Frauenrechte im Nahen Osten: Mehr als wehende Haare
Frauen im Iran kämpfen um ihre Freiheit. Das ist nicht „westlich“, sondern mutig – und ein universelles Bedürfnis. Eine Antwort auf Julia Neumann.
![Portrait der iranischen Aktivistin Masih Alinejad. Portrait der iranischen Aktivistin Masih Alinejad.](https://taz.de/picture/5730977/14/Frauen-Iran-1.jpeg)
E s ist schwer, diesen Text zu lesen. Besonders, wenn man sie kennt, wenn man ihre Geschichten gehört und gelesen hat, ihre von Schlägen und Folter zerstörten Gesichter und Körper gesehen hat. Wenn man den Kampf iranischer Frauen für ihre Rechte, für ihre Freiheit und ihr Leben kennt und weiß, dass sie auch dafür kämpfen, gehört zu werden.
Bei diesem Text, der schwer auszuhalten ist, handelt es sich um einen Kommentar der taz-Korrespondentin in Beirut Julia Neumann über Frauenrechte im Nahen Osten. Anlass ist eine ARD-Doku über Masih Alinejad, eine Aktivistin, die im Iran Journalistin war, fliehen musste, und sich seit Jahren dafür einsetzt, dass das Leid, aber auch die Stärke iranischer Frauen weltweit sichtbar werden. Sie startete Hashtags wie #MyStealthyFreedom: Frauen posten darunter Videos, in denen sie öffentlich ihr Kopftuch ablegen, als Zeichen gegen die systematische Unterdrückung durch die iranische Regierung.
Das öffentliche Ablegen des Hijab ist im Iran verboten. Frauen werden dafür verfolgt, gefoltert und getötet. Es ist aber oft der einzige Weg, Widerstand zu leisten. Diesen Frauen gibt Masih Alinejad eine Stimme. Die iranischen Machthaber sind sich der Kraft dieses Widerstands bewusst und haben wiederholt versucht, Alinejad aus den USA verschleppen zu lassen. Sie entkam knapp.
Über Masih Alinejad schreibt Julia Neumann nun: „Als ob Frauen noch eine Stimme bräuchten, die statt ihnen für sie spricht.“ Und: „Als ob das Abnehmen eines Kleidungsstückes aus Protest den Weg zur Gleichberechtigung und dem Schutz von Frauen ebnen könnte.“
Gar keine Gleichberechtigung im Iran
Masih Alinejad, schreibt sie, bediene die „Erzählung, dass Frauen vom Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten“. Die Autorin bringt Beispiele aus der Kolonialgeschichte, wie den Algerienkrieg, in dem die Kolonialmächte Women of Color mit Zwang entschleiert hätten. Sie schreibt: „Die Vorstellung des Kopftuchs als Gradmesser von Freiheit wurde vom Westen erst populär gemacht. Und sie ist verdammt gefährlich.“
Wenn etwas verdammt gefährlich ist, dann ist es die Argumentation, dass Frauen im Globalen Süden Instrumente des Westens seien, wenn sie für ihre Freiheit kämpfen. Das Fundament zu diesem Narrativ bildet die Annahme, dass Women of Color, in diesem Fall iranische Frauen, eine andere Vorstellung von Emanzipation und Gleichberechtigung hätten als europäisch sozialisierte. Wer mal im Iran war oder sich die Mühe gemacht hat, mit einer Iranerin zu sprechen, weiß, dass Frauen dort dasselbe Bedürfnis nach Freiheit haben wie Frauen im Globalen Norden. Angesichts der Tatsache, dass so viele Frauen im Iran ihr Leben für diese Freiheit riskieren, wissen sie deren Wert vielleicht sogar mehr zu schätzen.
Frauen im Iran besitzen weder de facto noch de jure irgendeine Art der Gleichberechtigung. Vor dem Gesetz sind sie nur die Hälfte eines Mannes wert, ob vor Gericht, beim Erbrecht oder im Alltag. Die Pflicht zum Hijab ist ein zentrales Symbol dieser Unterdrückung – legt eine Frau das Kopftuch in der Öffentlichkeit ab, wehrt sie sich nicht gegen das Tuch per se, sondern gegen die systematische Unterdrückung.
Bei ihrer Argumentation benutzt die Autorin also (gutgemeinte?) postkoloniale Thesen, und tut dann aber selbst das, was sie „dem Westen“ vorwirft: Sie spricht Women of Color die Fähigkeit zur Selbstbestimmung ab. Ihr Befreiungskampf sei ein Produkt „weißen“ Denkens. Eine solche Sichtweise ist im Westen leider weit verbreitet: Dass Frauen in Ländern wie Iran nicht die gleichen Freiheiten verlangten wie Frauen in westlichen Staaten.
So steht im besagten Kommentar: „Frauen im Iran können nicht genießen, wie ihnen der Wind durch die Haare weht! Frauen im Iran dürfen nicht tanzen! Klar, dass auch konservative, rechte Medien auf den Diskurs aufspringen. Schaut, wie die Mullahs ihre Frauen unterdrücken!“ Man kann das so schreiben. Oder man kann verstehen, was es heißt, wenn der Wind nie durch die Haare weht: Die Körper iranischer Frauen gehören den Fundamentalisten.
Das Kopftuch lässt sich nicht isoliert vom historischen und politischen Kontext betrachten. Ein Kopftuch im Iran hat eine andere Bedeutung als ein Kopftuch in Deutschland. Im Iran sind Frauen seit der Revolution im Jahr 1979 gezwungen, einen Hijab zu tragen. Gegen den Hijab-Zwang im Iran zu sein hat nichts mit Islamophobie, sondern mit Frauenunterdrückungsphobie zu tun. Natürlich gibt es rechte und konservative Kreise, die Menschen wie Masih Alinejad für ihren Islamhass instrumentalisieren. Dazu gehören auch Feminist*innen wie Alice Schwarzer. Aber das ist nun wirklich unser politisches und gesellschaftliches Problem im Westen. Das müssen wir bekämpfen, dem Hass gegen Muslim*innen müssen wir uns entgegenstellen.
Abwegige Vergleiche
Die Autorin aber schiebt diese Verantwortung auf iranische Frauen ab. Sie sollen sich gefälligst nicht gegen das Kopftuch wehren, das ist doch islamophob! Ein völlig verqueres Argument, schon allein deshalb, weil auch religiöse, sogar verschleierte iranische Frauen sich gegen den Hijabzwang wehren, wie etwa die mutige Fatemeh Sepehri.
Schließlich betont die Autorin, dass auch Männer im Iran einem „Kleidungszwang“ unterworfen seien. (Okay, iranische Männer dürfen keine zu kurzen Hosen tragen.) Und weiter vergleicht sie die Situation iranischer Frauen mit christlichen Nonnen, die schließlich auch nicht ihr Kopftuch ablegen, um gegen das „Patriarchat der Kirche“ zu kämpfen. Abwegige Vergleiche: Beides ist nicht annähernd mit der Entmündigung von Frauen im Iran zu vergleichen.
Man kann nur hoffen, dass das Bewusstsein für bestimmte Denkmuster gegenüber Frauen des Globalen Südens, die dann in antifeministischen Aussagen enden, auch durch die Debatte über solche Texte wächst.
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