Freiburger Radiosender: Piraten der Pressefreiheit
Seit Anfang des Jahres kämpft Radio Dreyeckland gegen Razzien und Strafverfahren. Wie geht es dem Sender mit der langen widerständigen Tradition?
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Im Oktober hat das Medium Radio in Deutschland seinen 100. Geburtstag gefeiert. Die Geschichte freier Radiosender ist nicht ganz so lang: Die meisten wurden in den siebziger Jahren gegründet, Radio Dreyeckland war darunter der erste freie Sender Deutschlands.
Anlass für seine Gründung war die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Fessenheim im Elsass, gegen das Atomkraftgegner*innen aus Deutschland und Frankreich gemeinsam protestierten – einige mit den Mitteln des Graswurzel-Journalismus.
„Es war eine zwölfminütige Radiosendung, die am 4. Juni 1977 im Elsass Geschichte schrieb“, berichtete der freie Journalist Ralf Streck, der auch für RDL arbeitet, 2017 in der Verdi-Zeitschrift Menschen machen Medien zum 40-jährigen Bestehen von RDL. Der Sender – damals noch Radio Verte Fessenheim – habe „eine kleine Medienrevolution“ ausgelöst, denn er habe etlichen selbstorganisierten und nichtkommerziellen Radios den Weg bereitet. Auch Radio Verte Fessenheim blieb – zunächst als Piratensender, ab 1988 dann mit offizieller Lizenz.
Die 46-jährige Geschichte von Radio Dreyeckland steht aneinandergereiht auf schmalen Regalen im Flur des Senders: Hunderte von Kassetten, durchnummeriert und mit bunten Aufklebern versehen. Es sind die gesammelten Sendungen, die lange Zeit nicht nur auf Tape archiviert, sondern vor der Umstellung auf PCs Mitte der Neunziger sogar mit Kassettenspielern geschnitten wurden.
Gegenöffentlichkeit im Äther
Freie Radios gaben und geben Menschen und Gruppen, die kaum andere Möglichkeiten dazu haben, einen Raum, Öffentlichkeit herzustellen. Bei Radio Dreyeckland produzieren aktuell etwa 150 Ehrenamtliche über 50 Sendungen, davon 17 in anderen Sprachen als Deutsch. Regelmäßige Sendezeit haben die Freiburger Gruppe von Amnesty International, Attac Frankreich und die aktion arbeitsunrecht. In „Our Voice“ kommen Geflüchtete zu Wort, der Knastfunk berichtet seit 35 Jahren aus Gefängnissen, hinzu kommen zahlreiche Musiksendungen.
Daneben berichtet Radio Dreyeckland über aktuelle politische Geschehnisse – weltweit, aber auch im Lokalen. RDL bewerte aktuelle Geschehnisse häufig anders als die Badische Zeitung, die einzige regionale Tageszeitung in Freiburg, sagt Kienert. RDL-Journalist*innen stellten bei Pressekonferenzen der Stadt häufiger kritische Nachfragen als ihre Kolleg*innen. Die Antworten könnten dann alle anwesenden Journalist*innen übernehmen. So könne Radio Dreyeckland praktisch auch Einfluss auf die Berichterstattung der Badischen Zeitung nehmen. Und: „Wir sind kein Flugblattradio“, sagt Reimann. Denn auch Aktivist*innen müssten auf kritische Fragen gefasst sein.
RDL ist dieses Jahr selbst in die Schlagzeilen geraten. Um 6.40 Uhr, am 17. Januar 2023, klingelt und rüttelt es bei Kienert an der Wohnungstür: die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl. Zeitgleich stehen auch bei Geschäftsführer Reimann Polizist*innen vor der Tür.
Hintergrund ist eine kurze Nachricht auf rdl.de vom Juli 2022 darüber, dass das Strafverfahren gegen die mutmaßlichen Betreiber*innen der im August 2017 verbotenen Webseite linksunten.indymedia aufgehoben wurde. Letzter Satz des Texts lautete: „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite“ – versehen mit entsprechendem Link. Damit habe sich der Autor, so die Staatsanwaltschaft, die die Wohnungsdurchsuchung angeordnet hatte, zum „Sprachrohr“ der verbotenen Vereinigung indymedia linksunten gemacht.
Der kurze Artikel war mit Fabian Kienerts Kürzel versehen: FK. Dennoch wurden die Durchsuchungen damit erklärt, den Autor des Texts ausfindig machen zu wollen. Kienert gab sich noch in seiner Wohnung als Urheber zu erkennen. Auch das hielt die Polizei nicht von weiteren Durchsuchungen ab. Sie fertigte Skizzen von seiner Wohnung an, beschlagnahmte seinen Laptop. Anschließend fuhren die Beamten weiter zum Sender. Eine Anfrage, wer Autor des Textes war, hatte es zuvor nicht gegeben, sagt Kienert.
Der Kampf für Pressefreiheit geht vor Gericht
Reimann und Kienert holten sich Rechtsbeistand – und erreichten zunächst einen Teilerfolg: Im August erklärte das Karlsruher Landgericht die Durchsuchungen für rechtswidrig. Die Ermittlungen gegen Reimann wurden eingestellt. Gegen Kienert allerdings übernahm das Oberlandesgericht die Ermittlungen. Vergangene Woche entschied es, die Durchsuchung von Kienerts Wohnung sei rechtens gewesen. Radio Dreyeckland erwägt nun weitere rechtliche Schritte.
Kienert geht davon aus, dass noch im Dezember der Termin für die Hauptverhandlung gegen ihn festgesetzt wird – voraussichtlich für April oder Mai. Im August wurde allerdings erneut ein Ermittlungsverfahren gegen die fünf mutmaßlichen Betreiber*innen von linksunten.indymedia.org eingeleitet: Das Archiv im Internet sei eine Fortführung der Vereinigung, so die Staatsanwaltschaft. Öffentlich zugänglich ist das bereits seit 2020.
Bis hier eine Entscheidung gefallen ist, könnte sich auch das Verfahren gegen Kienert verzögern. Schließlich könnte der Vorwurf, „Sprachrohr“ einer Vereinigung zu sein, allein schon deshalb nicht aufrecht erhalten werden, wenn diese gerichtlich festgestellt gar nicht existieren sollte.
„Als ich von den erneuten Ermittlungen gehört habe, habe ich prompt schlecht geschlafen“, sagt Reimann. Die Bilder, wie die Polizei seine Wohnung durchsuchte, „sind wieder hochgekommen.“ Die Redaktion stehe generell finanziell schlecht da. Der Prozess fresse nun weitere Zeit und Geld. Dafür sammelt die Redaktion Spenden – was auch wieder Zeit in Anspruch nimmt.
Dabei gibt es gerade andere Sorgen: Dem Radio fehlen schon lange Räume, nun will es sich vergrößern. „Wir haben nicht einmal einen Besprechungsraum“, sagt Reimann. Der einzige Konferenztisch steht in einem Durchgangszimmer. Dort werden gerade neue Praktikant*innen begrüßt. Immerhin: Ein Nachwuchsproblem hat Radio Dreyeckland nicht.
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