Frau ohne Menstruationshintergrund: Eine Nummer zu arabisch
Lieber wollen die Leute ihre Kinder aus der Schule nehmen, als sie mit arabischen Ziffern Mathe lernen lassen, erfährt Kolumnistin Michaela Dudley.
Wären Sie mit der Einführung der arabischen Zahlschrift in den deutschen Schreibgebrauch einverstanden?“, wollte ich neulich wissen. Ähnliche Fragen hatte ich im Vorfeld eines kommenden Buches schon mal gestellt. Zwischen Hamburg und Heidelberg wurden damit interessante, teilweise erbaulich inspirierende Gespräche über Inklusion entfacht. Vor anderthalb Wochen entschied ich mich, die Forschungen hier in der Hauptstadt der Bunten Republik fortzusetzen.
Berliner schimpfen sich als tolerant, Berliner schimpfen über die Toleranz, Berliner schimpfen halt. Und zwar ohne Halt. So war ich auf die Reaktionen gespannt. Dabei trat ich weder in Kreuzberg noch in Köpenick auf, sondern mittendrin.
Ich stand an der Weltzeituhr am Alexanderplatz. Die metallene Rotunde, die mit den Namen von fast 150 Städten aus aller Herren Länder versehen ist, schien ein idealer Ort für die kleine Erhebung zu sein. Das Datum wirkte ebenfalls geeignet. Es war ein Sonntag. Zudem war es der Tag der offenen Moscheen. Nicht zuletzt war es der dritte Oktober. Und dementsprechend wurde meine Frage, gewissermaßen einheitlich, ziemlich herbstlich in Empfang genommen.
„Häh, arabische Zahlschrift? Na, wat meenen Se woll?“ Der Kerl, so Ende dreißig, sah mich stirnrunzelnd an. „Sollten hierzulande arabische Ziffern Verwendung finden?“, hakte ich nach. „Wären Sie dafür, dass arabische Ziffern im Grundschulunterricht –?“ Mit dem Mittelfinger zeigt er mir eine „1“ und verriet damit womöglich seinen IQ.
„Um Gottes willen!“, echauffiert sich eine junge Mutter einige Minuten später. „Nein, sie sollen das Rechnen auf Deutsch lernen, wie unsere Kinder es tun. Pisa könnten wir uns ansonsten abschminken. Das wird aber eh nicht gehen. Nicht ohne Volksbegehren, und kein Mensch stimmt dafür. Man soll sich an der Schweiz ein Beispiel nehmen. Sorry, aber ich erziehe keine Islamwissenschaftler. Meine Jungs hole ich aus der Schule, wenn man mit dem Unfug anfängt.“
„Wir sind doch in Deutschland! Noch!“, ermahnte ein Mann in Schiffermütze. „Im eigenen Land wird man so schäbig behandelt. Erst diese Scheißmasken. Dann kommt man an mit den Sternchen, mit der ganzen Gender-Gaga. Nee, aber echt. Anfangs sollen’s nur Nummern sein, wa, aber irgendwann mal kommen die Kinder mit dem Koran nach Hause. Wir werden verarscht. Ich meine, diese Saudis, die ganzen Scheichs, die schwimmen in Öl. Die kaufen uns die Waffen ab und schicken uns ihre Armen zur Rundumversorgung. Ihr wollt uns verdrängen, wa?“
„Ähm, eigentlich bin ich weder arabisch noch muslimisch“, sagte ich. „Sondern katholisch getauft. Römische Ziffern beherrsche ich also ganz gut. Aber sie sind etwas sperrig, nicht wahr? Nicht Sie, meine ich, sondern die römischen Ziffern. Wobei …“
Es war noch früher Nachmittag, doch der Mann brauste mit einem „Gute Nacht, Deutschland!“ ab. Eine Viertelstunde danach befand ich mich im Gespräch mit einer Witwe Mitte siebzig.„Das geht aber zu weit“, erklärte sie mit einem Seufzer. „Mein Mann hat immer davor gewarnt, wissen Sie? Es ist diese Willkommenskultur. Wir sind seit Langem das Sozialamt Europas. Ich bin weiß Gott nicht rassistisch, aber …“
Insgesamt 9 von 14 Befragten am Alex lehnten die arabische Zahlschrift partout ab. Dabei findet sie hierzulande seit dem 15. Jahrhundert Verwendung. Ursprünglich stammt sie aus dem altindischen Maurya-Reich vor rund 2.300 Jahren. Anno 825 führte der in Bagdad lebende persische Universalgelehrte Al-Chwarizmi die Ziffernschreibweise in den arabischen Kulturkreis ein. Aus seinem Namen leitet sich übrigens der Begriff „Algorithmus“ ab, Grundlage der modernen Informatik.
Die Null heißt auf Arabisch sifr, somit haben wir die etymologische Herkunft des deutschen Wortes „Ziffer“. Schon dieser Abschnitt aus der langen Geschichte der Mathematik zeigt uns, dass die kulturelle Integration eine Zweibahnstraße ist. Aber dieses Einmaleins der Erkenntnisse ist einigen offenbar eine Nummer zu groß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut