Frauenrechte im Iran: Protest mit kurdischem Antlitz

Im gesamten Iran demonstrieren Menschen für mehr Frauenrechte. Dabei spielt auch die Diskriminierung von Kur­d:in­nen eine große Rolle.

Eine Protestierende mit einem Foto von Amini in Brüssel am 23. September

Der Tod der Kurdin Zhina Amini hat Massen mobilisiert Foto: Kenzo Tribouillard/afp

BERLIN taz | Eine Gruppe bewaffneter Soldaten patrouilliert durch die leeren Straßen einer Wohngegend am späten Abend. Ein kleiner Junge beobachtet sie aus einem Fenster, ein Erwachsener steht neben ihm und schiebt die Gardine vorsichtig zur Seite. Sekunden später zielt einer der Soldaten auf das Fenster und schießt. Der kleine Junge duckt sich daraufhin schnell vom Fenster weg. Das zeigt ein Video vom 23. September auf den sozialen Medien. Der Ort? Die kurdische Stadt Bokan in der Provinz West-Aserbaidschan im Nordwesten des Iran.

Seit dem Tod der 22-jährigen Kurdin Zhina Amini am 16. September wüten massive Proteste in über 40 Städten im Iran. Begonnen haben die Proteste in Seqiz, Aminis Heimatstadt in der Provinz Kurdistan im Westen des Landes. Hier vermischt sich die Wut über den Tod Aminis mit der Kritik an der systematischen Diskriminierung der Kurd*innen.

Die Proteste weiten sich schnell auf andere kurdische Städte wie Urmia, Sardascht, Sine/Sanandaj und Bokan aus. Mittlerweile trägt nahezu das gesamte Land die Proteste mit. Neben Forderungen zur Abschaffung des Verschleierungszwangs rufen neben Kur­d*in­nen auch Perser*innen, Araber*innen, Aser­bai­dscha­ne­r*in­nen und Be­lut­sch*in­nen Seite an Seite Parolen gegen das repressive Regime.

Dabei kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen De­­mons­tran­t*in­nen und Sicherheitskräften. Bislang unbestätigte Videos in den sozia­len Medien zeigen nicht nur das Ausmaß der Gewalt, sondern auch den revolutionären Charakter der Protestwelle, insbesondere in den kurdischen Städten. Einige kurdische Social-Media-Accounts verbreiteten am Freitagabend die Nachricht, dass die kurdische Stadt Shino sich der Kontrolle des iranischen Staates entzogen habe.

Die erste kurdische Republik wurde immerhin 1947 im nur 95 Kilometer von Shino entfernten Mahabad ausgerufen, erinnern die Politikwissenschaftlerin Dastan Jasim und Journalist Pedram Zarei in Analyse & Kritik. Mittlerweile sei die Stadt wieder unter militärischer Kontrolle des Regimes. Das berichtet Hengaw, eine in Oslo ansässige Menschenrechtsorganisation. Solche Berichte können bis dato nicht unabhängig überprüft werden. Laut der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) sind seit dem Beginn der Protestwelle mindestens 54 Menschen ums Leben gekommen und mehrere Hunderte verletzt oder verhaftet worden, Tendenz steigend.

Die meisten Toten sind Kur­d:in­nen

Die landesweiten Proteste schlugen laut Onlinevideos immer wieder in Gewalt um. Die Repressionen sind besonders stark in den kurdischen Gebieten. In Piranschahr, Mahabad und Urmia schossen die Sicherheitskräfte den Aufnahmen zufolge mit scharfer Munition auf unbewaffnete Demonstranten. Die meisten Getöteten sind daher Kurd*innen. Aber es gibt auch etliche weitere Opfer, wie die 20-jährige Hadis Najafi*, die bei Protesten in Karaj, einem Vorort von Teheran, ums Leben gekommen ist..

Die kurdischen Regionen sind weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Vergangene Woche hat die Regierung das Internet im ganzen Land weitgehend lahmgelegt. Betroffen ist vor allem die Provinz Kurdistan, berichtet das Projekt Netblocks.org. Unbestätigten Berichten zufolge soll dort der Ausnahmezustand ausgerufen worden sein.

Am Samstag haben iranische Streitkräfte nach eigenen Angaben Stützpunkte kurdischer Separatistengruppen im benachbarten Nordirak angegriffen. Der militärische Angriff wurde als „legitime Reaktion“ auf vorherige Angriffe kurdischer Gruppen auf iranische Militärbasen im Grenzgebiet gerechtfertigt, wie die dem iranischen Militär nahestehende Nachrichtenagentur Tasnim berichtete.

Einige sehen in den Angriffen eine Reaktion auf die Proteste in den kurdischen Gebieten, denen es anscheinend laut sozialen Medien immer wieder gelingt die Streit- und Sicherheitskräfte des Regimes zu vertreiben. Irans Innenminister Ahmad Wahidi hatte zuvor einigen kurdischen Gruppen vorgeworfen, an den regierungskritischen Protesten der vergangenen Tage im Iran beteiligt gewesen zu sein. Laut der Regierung soll es auch kurdische Waffenlieferungen an De­mons­tran­t*in­nen in den Kurdengebieten Irans gegeben haben.

Das iranische Regime bekämpft Kur­d*in­nen im Iran seit Jahrzehnten mit Gewalt. Dass Zhina Aminis Tod das gesamte Land jedoch derart mobilisieren konnte, das hängt vor allem mit der Person Zhina Amini zusammen. Kurdische Ex­per­t*in­nen weisen auf die mehrfache Diskriminierung Aminis hin.

Ihre Herkunft spiele für die Proteste durchaus eine Rolle. Vor allem als Kurdin und als Frau aus einem wirtschaftlich schwachen Teil des Landes habe sie die historische Frustration und Wut im Land in sich vereinen können und so dazu beigetragen, dass auch viele weitere im Iran lebende Menschen gemeinsam Seite an Seite den kurdischen Slogan „Jin, Jiyan, Azadi“ (auf deutsch „Frau, Freiheit, Leben“) rufen und gegen ein jahrzehntelanges System der Diskriminierung und Gewalt protestieren. Ak­ti­vi­si­t*in­nen sind überzeugt: Ohne Kurdistan, ohne Zhina Amini wäre dieser Protest womöglich nicht machbar gewesen.

*Anm. der Red: Auf Twitter war am Samstag vielfach ein Video geteilt worden, dass die 20-jährige Hadis Najafi mit offenem Haar auf dem Weg zu Protesten zeigen soll. Am Sonntag wurde die Meldung verbreitet, dass Hadis Najafi bei den Protesten durch sechs Kugeln getötet worden sei.

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