein. Die Frage, die dahintersteht, ist ja: Wer bestimmt, wer fremd in diesem Land ist? Und das kann nur jede*r für sich selbst entscheiden.

Sensibilität gewachsen

Für Journalist*innen gehört die richtige Wortwahl zur täglichen Arbeit. Im Fall eines Schusswechsels mit Toten muss man demnach abwägen, ob man von einer Schießerei, Massaker, Anschlag, Amoklauf oder Terror spricht. Denn wie Medien über Gewalttaten schreiben, entscheidet darüber, wie Leser*innen diese Taten einordnen.

Was diskriminierende Sprache angeht, gibt es eine positive Entwicklung in der deutschen Medienlandschaft – immer mehr Redakteur*innen sind sensibilisiert. Das N-Wort schreiben nur noch die allerwenigsten und auch die stereotype Fremdbezeichnung „Zigeuner“ für Sinti und Roma in den Medien lässt nach. Doch gerade wenn auf aktuelle Nachrichten reagiert werden muss, steht die Sensibilisierung hinten an. Wie auch im aktuellen Fall, um den angeschossenen Mann.

Die Generalstaatsanwaltschaft sprach am Montagabend und auch in der Pressekonferenz am Dienstagmorgen „ganz klar von einem fremdenfeindlichen Motiv“. Anstatt die Formulierungen zu hinterfragen, wurde sie sowohl von den großen Nachrichtenagenturen als auch den einzelnen Medien kritiklos übernommen – Anführungszeichen hin oder her. Dabei wäre es ein Einfaches, sie in in direkter Rede durch das Wort „rassistisch“ zu ersetzen.

Doch immerhin: Nachdem vor allem auch in sozialen Medien zum wiederholten Male Kritik an der Begrifflichkeit aufgekommen war, titelt Süddeutsche.de jetzt mit „Ermittler: Schüsse auf Eritreer waren rassistisch motiviert“ und Spiegel Online mit „Eritreer angeschossen – Ermittler sehen rassistisches Motiv“.

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14 Kommentare

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  • Autor*in nennt selber "Merkmale wie Hautfarbe, Herkunft, Sprache oder Religion".



    Dann ist es aber gewagt, bei Übergriffen davon zu sprechen, dass rassistische Motive vorliegen, also das erste Merkmal in der Liste dominiert.



    Ich halte Fremdenfeindlichkeit und insbesondere die Ablehnung von Zuwanderern "ohne Papiere" fuer die weitaus dominierendere Motivation.Natuerlich bleiben die Angriffe damit genauso verurteilenswert.

  • Ich halte es für kontraproduktiv, wenn man jemand unterstellt, mit dem Begriff "Fremdenfeindlichkeit" versuche er/sie die "rassistische" Tat zu verharmlosen.

    Mir selbst scheint "Fremdenfeindlichkeit" ein geeigneter Begriff zu sein, auch spezifisch rassistische Taten zu benennen.

    Auf jeden Fall wäre es seltsam, jemanden einen Rassisten zu nennen, weil er z. B. pauschal gegen Bulgaren oder Polen oder deutsche Muslime schimpft.

    Auch wenn jemand Schwarze ablehnt, dann ja vielleicht nicht wegen der Hautfarbe, sondern weil er eine nicht-kompatible KULTUR unterstellt.

    Es geht heute weniger um die (biologische) Rasse als um die angeblich unpassende, angeblich nicht zu integrierende, angeblich minderwertige KULTUR.

    Was nicht heißen soll, dass es nicht auch viele tatsächliche Rassisten gibt - also Leute, die noch der Auffassung sind, da sei Biologisches negativ wirksam. Sarrazin wäre ein prominenter Fall.

    Ich glaube, die AfD hätte gern einen leidenschaftlich deutsch-nationalistischen Schwarzen, der perfekt Deutsch spricht und lebt, in ihren Reihen. So, wie sie mit Weidel eine Homosexuelle in der Führung hat. So, wie Boris Johnson mehrerer people of colour in Ministerämter gehievt hat.

  • Der Begriff Rassismus ist auch nicht besser als Fremdenfeindlichkeit. Er impliziert, dass es menschliche Rassen gibt. Das ist nichts anderes als die Fortführung der Rassentheorien, die Menschen anhand äusserer Unterschiede wie Hautfarbe, Haar, Grösse, körperlicher Konstitution, aber auch anatomischer Verschiedenheiten kategorisierten.



    Das alleine wäre noch nicht schlimm gewesen, wenn man diese Kategorien wertfrei behandelt hätte, dem war aber nicht so. Die "anderen" Rassen wurden als minderwertig betrachtet. Das ist Herrenmenschendenken. Dieses lebt in der heutigen Zeit weiter und spiegelt sich, wenn ein Deutscher auf einen Eritreer schiesst oder China die Uiguren zu echten Chinesen umerziehen will.

    Ganz übel wird es m. E. wenn man im Zusammenhang mit Rassismus Menschen jüdischen Glaubens nennt, denn bei diesen gibt es jetzt wirklich keine gemeinsamen äusserlichen Merkmale. Sie können aussehen wie Ost-Europäer, Nordostafrikaner, Mahgrebiner, Zentralasiaten, ... Die Juden als Rasse, das ist Nazi-Zeugs.

    Unterschiedliche Färbung und anatomische Varianten sind im Tierreich bei vielen Arten normal. Niemand kommt auf die Idee einen Panther, der das exakt gleiche Tier ist wie ein Leopard, nur mit dunklem Fell und dunklen Flecken, anhand der Farbe negativ zu bewerten.



    Im Tierreich, zu dem wir Menschen zweifellos gehören, gibt es von Natur aus keine Rassen. Tierrassen sind menschliche Produkte wie Rassentheorien. Mit umgekehrten Vorzeichen- alle Rassen sind gleichwertig- werden diese nicht wahrer.



    Wir Menschen sind alle sehr nahe miteinander verwandt und damit alle die Gleichen, mit Ausnahme von wenigen Genen, die die Äusserlichkeiten bestimmen, sowie von Kultur, Religion , Sprache und individueller Biographie. Also sollten wir anfangen endlich aufzuhören Menschen in immer mehr Kategorien einzuteilen. Diese implizieren schon den Ausschluss der anderen.



    Zudem wird viel Zeit vergeudet über die richtigen Begriffe zu debattieren, was niemandem hilft.

    • @ecox lucius:

      Der Begriff "Rassismus" impliziert mitnichten, dass es menschliche Rassen gebe. Vielmehr bezeichnet "Rassismus" eine Ideologie, der die falsche Behauptung von der Existenz menschlicher Rassen zugrunde liegt. Es ist so ähnlich wie mit Gott und der Theologie: Es gibt zwar keinen Gott, aber es gibt eine "Wissenschaft", die sich mit Gott befasst. Und wer von Theologie spricht, impliziert damit keineswegs, dass es einen Gott gibt.

      • @Budzylein:

        Das mag sachlich korrekt sein, wird aber von den meisten doch falsch verstanden werden. Ein Rassist wird sich in seiner rassentheorie bestätigt sehen, wenn man von Rassismus redet

  • Richtig ist, dass die Bezeichnung "Rassismus" und nicht "Fremdenfeindlichkeit" verwendet werden muss, wenn jemand aufgrund seiner Herkunft, Hautfarbe oder Sprache angegriffen wird. Falsch ist es aber, den Begriff "Rassismus" zu verwenden, wenn jemand allein wegen seiner Religion, Weltanschauung, politischen Haltung, Ideologie u. ä. angegriffen wird. Herkunft und Hautfarbe sind angeboren und sind unter keinen Umständen zu kritisieren. Ob aber jemand Marxist, Grüner, Neoliberaler oder Faschist ist, ob jemand an Gott, an die Unfehlbarkeit des Papstes, an die Existenz eines Propheten, an den Erzengel Gabriel, an den Erzengel Eberhard, an den Weihnachtsmann oder an die Zahnfee glaubt - dafür ist jeder selbst verantwortlich und dafür kann er kritisiert werden. Wenn ein Nazi einen Linken angreift, weil der links ist, wenn ein Antifaschist ein AfD-Mitglied angreift, weil der in der AfD ist, wenn ein Anhänger einer Religion (oder ein Religionsfeind) einen Anhänger einer anderen Religion angreift, weil der Anhänger dieser Religion ist, dann ist das politische oder religiöse Gewalt, aber kein Rassismus. Punkt.

    • @Budzylein:

      Sie haben Recht.

    • @Budzylein:

      Genauso wie Feminismus auch Männer mit einschließt, schließt Rassismus mittlerweile auch Religion, Weltanschauung, etc. ein.

      • @Frank Ropen:

        Feminismus schließt Männer ein? Echt jetzt? Da sind die allermeisten Feministinnen sicher nicht mit einverstanden...

      • @Frank Ropen:

        Nein! Der Versuch, den Rassismusbegriff derart auszuweiten, dient nur dazu, Religionen et al. gegen Kritik zu immunisieren.

        In der hiesigen Praxis gilt das übrigens sowieso hauptsächlich für eine Religion, für andere nicht. Ich habe noch nie gehört oder gelesen, dass jemandem, der das Christentum oder eine seiner vielen Richtungen beschimpft, Rassismus vorgeworfen wird, und zwar auch dann nicht, wenn die Anhänger der betreffenden Richtung mehrheitlich People of Color sind. Und wenn z. B. islamistische Muslime andere Muslime terrorisieren, weil die nicht die "richtige" Glaubensrichtung haben oder weil deren Kopftuch nicht hinreichend blickdicht gebunden ist, ist auch niemals von Rassismus die Rede - mit Recht.

  • Vielen Dank für den wichtigen Artikel.



    In der vergangenen Woche war ich in Potsdam, Berlin, Breslau und Prag. Überall (auch im Pergamonmuseum in Berlin) ist mir Rassismus begegnet. Früher habe ich das so nicht wahrgenommen.

  • Einen Angriff aus rassistischen Motiven zu nicht so benennen, ja sogar mit allerlei sprachlicher Gerissenheit zu verschleiern, findet sich nicht nur bei den Journalisten, sondern vorne weg bei der Berufsgruppe der Juristen sehr stark wieder.

    Die Mordserie am Münchner Olympiaeinkaufszentrum 2016 mit neun Toten wurde nicht als Terrorakt bzw. rassistischer Angriff bewertet, sondern als Amoklauf eines Irren – obwohl die rassistische Gesinnung des Mörders eindeutig war und seine Opfer Migrantinnen und Migranten. Jedes mal, als der Rassist David Sonboly einen seiner neun Opfer erschoss, rief er unter anderem „verreck Scheißtüke“ oder „verreck Scheißaraber“. Seine Tat beging er bewusst am fünften Jahrestag des verheerenden Anschlags durch den norwegischen Rechtsextremisten Anders Behring Breivik. Hausdurchsuchungen ergaben, dass David Sonboly ein großer Hitlerfan war.

    Die Inschrift am Mahnmal erinnert an die Opfer des "Amoklaufs" am Olympia-Einkaufszentrum und nicht an die Opfer eines Rassisten. Hinterbliebene der Opfer fordern deshalb heute noch, die Tat klar beim Namen zu nennen: als einen rassistischen Anschlag.



    Bis heute wehrt sich die Stadtverwaltung unter SPD Oberbürgermeister Dieter Reiter dagegen. Sie hat zwei Gutachten eingeholt. Auch die Staatsanwaltschaft München und das Landeskriminalamt haben eigene Gutachten eingeholt. Das Ergebnis des Deutungsstreites war dann, dass der Täter David S. nicht politisch oder aus rassistischen Gründen motiviert gewesen sei. Er sei auch nicht rechtsradikal gewesen.

    Die Hinterbliebene der Opfer kämpfen heute noch um die Änderung der Inschrift auf dem Mahnmal in München.

  • Hat die Autorin den Spiegel-Artikel gelesen? Hier wird nur der Wortlaut des LKA wiedergegeben:



    „...Vor allem die Herkunft des Opfers lasse "einen fremdenfeindlichen Hintergrund" möglich erscheinen, sagte eine Sprecherin des LKA auf SPIEGEL-Anfrage....“.



    Ansonsten wird in dem Artikel von einer Rechtsradikalen Tat gemutmaßt, da solches Material gefunden wurde. Mehr weiß man nicht.

    Ansonsten muss ich der Autorin zustimmen, dass dieses Konstrukt „Fremdenfeindliche Tat“ echt nicht zeitgemäß ist und eine Rassistische Tat auch als solche benannt werden muss, wenn sich dies so herausstellt.