Frauen in E-Sports: Game und Geschlecht
Die Welt der professionellen Gamer ist männlich dominiert. Das wollen Computerspielfirmen jetzt ändern.
Die zehn erfolgreichsten deutschen Profis im Ego-Shooter-Spiel „Counter-Strike: Global Offensive“ („CS:GO“) sind Männer. Auch unter den Top 100 ist keine einzige Frau zu finden. Ähnlich sieht es in den Ranglisten der meisten E-Sport-Disziplinen weltweit aus. Frauen sind in Kadern, auf der Coach-, Management- und Geschäftsführungsebene drastisch unterrepräsentiert. Und das in einer Branche, deren Umsatzzahlen seit Jahren stark wachsen. Der deutsche E-Sport knackte 2021 erstmals die 100-Millionen-Euro-Marke, ein Großteil davon besteht aus Sponsorengeldern.
Seit einigen Jahren verfolgen manche E-Sport-Organisationen und Computerspielfirmen deshalb einen Ansatz, den einige als „Empowerment“ verstehen, andere als „Segregation“ ablehnen: Teams und Ligen ausschließlich für Frauen und nichtbinäre Personen. Damit sollen „Safe Spaces“ etabliert und Sichtbarkeit erhöht werden, damit mehr Spieler*innen den Weg in den Profi-E-Sport finden.
Im September beispielsweise stellte die dänische Organisation Astralis, die als erfolgreichster „CS:GO“-Club gilt, ihr erstes Frauenteam vor. Im März zogen Guild aus Großbritannien und G2 aus Deutschland nach. Und aktuell läuft mit dem Equal eSports Cup das erste „League of Legends“-Turnier („LoL“) für Frauen und nichtbinäre Personen im deutschsprachigen Raum.
Frauen und marginalisierte sollen sich fokussieren können
Der buchstäbliche Spielmacher dieses Ansatzes ist das US-Unternehmen Riot Games, das für seinen First-Person-Shooter „Valorant“ bereits seit 2021 eine beispiellose Kampagne zur Förderung von Frauen und nonbinären Personen verfolgt: mit Turnieren, Community-Events und Caster-Trainings der Initiative Game Changers.
Man sei „fest entschlossen“, eine Gaming-Infrastruktur zu schaffen, „in der sich Frauen und andere marginalisierte Gender auf den Wettbewerb fokussieren können statt auf die Bürde der geschlechtsbezogenen Belästigung“, erklärte Anna Donlon, Executive Producerin für Valorant, beim Start des Programms.
Mit dieser „Bürde“ ist der Alltagssexismus gemeint, mit dem sich Frauen und nonbinäre Personen seit jeher konfrontiert sehen und der sich in der Szene in sexistischen Beleidigungen während des Spiels von männlichen Gegnern, Teamkollegen, Zuschauern niederschlägt.
Ginger sagt, es wird besser
Die „Valorant“-Spielerin Nicole alias „Ginger“ berichtet, dass sich die Lage in letzter Zeit ein wenig gebessert habe, auch dank der Frauenligen. In der Frauenliga Project Queens habe sie weniger sexistische Kommentare unter Videos wahrgenommen und deren Autor*innen würden konsequenter zurechtgewiesen als früher.
Dieser plakative Sexismus sei nur einer von vielen Exklusionsmechanismen, erklärt Natalie Denk. Sie leitet das Zentrum für Angewandte Spieleforschung an der Donau-Universität Krems in Österreich. Hauptursache für die geringe Zahl an Profi-Gamerinnen sei die geschlechtsspezifische Sozialisierung, dazu kämen der Mangel an Vorbildern und das vorrangig an Männer gerichtete Marketing.
All das führe dazu, dass Frauen im E-Sport rar sind. Und das, obwohl hobbymäßig etwa gleich viele Frauen wie Männer zocken. Laut der deutschen Games-Branche waren im Jahr 2021 48 Prozent der Computerspieler*innen weiblich, 52 Prozent männlich. Doch professionell spielen weltweit nur etwa 5 bis 8 Prozent Frauen.
Da es nur wenige Frauen in die Top-Ligen schaffen, bekommen sie an Gehalt und Preisgeldern durchschnittlich deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Unter den aktuell 152 Pro-Gamern, die laut esportsearnings.com 1 Milllion US-Dollar oder mehr mit Preisgeldern verdient haben, findet sich keine Frau. Die „Starcraft II“-Spielerin Sasha „Scarlett“ Hostyn“ ist mit einer Summe von rund 451.000 US-Dollar nach wie vor die Frau mit dem höchsten eingestrichenen Preisgeld.
Wissenschaftlerin Denk findet Women-Only-Teams als Sprungbrett in den E-Sport sinnvoll, das Hauptziel müsse aber sein, den herkömmlichen E-Sport inklusiver zu machen. Clubs sollten Mixed-Gender-Teams fördern, damit sie irgendwann zur Normalität gehörten. Frauenteams böten zwar einen Rückzugsraum, in dem sich ausgetauscht und frei entfaltet werden könne, doch an diese Strategie müsse angeknüpft werden mit dem Ziel, Frauen in allen Bereichen des E-Sport zu etablieren.
Sayna hat Geschichte geschrieben
Mareike Burg alias „Sayna“ spricht vom „Transfer-Problem“. Die 24-Jährige hat am 9. Februar E-Sport-Geschichte geschrieben: Als erste Frau trat sie in der First Division der Prime League an, quasi die „League of Legends“-Bundesliga. Ihr Team Unicorns of Love ist eines der Top-„LoL“-Teams.
Burg hat eine Hürde überwunden, die bisher wenige Frauen genommen haben: Sie hat früher auf niedrigerem Niveau in Frauenteams gespielt und verdient nun ihr Geld in einer männerdominierten Top-Liga. Auch sie hält Women-Only-Teams für notwendig, kritisiert aber, dass nur wenige dieser Frauen in die Top-Ligen aufsteigen. Es gebe im E-Sport kaum Anreize, einer Frau im Main-Team eine Chance zu geben. Denn ein gutes Frauenteam ist billiger und bringt vergleichsweise schnell Siege, Preisgelder und Werbeabsatz.
2021 scheiterte Riot Games mit einem Versuch, den Übergang von Women-Only-Teams zu Mixed-Teams zu gestalten. Nach dem Erfolg von Game Changers in Nordamerika hatte Riot das Format auch für Europa und den Nahen Osten angekündigt. Mit einer Änderung: Nicht nur Frauenteams sollten zugelassen werden, sondern alle mit mindestens drei Spielerinnen – eine Frauenquote. Organisationen wie „Femme Gaming“ fordern dies seit Langem. Doch nach heftiger Kritik daran, dass sich die Game-Changers-Reihe so des „Safe Space“-Gedankens entledige, ruderte Riot Games zurück.
Wie der E-Sport generell machen auch die Frauenligen den meisten Umsatz mit Sponsoring. Gut vermarkten lassen sich Frauen schon allein aufgrund der Tatsache, dass sie, sofern sie einem klassischen Schönheitsideal entsprechen, viel geklickt werden. Valorant-Spielerin Nicole berichtet von zahlreichen Fällen, in denen Gamerinnen aus ihrem Umfeld die Erfahrung gemacht hätten, dass Organisationen sie nur ins Team holen wollten, „weil sie gut ausschauen und gut fürs Marketing sind“.
Eigene Liga
Beim ersten weltweiten Frauen-Major-Event, das Game-Changers-Finale im November, schalteten in der Spitze knapp 240.000 Zuschauer*innen ein. Marken wie Nivea oder Shopify sponserten Turniere oder Teams. In Nordamerika hat der Konzern Procter & Gamble gleich eine eigene Valorant-Liga gestartet, präsentiert von seinen Damenhygienemarken „Tampax“ und „Always“.
Darüber hinaus versuchen Clubs mit Frauenteams ihr Image aufzupolieren – durch sogenanntes „Pinkwashing“. G2 startete sein erstes „CS:GO“-Frauenteam nur wenige Monate nach einem Skandal, im Zuge dessen einer der G2-Chefs seinen Posten räumen musste, weil er mit dem frauenhassenden Influencer Andrew Tate Party gemacht hatte.
Beim kommerziellen Aspekt von Women-Only-Teams ist die Community zwiegespalten: Einerseits bekommen die Athletinnen Geld und eine Bühne. Andererseits kann frauenspezifisches Marketing Geschlechterklischees und Sexismus reproduzieren. Auch wird immer wieder kritisiert, dass viele Ligen und Initiativen zwar explizit non-binäre Menschen ansprechen, diese Marketing-Ansprache sich in der Praxis aber kaum widerspiegele.
„Ich habe am Rande eines Turniers mal eine nichtbinäre Person kennengelernt, die sich ein bisschen verloren und dazwischengequetscht gefühlt hat, weil überall nur von ‚Frauenteams‘ die Rede war“, berichtet Burg.
Bis der erste weibliche Name in den Top Ten der erfolgreichsten deutschen „LoL“-Profis auftaucht, dürfte es noch eine Weile dauern. Burg schwärmt trotzdem von den Möglichkeiten des E-Sports. „Da es im Gegenteil zum herkömmlichen Sport keine geschlechterspezifischen Unterschiede in der Physis gibt, kannst du als 15-jähriges Mädchen den 21-jährigen Profi plattmachen.“ Wären da nicht „die großen systemisch bedingten Probleme“, die der Entwicklung von Spielerinnen entgegenwirkten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja