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Freiberufler oder ScheinselbstständigeSolisten gegen die Sozialgesetze

Freiberufler in der IT-Branche sammeln Unterschriften gegen die „Hexenjagd“ der Rentenversicherung auf „Scheinselbstständige“.

Das echte Prekariat unter Solo-Selbstständigen: Musiklehrerin mit ihrer Schülerin. Foto: dpa

BERLIN taz | Alexander Kriegisch ist selbstständiger IT-Berater, und das mit Leidenschaft. „Ich möchte nicht angestellt sein“, betont der 44-jährige Informatiker aus dem bayerischen Höchstadt. „Ich bin Unternehmer. Freiwillig. Die Deutsche Rentenversicherung sollte dringend ihre Kriterien für Scheinselbstständigkeit überprüfen. Sie sind nicht mehr zeitgemäß.“

Kriegisch hat wie über 10.000 andere Selbstständige eine Petition des „Verbandes der Gründer und Selbstständigen“ (VGSD) unterzeichnet. Der Verband fordert einen „Schluss der Hexenjagd“ der Deutschen Rentenversicherung gegen vermeintlich „Scheinselbstständige“. „Auch wer fair bezahlt wird und gut fürs Alter vorsorgt, dem unterstellt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) mittlerweile Scheinselbstständigkeit“, so Verbandsgründer Andreas Lutz, Diplom-Kaufmann und Solo-Selbstständiger in München. Der Verband fordert „klare Kriterien“ für Selbstständigkeit, die sich auch an den Arbeitsbedingungen seiner Klientel, vor allem Wissensarbeitern, orientieren müssten.

Die Kriterien für „Scheinselbstständigkeit“ sind nämlich recht vage, und das ist das Problem. Ein Kriterium für „Scheinselbstständigkeit“ besteht darin, dass der Solo-Selbstständige eine Tätigkeit „nach Weisung“ ausführt und in die „Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“ integriert ist, so Paragraf 7 des Sozialgesetzbuches IV. Viele selbstständige Softwareentwickler, Coaches und Datenkaufleute, die für ein bestimmtes Projekt und einen bestimmten Zeitraum von einer Firma eingekauft werden, erfüllen diese Kriterien, ohne sich allerdings als „Scheinselbstständige“ brandmarken lassen zu wollen.

Es liege an den Gegebenheiten der Branche, dass man sich während der Projektdauer in das EDV-System des Auftraggebers einklinken müsse, dass man vor Ort sein und sich an den Arbeitszeiten des festangestellten Personals orientieren müsse, um kommunizieren zu können, schildert Lutz die Situation.

Höchst ungleiche Solisten

Solisten-Spitzenverdiener: Unter den Soloselbstständigen gibt es große Einkommensunterschiede. So erwirtschaften die bestverdienenden obersten zehn Prozent der Soloselbstständigen einen Nettostundenlohn von mindestens 24 Euro und mehr. Das oberste ein Prozent der Soloselbstständigen bekommt 100 Euro netto in der Stunde raus.

Solisten-Niedrigverdiener: Das am schlechtesten verdienende Viertel der „Solisten“ hat hingegen nur bis zu 6,25 Euro netto in der Stunde zur Verfügung.

Festangestellte: Die am besten verdienenden zehn Prozent der ArbeitnehmerInnen bekommen 19 Euro und mehr in der Stunde, das unterste Viertel der ArbeitnehmerInnen hat bis zu 7,50 Euro netto in der Stunde. Das oberste ein Prozent der Arbeitnehmer verdient 42 Euro netto pro Arbeitsstunde. Die Zahlen stammen aus einer unlängst veröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Sie beruhen allerdings auf Werten des Mikrozensus von 2009. Neuere Daten gibt es nicht.

Kriegisch zum Beispiel arbeitet als Projektmanagement-Coach in Firmen vor Ort, sein Tageshonorar liegt bei 1.000 Euro und höher. Als er mit vielen anderen Freiberuflern an einem Auftrag der Telekom arbeitete, ließ das Bonner Unternehmen die Auftragsverhältnisse durch Juristen prüfen – und kam zu dem Schluss, dass die Selbstständigen in den Augen der Deutschen Rentenversicherung als „Scheinselbstständige“ gelten könnten, was hohe Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen nach sich gezogen hätte.

In der Folge verloren einige der Leute den Auftrag, andere wiederum mussten sich über eine Zeitarbeitsfirma zu schlechteren Konditionen anstellen lassen, um dann wieder für die Telekom arbeiten zu können. Kriegisch verließ das Projekt. „Ich wollte kein Scheinangestellter sein“, sagt er.

Christa Weidner, IT-Kauffrau aus München und VGSD-Mitglied, klagte sogar gegen die Deutsche Rentenversicherung. Sie setzte mit ihrem erfolgreichen Unternehmen jahrelang Solo-Selbstständige bei Kundenprojekten ein. „Ich machte siebenstellige Umsätze pro Jahr“, erzählt die 53-Jährige. Dann stellte die Deutsche Rentenversicherung „Scheinselbstständigkeit“ bei einigen der vermittelten Experten fest.

Die Firmen haben Angst

Weidner klagte dagegen, war damit erfolgreich – aber der Schaden in der Branche sei trotzdem da, erzählt sie. „Die Firmen haben zu viel Angst und vergeben deutlich weniger Aufträge an Solo-Selbstständige, weil sie befürchten, von der Deutschen Rentenversicherung wegen angeblicher Scheinselbstständigkeit zu hohen Nachzahlungen verdonnert zu werden.“

Aufträge für Softwareentwickler, Programmierer und IT-Experten würden daher jetzt eher an größere Firmen mit mehreren Angestellten oder an Zeitarbeitsunternehmen vergeben. „Die Deutsche Rentenversicherung behindert uns auf diese Weise in unserer Arbeit“, rügt Kriegisch.

Den Konflikt haben nicht nur IT-Spezialisten. Auch Marten Wiersma, Krankenpfleger mit Intensivpflegeausbildung und 61 Jahre alt, möchte lieber als Freiberufler in Kliniken eingesetzt werden und nicht festangestellt sein, erst recht nicht bei einer Zeitarbeitsfirma. Als Freiberufler käme er auf 8.000 Euro Bruttohonorar im Monat, als Angestellter einer Zeitarbeitsfirma hingegen nur auf 4.000 Euro brutto, berichtet Wiersma.

Der Krankenpfleger arbeitete unter anderem auch an einer Klinik in Duisburg als Selbstständiger. In einer Betriebsprüfung wurde dort Scheinselbstständigkeit festgestellt, die Klinik trennte sich von den Leuten. Es sei daraufhin schwieriger geworden, als Freiberufler zu arbeiten, erzählt Wiersma.

Große Unterschiede in den verschiedenen Branchen

Es gibt allerdings große Unterschiede in der Arbeitssituation und bei den Einkommen der Solo-Selbstständigen. Das erklärt, warum das Interesse an einer Festanstellung so unterschiedlich sein kann. Im schlecht zahlenden Kulturbereich etwa arbeiten viele selbstständige Publizisten, Lektoren und Musiktherapeuten auf Honorarbasis und sehnen eine Festanstellung mit Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall herbei – während die Situation der hochbezahlten Spezialisten im wirtschaftsnahen IT-Bereich ganz anders ist.

Die Gewerkschaften sehen die Protestaktionen des VGSD daher kritisch. Hier zeigt man Verständnis für die strengen Prüfungen der Deutschen Rentenversicherung. Ein Solidarsystem wie die Rentenversicherung könne nicht funktionieren, wenn sich Gutverdienende und ihre Auftraggeber aus der Versicherungspflicht herauszögen, sagt Andreas Henke, Sprecher von Verdi in Baden-Württemberg, „wir finden es richtig, dass auf das Entgelt für abhängige Arbeit Sozialversicherungsbeiträge in das Solidarsystem eingezahlt werden.“

Verdi wolle nicht, dass noch mehr sozialversicherungspflichtige Arbeit in Selbstständigkeit umgewandelt werde. „Gerade im IT-Bereich werden die Stammbelegschaften doch immer weiter reduziert.“

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46 Kommentare

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  • Als Selbstständiger in der IT bin ich dennoch freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung, d.h. ich bin in KV und Pflegeversicherung Teil des Sozialsystems. Es fehlen nur Arbeitslosen- und Rentenversicherung.

     

    Meine Frau war private Musiklehrerin und ist jetzt seit etwa 15 Jahren chronisch krank. Als Angestellte läge sie schon lange der Sozialversicherung als Frührentnerin auf der Tasche, so aber zahlen wir alles privat. Außerdem müssen wir uns noch mit dem Finanzamt herumärgern, das rückwirkend 11 Jahre alle beruflichen Unkosten aberkennen will, und uns so samt 5 Prozent Zinsen einen hohen Betrag abluchsen wollen, den wir garnicht aufbringen könnten. Wenn wir sagen, dass vieles aus gesundheitlichen Gründen nicht so geklappt hat wie gedacht, dann sagen diese einfach, "ok, dann ist die Firma ja sowieso tot", und wollen dennoch das Geld. Diese Leute verstehen eben nicht, dass man als Selbstständiger in so einem Falle garnicht aufgeben KANN, sondern solange weiter macht, bis man wieder auf die Beine gefunden hat, auch wenn es jahrelang nur Miese verursacht.

     

    Umso frustrierender ist es, wenn man dann als gesetzlich Krankenversicherter das Gefühl bekommt, wenig unterstützt zu werden. Aber so kann sie ja auch keine Steuern bezahlen, wenn sie dauernd krank ist, oder?

     

    Wenn schon, dann bin ich auch für die Abschaffung der privaten Krankenkassen, außer für Zusatzleistungen.

     

    Wenn wir hier schon solidarisch sein wollen, dann sollen alle Beschäftigten jeder Form in die Sozialversicherung für eine Grundabsicherung einzahlen, wie in der Schweiz. Das ist gerechter.

  • Die Abgrenzung ist aber wirklich nicht einfach. Bei einem Fensterbauer sind die Fenster nach drei Tagen eingebaut und er arbeitet das Gleiche für viele Kunden, aber in der IT sind das in meinem Fall komplizierte Themen, an denen jahrelang getüftelt wird. Selbstständige werden dazugenommen, um für dieses Projekt befristet Verstärkung zu bekommen, und auch, weil sie neue Ideen und neues Wissen oder Spezialwissen mitbringen, von dem die festen Mitarbeiter profitieren. außerdem gibt es in vielen Firmen Vorgaben für den maximalen "Head-Count", d.h. die Anzahl der Festangestellten.

     

    Und wenn ich im Projekt interessante neue Dinge lerne, und der Auftraggeber mit mir sehr zufrieden ist, dann wird doch niemand ausgebeutet, oder? Warum darf ich nicht auch mal länger als ein Jahr für den gleichen Auftraggeber arbeiten? Warum soll ich dann ein schlechteres Projekt woanders annehmen, wo ich weiter fahren muss, weniger verdiene (weniger Steuern bezahle), oder weniger interessante Themen habe, die mich beruflich nicht weiterbringen?

  • Der letzte Absatz klingt ein wenig nach "Gewerkschaften sind Dinosaurer der Arbeitswelt". Tatsächlich organisiert ver.di rund 30.000 Selbstständige, die natürlich grundsätzlich nichts dagegen haben, wenn Arbeit in Selbstständigkeit verrichtet wird. - Im Gegenteil. Wenn sie allerdings allein dazu dient, Einkommen und (soziale) Sicherung unter Druck zu setzen und Formen abhängiger (Schein-)Selbstständigkeit zu etablieren, hat das nichts mehr mit einer emanzipatorischen Selbstständigkeit zu tun. Die wenigen gesellschaftlichen Versuche, ein Einkommens- und Sozialdumping über die Kontrolle der realen Verhältnisse zu verhindern, sind selbstverständlich durch nachvollziehbare, klare gesetzliche Kriterien zu ergänzen. Sie pauschal als "Hexenjagd" zu bezeichnen ist einigermaßen lächerlich. Tatsächlich müsste die Artikelüberschrift lauten: "Minderheit der Solisten gegen einen Sozialstaat".

  • Korrektur:

     

    Der Auftraggeber läßt den Scheinselbständigen, der sich für andere Aufträge außerhalb des Hauses interessiert, wissen, daß er nach Abwesenheit für ein Fremdprojekt möglicherweise nicht mehr gebraucht wird.

  • Warum kommentiert eigentlich niemand die Entwicklung der Leiharbeits- / Zeitarbeitsbranche?

     

    Hat mal jemand versucht mit einem Arbeitsvertrag bei einer Leiharbeitsfirma, einen Kredit für neues Auto oder eine eigene Imobilie zu bekommen ?

    Hat jemand über diese wirtschaftlichen Konsequenzen und die so geschaffene Abwärtsspirale nachegedacht ! Da ist am Ende nichts gewonnen!

    Wird die DRV eigentlich von der Leiharbeits-Lobby unterstützt ?

    Diese Firmen verdienen sich eine goldene Nase, und sind per heute diejenigen die die Porsches kaufen können von ihren Margen !!!!!

  • Gutverdienende Selbstständige sind nicht die Ursache für die Probleme im Sozialstaat. Sie stützen genau wie alle, die hier vollständig ihre Steuern und Abgaben zahlen, unseren Staat. Wer es nicht tut sind Reiche und große Firmen, die sich mittels teilweise legaler Tricks um die Steuern drücken.

    • @gaston64:

      "Gutverdienende Selbstständige sind nicht die Ursache für die Probleme im Sozialstaat."

       

      Selbständige nicht, aber Scheinselbständige schon.

  • Um Neid vorzubeugen möchte ich auch anmerken, dass es völlig normal ist, die Bruttoeinkommen von Selbständigen nicht direkt mit dem eines Angestellten zu vergleichen: es ist absolut üblich, dass ein Selbstständiger mindestens 1,5, besser 2 mal mehr verdienen muss als ein gleichartiger Angestellter, sonst rechnet sich das einfach nicht: einfach mal ein Blatt Papier nehmen und alles aufschreiben, was da eine Rolle spielt. Außerdem mache ich 5 Tage und nicht 30 Tage Urlaub, wie Kollegen, ich kann so auch meist von zuhause arbeiten, wo ich ein großes Büro habe, das ich aber nur zu einem Bruchteil absetzen darf.

     

    Ich habe nichts gegen eine gemeinsame Versicherung, aber dann sollen bitte alle einzahlen, auch Beamte, Ärzte, Anwälte, und man muss für Wenigverdiener ein klügeres Modell finden; wie soll denn jemand mit 700 Euro Gewinn 500 Euro Sozial- und Krankenkassenbeiträge bezahlen? außerdem sollte man vorhandene Rentenabsicherungen im Gesetz berücksichtigen, sonst passiert es auf einmal, dass ich die gleiche Summe noch einmal für die gesetzliche Rente aufbringen muss, und das kann ich nicht.

     

    In der Schweiz bezahlen alle gemeinsam für die Grundabsicherung in Krankenkasse und Sozialsysteme.

    • @gaston64:

      Wenn Sie 700 Euro Gewinn haben, sollten Sie künftig besser Zeitungen austragen gehen.

    • @gaston64:

      Alles richtig - nur ist die aktuelle Situation der Sozialversicherung nun einmal so wie sie ist.

      Und das führt eben dazu, dass viele "Selbständige" den Weg in die Selbständigkeit gehen, um eben die Beteiligung an der Sozialversicherung zu umgehen, und sich die Einsparungen daraus zumindest teilweise auszahlen lassen (auch die Arbeitgeber nehmen sowas gerne mit).

       

      Eine Änderung der Sozialversicherung so, dass wirklich alle einzahlen müssen, und zwar in Prozenten von dem, was sie tatsächlich verdient haben, ist überaus wünschenswert - aber weder in Sicht, noch vom VGSD gefordert. Und auch hier gilt: Würde der VGSD die behaupteten Interessen vertreten, dann würde er vehement und lautstark dafür eintreten, dass sich ohne Ausnahme alle Sozialversichern müssen. Stattdessen wird verlangt, dass auch unselbständig Arbeitende sich als selbständige aus der Solidarversicherung zurückziehen können sollen.

       

      Und nein, private Rentenversicherungen sollten bei der gesetzlichen nicht berücksichtigt werden - eine private kann und darf immer nur zusätzlich sein. Es ginge bei einer solchen Änderung ja eben gerade darum zu verhindern, dass jene mit geringen Risikos sich nicht an den Kosten für die mit hohen Risiken beteiligen.

       

      Und egal wie die Sozialversicherungsbeiträge am Ende ermittelt werden, der Selbständig Geschäftstätige müsste diese eben einpreisen - ebenso wie die selbständige Konkurrenz, und ebenso wie diese Kosten auch bei den nicht-selbständigen vom Arbeitgeber als Lohnkosten berücksichtigt werden.

      (Dennoch stimme ich zu, dass die Mindestbeiträge teilweise deutlich zu hoch sind).

      • @kleinalex:

        Aber es war doch bisher gerade ein Kriterium für "echte" Selbstständige, dass sie eine private Rentenvorsorge betreiben! Ich kann es mir absolut nicht leisten, zweimal in die Rente einzuzahlen. Schließlich musste ich ja einen langfristigen Vertrag eingehen, damit es als "Rente" anerkannt wird.

         

        Und bitte nicht vergessen: wenn ich einzahle, dann erwerbe ich ja auch Ansprüche.

         

        Ich bin einverstanden, wenn alle in eine Grundversicherung einzahlen, aber das eigentliche Problem ist nicht so sehr der Selbstständige, sondern die Erosion der Arbeitsplätze aufgrund des internationalen enthemmten Wettbewerbs, und das Amok laufende Finanzsystem, das den Staat und uns alle belastet.

  • Natürlich ist es richtig, dass in einigen Jahren die Lage in der IT weniger rosig sein kann, in den USA sind das oft arme Schweine ohne Job. Aber momentan ist die große Anzahl gut ausgebildeter Experten eben ein Vorteil von Deutschland, vielleicht nicht so sehr in der Produktion, aber in der Forschung und Entwicklung, wo wir uns im Vergleich mit anderen Ländern gut halten können. In Deutschlad gibt es übrigens sehr viel mehr Selbstständige als im "freien" Land USA.

  • Hallo, ich arbeite seit 1999 selbständig in der IT.

    Ich finde bei Befürwortern wie Gegnern des neuen Gesetzes gute Argumente.

    Da ich nicht zu den umgeschulten Quereinsteigern oder Webdesignern gehöre, sondern ein Studium in Physik + Doktorarbeit (4,5 Jahre) absolviert habe, sowie ein Faible für komplizierte Tüfteleien habe, verdiene ich relativ gut.

     

    Der Anlass für die Gründung des VGSD ist, dass der aktuelle Stand der Rechtspraxis immer undurchsichtiger wird, und die Selbständigen in der IT das Gefühl haben, dass sie kein Gehör bei Politikern und Gewerkschaften finden. Politiker sind meist Beamte, die Gewerkschaften haben ihre Klientel im Blick. Eigentlich will man mit dem neuen Gesetzt den Schutz der "armen Schweine" verbessern, die für einen Hungerlohn in Schlachtereien, Paketdiensten u.ä. schuften. Dagegen sagt auch niemand etwas, hier gibt es Misstände, die wir mit unserem täglichen Einkauf fördern.

     

    Es geht darum, dass man mit dem gleichen Gesetz auch unbedacht ganz andere Berufsgruppen trifft und ihnen die Arbeit erschwert. Berufsgruppen, die viel Steuern bezahlen (auf meinen Umsatz wird sofort 19% Umsatzsteuer eingezogen, plus ca. 25 % Einkommenssteuer). Dagegen, dass sogar Expertenanwälte keinen wasserdichten Vertrag mehr schreiben können, weil die Gesetze schwammig formuliert sind, und weil die Praxis der Rentenversicherung sich in den letzten Jahren massiv zuungunsten der Selbständigen verschoben hat, ohne dass Gesetze geändert wurden. Sogar Leute, die sich freiwillig einem Statusfeststellungsverfahren unterziehen, werden inzwischen zur Hälfte abgelehnt, verglichen mit 10% noch vor wenigen Jahren.

    • @gaston64:

      "Gewerkschaften haben ihre Klientel im Blick" stimmt genau. Dazu gehören, zumindest was ver.di angeht alle Erwerbstätigen, also auch Selbstständige. Das Gefühl, dass Selbstständige "kein Gehör bei Gewerkschaften finden", ist eben nur ein Gefühl. Unter anderem stecken die hauptamtlichen AnsprechpartnerInnen für die 30.000 selbstständigen ver.di-Mitglieder (ich bin einer davon) viel Zeit in Gespräche mit PolitikerInnen und Ministerien aber auch Sozialkassen, Arbeitsagentur etc. Nicht um die Lage für "arme Schweine" zu verbessern, sondern um dafür zu sorgen, dass echte Selbstständigkeit sowie ein Wechsel des Erwerbsstatus erleichtert wird.

      Dazu brauchen wir unter anderem einen Umbau des Sozialsystems, allerdings ein wenig anders es sich der VGSD vorstellt. Der ist ja nicht zufällig aus eine Initiative hevor gegangen, die sich gegen den Einbezug Selbstständiger in ein allgemeines gesetzliches Rentensystem stemmt. (Und er hat in seiner Satzung konsequent den "Einsatz für eine bezahlbare, flexible sowie möglichst eigenverantwortlich organisierte Altersvorsorge sowie Sozialversicherung für Selbstständige" verankert.) Dass der Gründungsanlass war, "dass der aktuelle Stand der Rechtspraxis immer undurchsichtiger wird", ist die heute gerne verbreitete Legende. Die Undurchsichtigkeit steigt, weil sich alle möglichen Formen der Umgehung der Beteiligung am Sozialsystem in immer mehr Arbeitsbereiche fressen. Klare und saubere Formen der Selbstständigkeit wurden dabei nie in abhängige Arbeit gezwungen.

      Wär doch auch mal eine Idee, gemeinsam für klare Regeln in Sachen Scheinselbstständigkeit einzutreten, statt immer wieder insbesondere über Gewerkschaften zu jammern, wenn sie das Tabuthema neoliberaler Arbeitsmarktexegeten erwähnen. Das können die INSM und Unternehmensverbände ohnehin besser.

  • Mir fehlt die Frage, warum die genannten Scheinselbstständigen die Anstellung in einer Zeitarbeitsfirma gegen Selbstständigkeit aufwiegen.

     

    Das zeigt doch nur, dass ihre Auftraggeber sie schon jetzt ausnutzen, sonst würden sie ihnen einen Zeitvertrag anbieten; oder halt echte Selbstständigkeit.

    • @Arne Babenhauserheide:

      So ist es. Die Realität: Scheinselbständige werden durch den Auftraggeber eingeschüchtert. Den Auftragnehmern wird auferlegt, die Kriterien für Scheinselbständigkeit zu zerstreuen, während der Auftraggeber bewußt die Vorteile aus dem scheinselbständigen Verhältnis zieht. Konzerne, die Scheinselbständige beschäftigen, sind sich über die Risiken durchaus im Klaren und kalkulieren diese auch ein. Solange es sich unterm Strich im Vergleich zu Festeinstellungen rentiert - Klagen von Scheinselbständigen und sich für den Auftraggeber u.U. daraus ergebende Zahlungen an den Auftragnehmer eingerechnet - wird diese Schiene bewußt durchgezogen. Wenn es im größeren Stil zu juristischen Folgen für den Auftraggeber geführt hat, werden die übrigen Scheinselbständigen allerdings gefeuert und durch Festeinstellungen ersetzt. Übernommen wird dann i.d.R. nicht.

  • Es ist ja das große Problem der heutigen Sozialgesetzgebung, dass im Grunde alles am Ideal der abhängigen Beschäftigung festgemacht wird.

    Noch ärger als die Selbstständigen werden die unbezahlt Arbeitenden benachteiligt.

    So oder so wäre eine Reform angesagt, die erstens alle Menschen immer sozial absichert (steuerfinanziertes Bedingungsloses Grundeinkommen und steuerfinanzierte Gesundheitsversorgung) und zweitens die Steuer- und Sozialgesetzgebung soweit als möglich vereinfacht.

    Eine Grundrente für alle wäre damit abgedeckt, darüber hinaus könnte man a) eine Zusatzrente auf rein freiwilliger Basis oder b) eine Pflichtzusatzrente für alle (!) einführen, in die natürlich auch alle einzahlen.

    Der systembedingte Zwang wäre weg, unbedingt alle Menschen zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigen zu machen, weil nur so Geld in die Sozialkassen kommt.

     

    Wobei ich ja fürchte, das "Selbstständigkeit" manchen auch einfach deshalb schon ein Dorn im Auge ist, weil sie ja damit verbunden ist, selbstständig Entscheidungen zu treffen, während Angestellte naturgemäß an hierarchische Verhältnisse gewöhnt sind....

    • @Eric Manneschmidt:

      Volle Zustimmung zu dieser Reformidee!

       

      Bis diese Reform realisiert ist muß die Rentenversicherung an Die Kette gelegt werden, sonst wandert ein Großteil des Auftragsvolumens für Freelancer ins Ausland oder zu dubiosen Zeitarbeitsfirmen,denn die Unternehmen kaufen sich die benötigten flexiblen Leistungen so oder so die Frage ist nur wo

    • @Eric Manneschmidt:

      "So oder so wäre eine Reform angesagt ..."

      Das ist sicher richtig - wenn es endlich mal eine Reform gibt, sollte es eine solcherart sinnvolle sein.

       

      Unglaubwürdig wird das ganze, wenn behauptet wird, Selbständige würden 'benachteiligt'. Durch die Regeln zur Selbständigkeit werden diese in extremen Maße begünstigt - die angeblich benachteiligenden Regelungen existieren nur, um diese absurden Vorteile wenigstens halbwegs wieder unter Kontrolle zu bekommen.

       

      Es muss klar sein, solange die Sozialversicherungs-Lage so krank ist, wie sie ist, ist es nun einmal zwingend notwendig, dass es Gesetze gibt, die die Abwanderung von immer mehr Besserverdienenden aus der Sozialversicherung in die (Schein-)Selbständigkeit verbieten. Die Sozialversicherung sollte dringend auf bessere, solidarischere Füße gestellt werden.

       

      Wer hingegen gegen die Regelungen zur Scheinselbständigkeit wettert, beweist damit bereits, dass es ihm nicht um sinnvolle und faire Regelungen geht, sondern nur darum, sich möglichst niemals solidarisch mit anderen zu verhalten. Denn diese Regelungen sind so fair, wie es im Rahmen der aktuellen Sozialgesetzgebung überhaupt nur möglich ist. Wird diese repariert, sind die 'Benachteiligungen' auch nicht länger notwendig.

  • Danke an Rainer B. für die Aufstellung. So detailliert kannte ich die Kriterien nicht, im Wesentlichen aber schon. Die Frage, wie ein Pfleger oder eine Schwester "selbständig" ist, ist wirklich sehr interessant. Hat sie ihre eigene Intensivstation mit eingenen Geräten, wo dann ab und zu ein paar selbständige Ärzte vorbeischauen? Oder arbeitet sie jeden Tag in einer anderen Klinik, je nach Auftragslage?

     

    Das scheint mir geradezu der klassische Fall des Scheinselbständigen zu sein. Beim IT-Bereich dagegen kann ich mir gut vorstellen, dass die Differenzierung schwerer fällt. Entscheidend dürfte sein, dass hier das wichtigste Werkzeug der eigene Kopf ist, den man durchaus verschiedenen Auftraggebern gleichzeitig anbieten kann.

  • Maurer und Betonbauer, Ofen- und Luftheizungsbauer, Zimmerer, Dachdecker, Straßenbauer, Wärme-, Kälte- und Schallschutzisolierer, Brunnenbauer, Steinmetze und Bildhauer, Stuckateure, Maler und Lackierer, Gerüstbauer, Schornsteinfeger, Metallbauer, Chirurgiemechaniker, Karosserie- und Fahrzeugbauer, Feinwerkmechaniker, Zweiradmechaniker, Kälteanlagenbauer, Informationstechniker, Kraftfahrzeugtechniker, Landmaschinenmechaniker, Büchsenmacher, Klempner, Installateure und Heizungsbauer, Elektrotechniker, Elektromaschinenbauer, Tischler, Boots- und Schiffbauer, Seiler, Bäcker, Konditoren, Fleischer, Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Orthopädietechniker, Orthopädieschuhmacher, Zahntechniker, Friseure, Glaser, Glasbläser und Glasapparatebauer, Vulkaniseure und Reifenmechaniker.

     

    Des weiteren:

     

    Selbständige, die nur ein Auftraggeber haben

    Hebammen

    Heil- und Pflegeberufe

    Lehrer und Erzieher

    Künstler und Publizisten

    Landwirte

  • Offenbar wissen diese IT-Scheinselbständigen gar nicht, worum es bei dem Thema geht. Ich war selber jahrelang Konstruktionsdienstleister und kenne die Gepflogenheiten. Es läuft letztlich darauf hinaus, daß sich Konzerne die AG- und AN-Anteile an Beiträgen sparen und die Leute jederzeit und ohne Umstände von heute auf morgen feuern können, anstatt sich Leute für diese Tätigkeiten einzustellen.

     

    Übrigens ist im Streitfall der Scheinselbständige rechtlich theoretisch im Vorteil: Kann er nachweisen, daß er Scheinselbständig war, ist der Auftraggeber verpflichtet, ihm die Beiträge für die gesamte Beschäftigungsdauer auszuzahlen und zwar unabhängig davon, ob der Scheinselbständige freiwillig Rentenbeiträge bezahlt hat oder nicht. Da kann in ein paar Jahren ein stattliches Sümmchen zusammenkommen. Nur muß man erst einen Arbeitsrichter finden, der sich mit dem AG anlegen will... ;)

     

    Die IT-Branche hat noch nicht gecheckt, warum das Gesetz notwendig ist. Die sitzen momentan noch auf einer Goldader. Wenn diese mal versiegt, wie es im Maschinenbau schon öfter der Fall war, werden sie verstehen.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Ja wenn die "Goldader" versiegt werden wir es checken.

      Bis dahin ist es notürlich vollkommen logisch da sich alle für 30% weniger Einkommen für ähnliche Tätigkeiten anstellen lassen.

       

      Was die Gewerkschaften schnell "checken" werden ist das durch das hinausdrängen der deutschen Freiberufler aka Solo-Selbstständigen keineswegs diese alle in sozialversicherungspflichtige Festanstellungen umgewandelt werden. Sonder die Aufgaben werden vielmehr als Werksverträge nach Indien, Ukraine, Brasilien etc. wandern.

       

      Was die "Experten", besonders Branchenfremde, nicht sehen das es keinen Vollzeitbedarf vor Ort bei einem Kunden gibt. Deswegen heißt es PROJEKT.

      Und das endet eben zum Zeitpunkt X, wie ein Hausbau.

       

      Im Unterschied zum Bau ist es allerdings vollkommen schnuppe in welchem Teil der Welt entwickelt wird.

       

      "Freuen" wir uns dann über das Wehklagen aus der gleichen Richtung das die bösen Unternehmen einfach alles Outsourcen...

       

      Absurdes Theater!

      • @ssommerf:

        Das ist so sehr unwahr, das tut schon weh.

         

        Bei Projektarbeit, die bis zu 8 Wochen dauert, würde keine Behörde "Scheinselbständigkeit" schreien.

         

        Bei Tätigkeiten, die nicht für einen Vollzeitbedarf reichen, bei denen der Selbstständige also mehrere Kunden gleichzeitig hat, würde niemand "Scheinselbständigkeit" schreien.

         

        Dauert die Arbeit länger, ist das ganz genau der Zweck, wofür zeitlich befristete Verträge erfunden worden sind - es wäre ausnahmsweise mal kein Missbrauch selbiger.

         

        Dauert das Projekt aber zu lang für zeitlich befristete Verträge, oder landet der Selbständige verblüffenderweise immer wieder beim selben Auftraggeber, dann handelt es sich um Aufgaben, bei denen die Behauptung, es gäbe keinen Vollzeitbedarf vor Ort bei einem Kunden schlicht gelogen ist.

         

        Aber schon Ihr zweiter Satz sagt ja klar, worum es eigentlich geht: Um das höhere Einkommen - das aber nicht etwa vom Arbeitgeber gezahlt wird, sondern es ist vielmehr Geld, das aus der solidarischen Sozialversicherung gestohlen, und dann zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt wurde.

        • @kleinalex:

          Ergänzend dazu: Der Auftraggeber ist meist wenig begeistert, wenn der Scheinselbständige parallel oder phasenweise andere Kunden bedient. Der Auftraggeber betrachtet das "Know-How", welches der Scheinselbständige sich in seiner Firma angeblich aneignet, als sein gesitiges Eigentum und will verhindern, daß die Konkurrenz davon profitiert. Der Auftraggeber läßt den Scheinselbständigen, der sich für andere Aufträge außerhalb des Hauses interessiert, daß er nach Abwesenheit für ein Fremdprojekt möglicherweise nicht mehr gebraucht wird.

      • @ssommerf:

        "Sonder die Aufgaben werden vielmehr als Werksverträge nach Indien, Ukraine, Brasilien etc. wandern."

         

        Ach ja?

         

        "Es liege an den Gegebenheiten der Branche, dass man sich während der Projektdauer in das EDV-System des Auftraggebers einklinken müsse, dass man vor Ort sein und sich an den Arbeitszeiten des festangestellten Personals orientieren müsse, um kommunizieren zu können, schildert Lutz die Situation."

         

        Und selbst wenn es so wäre, wie Sie vorgeben, müßte man sagen, daß dies eine ganz normale Erscheinung der Marktwirtschaft wäre, deren Globalisierung ja gerade durch Ihre Branche mehr als durch jede andere vorangetrieben wurde.

  • Einige müssen es offenbar erst begreifen: Projektverträge sind nichts anderes als befristete Arbeitsverträge. Punkt. Und Arbeitnehmer haben in die Rentenversicherung zu zahlen. Punkt.

    Schlimm genug, dass sich Besserverdienende und Selbständige aus der Solidarität herausmogeln können.

    • @sputnik1969:

      Also stelle ich als Hausbauer Handwerker an?

      Ich bin Arbeitgeber weil ich mein Auto/Fahrrad reparieren lasse?

       

      Die Kita unserer Kinder stellt eigentlich den Maler an der das Treppenhaus streicht? Die Handwerker die das Trampolin installieren? Der Gärtner der den Schulrasen mäht usw.

       

      Was für eine blö*** Weltsicht.

       

      Projekte oder Gewerke sind überall. Sie werden festangestellte Gärtner finden und Fremdfirmen.

       

      Worum es hier geht ist das Selbständige in Zeitarbeit gedrängt werden soll. Schlecht für diese aber natürlich schön für die Gewerkschaft. Die Rentenversicherung hat gar nichts davon. Die Einzahler erwerben auch automatisch Ansprüche.

      Die Deckungslücke wird nur - ganz typsiches Kurzzeitdenken - in Zukunft verschoben.

       

      Eigentlich traurig das die klassische Linke hier ganz vorne ist bei Lohnkürzungen.

       

      In Folge wird es auch nicht mehr Angestellte geben sondern, da dann gleich ganze Projekte sonstwohin verlagert werden können, weniger.

       

      Einer der Hauptgründe im IT Bereich Entwicklung überhaupt noch vor Ort zu bezahlen ist eben die Tatsache das die Leute vor Ort sind.

      Kein selbstständiger Softwareentwickler aus München wird nach Coburg umziehen weil die Rentenkassen und Gewerkschaften sich das so erträumen.

      Dann überlegen sie mal wie die Firmen dort dann an Leute kommen oder ob der ganze Auftrag nicht besser gleich komplett outgesourced wird...

    • @sputnik1969:

      Nein, das ist nicht so. Und wenn Sie noch so oft neunmalklug "Punkt." sagen.

       

      Bei Projektverträgen gibt es kein festes Gehalt, keinen Kündigungsschutz, keine Einbindung in die Hierarchie einer Organisation usw. Freiberufliche Unternehmer bieten ihre Leistungen eigenverantwortlich am Markt an, kommen selber für ihre Altersversorgung auf, tragen unternehmerisches Risiko etc.

       

      Dass viele Freiberufler und Unternehmen, die mit Freiberuflern zusammen arbeiten, diese Mentalität auch erst noch verinnerlichen müssen, steht außer Frage. Durch die ausschließliche Ausrichtung der deutschen Gesellschaft auf angestellt Beschäftigte hat sich über die Jahrzehnte eine seltsames Klima entwickelt, das nicht zuletzt durch das unsägliche Gesetz zur Scheinselbständigkeit verstärkt wurde.

      • @BjoernKW Wilmsmann:

        Das ist alles schön und gut, ändert aber nichts an der Aussage von Sputnik1969.

         

        Um das mal deutlicher zu formulieren: Selbständige sind Menschen, die zu Lasten ihrer Mitbürger höhere Einkommen gegen die von ihnen aufgezählten Nachteile eintauschen.

         

        Um diese asozialen Handlungen wenigstens etwas einzuschränken, hat der Gesetzgeber bestimmt, dass Selbständigkeit 'echt' sein muss, sie darf nicht genutzt werden, um Sozialversicherungsbeiträge zu umgehen. Und wenn jemand im Rahmen eines "Projektvertrages" jahrelang nur für einen "Auftraggeber" arbeitet, täglich die Arbeitsstelle beim Auftraggeber aufsucht, die Arbeitsmittel des Auftraggebers nutzt, etc., dann ist das nun einmal eine Tätigkeit, die aufgrund ihrer Natur nicht von Selbständigen ausgeübt werden kann, und derjenige, der sie ausübt ist ein gewöhnlicher Angestellter in Scheinselbständigkeit.

         

        "Man kann den Job aber nicht anders machen als auf diese Weise" bedeutet nicht, dass Scheinselbständigkeit falsch definiert ist, sondern dass es falsch ist, zu behaupten, der Job wäre der eines Selbständigen. Wer selbständig sein will, muss sich halt auf Aufgaben beschränken, die aufgrund ihrer Natur zur Selbständigkeit geeignet sind.

      • @BjoernKW Wilmsmann:

        das Gesetz ist nicht "unsäglich", sondern es war nötig, weil viele klassische Arbeitnehmer ohne Kenntnis der Folgen in eine angebliche "Selbständigkeit" gedrängt wurde. Dass es zum Teil übertrieben angewendet wird, mag sein, aber im Kern ist es mit den von Rainer B. genannten Kriterien ein gutes Gesetz.

         

        Wir erleben die Folgen der angeblichen Selbständigkeit ja zB gerade bei den rumänischen Arbeitern in Berlin, die glaubten, sie wären Arbeiter und auf ihren Lohn warteten, aber sie waren Gewerbetreibende, die das Risiko selbst tragen, dass sie nicht bezahlt werden. Erfahrene Selbständige lassen sich daher Vorschüsse auszahlen....

  • Auch dieses Thema ist mal wieder ein Beleg für die Unfähigkeit oder den Unwillen der Unionsparteien gesellschaftliche Misstände anzugehen und aufzulösen.

     

    Lieber unterstützt man die Entsolidarisierung der Vielverdiener und legt die Hände in den Schoß.

     

    Dabei hat die aktuelle Regierung eine Mehrheit von fast 80%.

     

    Da könnte man locker auch mal das Grundgesetz ändern, wenn man denn etwas bewegen wollte. Will man aber nicht. Alles was man will ist wieder gewählt werden.

  • "Krankenpfleger mit Intensivpflegeausbildung und 61 Jahre alt... Als Freiberufler käme er auf 8.000 Euro Bruttohonorar im Monat, als Angestellter einer Zeitarbeitsfirma hingegen nur auf 4.000 Euro brutto, berichtet Wiersma."

     

    Verdient man in der Krankenpflege immer noch so viel Geld?!?!? 4.000 € über eine Zeitarbeitsfirma? Das klingt ja nach mehr als es bei der ehamaligen BAT-Einstufung noch gab.

     

    Und auch hier wäre interessant, wie die Alterssicherung des Herrn mit dem reichlichen Bruttogehalt aussieht.

    • @Hanne:

      Endlich ist mir klar, wovon die ganzen Krankenpfleger ihre Villen und Stretchlimousinen kaufen.

  • Sozial- und Rentenversicherung muss Pflicht für alle werden, einschließlich der RAnwälte, Ärzte und der Beamten. Jedermann muss in den Topf zahlen, der Steuerzahler ist nicht dafür da den Beamten einen hochgradig luxurösen Lebensabend zu bescheren. Ebenso gehört die Pflichtversicherungsgrenze ersatzlos abgeschafft.

  • "Höchst ungleiche Solisten" - Selbst in der IT-Branche gibt es sehr viele sehr schlecht bezahlte Freiberufler. Insgesamt scheint mir die Einschätzung hier doch noch viel (!) zu positiv zu sein. Gerade auch im Presse und Medienbereich ist die Lage katastrophal!

    • @Julianne:

      Beispiele die sie nennen können?

       

      Mein Jahreseikommen ist 6 stellig, seit über 10 Jahren. In der Zeit habe ich keinen Kollege getroffen der das nicht erreicht hätte.

       

      D.h. nicht ganz richtig, alle Festangestellten liegen drunter. Einige haben sogar den gewaltigen "Vorteil" das sie von ihren sog. Beratungsfirmen oder Zeitarbeitsbuden quer durchs Land geschickt werden dürfen. Mitspracherecht oder gar freie Entscheidung? Aber doch nicht bei Angestellten..

  • Die Steuergesetzgebung hat ja bereits mehr oder weniger eindeutige Kriterien aufgelistet, um eine selbständige von einer nichtselbständigen Tätigkeit abzugrenzen.

    Hauptkriterium ist:

    "Unter Selbständigkeit versteht man eine wirtschaftliche Tätigkeit, die allein auf die Rechnung des Erwerbstätigen, nicht auf die Rechnung eines Arbeitgebers erfolgt."

     

    Als weitere Kriterien werden genannt:

    - Entscheidungsfreiheit des Auftragnehmers, wann und wie viel Betriebsmittel/Transportmittel/Produktionsmittel angeschafft werden und wie die Anschaffung finanziert wird.

    - Entscheidungsfreiheit des Auftragnehmers über die Zahlweise der Kunden (z. B. sofortiger Bareinzug, Stundungsmöglichkeiten usw.).

    - Entscheidungsspielraum des Auftragnehmers bezüglich der Preiskalkulation.

    - Der Auftragnehmer ist im Einsatz von Hilfskräften frei.

    - Im Betrieb des Auftragnehmers können noch weitere Mitarbeiter beschäftigt sein.

    - Beim Auftragnehmer sind eigene Betriebsmittel (z. B. Fuhrpark) vorhanden.

    - Der Auftragnehmer setzt eigenes Betriebskapital ein.

    - Dem Auftragnehmer ist eigene Kundenakquisition erlaubt.

    - Der Auftragnehmer haftet dem Auftraggeber bei Schäden an Produkten oder Produktionsgütern bzw. Produktionsmitteln, wenn der Auftraggeber von einem Kunden in Anspruch genommen wird.

    - Der Auftragnehmer hat eigene Werbungsmöglichkeiten.

    - Der Auftragnehmer unterhält eigene Geschäftsräume (wenn er nicht ein sogenanntes Home Office (häusliches Büro) betreibt).

    - Der Auftragnehmer führt eigene Geschäftsbücher.

    - Der Auftragnehmer hat deutlich mehr Büroarbeit zu erledigen als ein Nichtselbständiger

    - Die Altersversorgung erfolgt selbständig und nicht durch den Staat.

     

    Wer also Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung entrichtet, wird in seiner Steuererklärung dann auch keine Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit angeben können, sondern muss seine Einkünfte genau so wie ein Arbeitnehmer versteuern.

    • @Rainer B.:

      Das ist falsch, da zum einem die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung in der GRV besteht und zum anderen für selbständige Handwerker eine Pflichtmitgliedschaft bis 168 Einzahler-Monate besteht.

      • @sb123:

        Die freiwillige Versicherung in der GRV wurde aber erst vor ein paar Jahren eingeführt. Ich habe das dann in Anspruch genommen, weil ich die GRV immer noch für seriöser als alles Andere halte - und das will was heißen.

      • @sb123:

        Das sind Ausnahmetatbestände, die nur für (einige) Handwerker gelten.

        Es wird unterschieden zwischen zulassungspflichtigen Handwerksberufen, für die Rentenversicherungspflicht besteht. Daneben gibt es auch die zulassungsfreien Handwerker sowie die handwerksähnlichen Gewerbetreibenden, die nicht rentenversicherungspflichtig sind.

        • @Rainer B.:

          Und genau dieses chaotische System bewirkt die Rechtsunsicherheit - die sich mit jedem neuen Urteil in diesem Bereich in die ein oder andere Richtung verschiebt, weil das Gesetz nicht eindeutig ist und somit die Urteile zum "angewandten Gesetz" werden.

           

          Lösung: Alle zahlen ein, auch unsere Herren und Damen Abgeordneten, Beamten, Unternehmer, Privatiers usw. - das wäre fair, einfach und rechtssicher...

  • Das selbe gilt auch für die Selbständigen und Freiberufler der Kreativbranche, nur dass die bei weitem nicht so gut bezahlt werden wie die ITler, der hohe Kostenblock der Sozialversicherungen aber auch dann weiterläuft, wenn mal Auftragsflaute ist.

  • „Ich machte siebenstellige Umsätze pro Jahr“ und führe keine Sozialversichungsbeiträge ab. Na prima, wenn das mal kein Argument ist!

  • Was ist Selbständigkeit wenn das hier beschriebene es nur scheinbar ist?

    • @Donald Duck:

      Ärzte, Anwälte und andere, deren Standesvertretungen ausreichenden politischen Einfluss haben, um ihre Klientel vor der gewöhnlichen Rentenkasse und ihrer Zwangssolidarität zu schützen.

       

      Weniger polemisch: wenn man's halbwegs intelligent macht, kann man sich als Akademiker in die "Freien Berufe" hineindefinieren - ich z.B. erbringe steuerrechtlich "technische Dienstleistungen", was soweit auch richtig ist, aber nicht meine eigene erste Definition meiner Tätigkeit wäre.