Frauenrechte in Deutschland: Nicht ob, sondern wie

Frauen brechen ungewollte Schwangerschaften ab, legal oder illegal. Zentral ist die Frage, wie das für alle Beteiligten am schonendsten ablaufen kann.

Auf einem Tisch liegen zahlreiche Buttons mit durchgestrichenem Paragraf 218

Paragraf 218: Zwangsberatung und Bedenkfrist verzögern Abläufe Foto: Imago

Ob in Deutschland ein „Kulturkampf“ drohe, weil Grüne und SPD Abtreibungen legalisieren wollen, fragte jüngst Die Zeit und stieg mit einer Doppelseite in den Ring – ­gegen das Vorhaben. Eine US-amerikanische Juristin verbrämte das im Interview gar als feministisches Anliegen: Po­li­ti­ke­r:in­nen seien gezwungen, frauenfreundliche Gesetze zu erlassen, wenn Abtreibungen unmöglich sind.

In einem zweiten Text ging es um den deutschen Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche als Tötungsdelikte unter Strafe stellt. Das sei ein „gutmütig-fauler Kompromiss“, schreibt die Autorin. Weil das Gesetz Ausnahmen erlaube. Wer die Schwangerschaft innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Pflichtberatung und dreitägiger Bedenkzeit abbrechen lässt, wird nicht bestraft. Das führe dazu, glaubt sie, „dass eine Frau in den ersten drei Monaten mit dem Fötus machen kann, was sie will“.

Falsch, denn sie darf sich keine Kleiderbügel einführen; die Schwangerschaft muss von einem Arzt oder einer Ärztin abgebrochen werden. Aber ja, jede Person darf eine Schwangerschaft austragen – egal, wie Lebensumstände und charakterliche Eignung sind.

Die Wochenzeitung, die sich gerne als Stimme der vernünftigen Mitte geriert, sortiert sich damit zwischen CDU, FDP und AfD ein, die der Linken, Grünen und SPD vorwerfen, kaltherzig Föten auf dem Altar der Emanzipation zu opfern. Das können Konservative, weil in Deutschland stets die Frage gestellt wird, ob Frauen Schwangerschaften abbrechen dürfen. „Nein! Weil Babys sterben!“, jammern die einen, „Doch! Weil Frauen keine Gebärmaschinen sind!“, schreien die anderen.

Dabei gerät aus dem Blick, dass nach dem wie gefragt werden müsste. Denn selbst wenn sie Strafen befürchten oder weit reisen müssen: Menschen mit Uterus brechen Schwangerschaften ab. Das zeigt die deutsche Geschichte, das zeigen Ländervergleiche. Auch der Paragraf 218 hat daran nichts geändert, obwohl das Auftrag des Bundesverfassungsgerichts war. Das hatte 1993 einen „Schutzauftrag“ des Staates erkannt. Der Gesetzgeber soll überprüfen, ob das Gesetz ihn erfüllt. Getan hat er das nie.

Trennungen sind häufiger Grund

Es gibt nur die Zahlen des statistischen Bundesamts. Danach brachen 1996 0,66 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter eine Schwangerschaft ab, 2021 waren es fast genau so viele: 0,56 Prozent. In diesem Zeitraum hat sich Jugendstudien zufolge unter anderem das Verhütungsverhalten verbessert. Weil es vor 1996 keine Statistik gab, lässt sich nicht prüfen, ob der Anteil davor signifikant höher war.

Die Lieblingsthese derjenigen, die Abtreibungen erschweren wollen, ist, dass Frauen die Kinder bekommen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. So argumentierte Die Zeit im März 2018, als sie davor warnte, Paragraf 218 zu kippen: „Wer Schwangeren helfen will, muss etwas für Hebammen tun, bessere Betreuungsmöglichkeiten schaffen und Alleinerziehende unterstützen.“ Ähnliches sagten Red­ne­r:in­nen im Bundestag, als sie 1995 das gültige Abtreibungsrecht beschlossen.

Nun hat sich seitdem einiges getan. So gibt es einen Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung. Und fast genau so viele Abbrüche. Wie individuell die Gründe sind, nicht jede Schwangerschaft auszutragen, zeigen Studien. Den größten Einfluss haben, nach einer Untersuchung an der Universität Bremen, Trennungen.

Die Frage kann daher nur lauten: Wie können Schwangerschaften so abgebrochen werden, dass alle Beteiligten am wenigsten leiden? Erste Antwort: So früh wie möglich. Weil dann das Komplikationsrisiko am niedrigsten ist und weil ein fünf Millimeter großer Embryo in der siebten Woche etwas anderes ist als ein fünf Zentimeter großer Fötus in der 12. Woche mit Armen und Beinen. Kein „Kind“ – aber auch kein „Zellklumpen“. Zweite Antwort: Möglichst oft medikamentös.

Je früher desto besser

Das ist schonender für Frau, Ärztin und womöglich auch für den Fötus. Ob er dabei stirbt oder nie ­leben wird wie tausende Frühgeburten, ist eine metaphysische Diskussion, die juristisch und sachpolitisch ins Nichts führt. Wichtiger sind die Fakten: Medikamentöse Abbrüche liegen in Deutschland mit einem Anteil von 31,5 Prozent deutlich unter dem anderer europäischer Länder.

Abbrüche vor der 12. Woche fanden 2021 im Durchschnitt zwar etwas früher statt als 2010, aber das gilt nicht für alle Bundesländer, und wie es in den Landkreisen aussieht, aus denen Frauen 100 Kilometer und mehr reisen müssen, ist unbekannt. Und: Die späten Abbrüche nach der 12. Woche nehmen stetig zu.

Zwangsberatung und Bedenkfrist verzögern Abläufe. Zudem tragen die restriktiven Gesetze dazu bei, dass immer weniger Kliniken und ­Praxen Schwangerschaftsabbrüche anbieten, was zu Wartezeiten führt. Belegt sei das nicht, schreibt Die Zeit. Stimmt. Aber dass jemand eine medizinische Leistung, die als Straftat geächtet wird, gerne anbietet, darf bezweifelt werden. Die Krönung dieses weltweit einmaligen Gesetzes: Es schließt Einflussmöglichkeiten des Staates auf Versorgungsstrukturen aus.

Die Sorge, dass Frauen überstürzt handeln, wenn man ihnen keine Steine in den Weg legt, ist übrigens unbegründet. Auch das haben Befragungen gezeigt. Vielleicht könnten sie sogar früher und besser eine Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaft treffen, wenn sie Abtreibung als normalen, manchmal traurigen Vorgang erleben würden. Und nicht als dramatische Ausnahmesituation, aus der sie mit blauem Auge davonkommen, wie es das Gesetz und der Diskurs darüber suggerieren.

Dass Konservative es geschafft haben, letzteren über Jahrzehnte zu bestimmen, haben sich auch die Be­für­wor­te­r:in­nen eines liberalen Abtreibungsrechts zuzuschreiben. Sie hatten zu lange gehofft, „Mein Bauch gehört mir“, sei Argument genug. Wenn sie aufhören, sich am Kampf um Frauen- versus Fötusrechte zu beteiligen, können sie gewinnen.

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ist taz-Redakteurin und hat 2017 aufgedeckt, wie groß die Versorgungslücken beim Schwan­ger­schafts­abbruch in Deutsch­land sind. Seitdem berichtet sie regelmäßig über die Auswirkungen des Paragrafen 218.

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