Forscherin über Sexroboter: „Robotik hat viel mehr Potenzial“
Sexroboter sind ein Beispiel, wie technische Entwicklungen einem männlichen Kanon folgen. Das muss nicht so bleiben, sagt Forscherin Tanja Kubes.
taz: Frau Kubes, Sie arbeiten seit zwei Jahren an Ihrem Forschungsprojekt „Leben und Lieben mit Robotern“. Haben Sie selbst Sexroboter zu Hause?
Tanja Kubes: Ich muss Sie enttäuschen, ich habe keinen Sexroboter zu Hause. Die Roboter kosten um die 9.000 Euro. Ich analysiere die Roboter aus einer soziologischen Perspektive und erhalte meine Informationen und technischen Parameter von den Herstellern.
Wie sind Sie dann überhaupt zu diesem Thema gekommen?
Ich beschäftige mich schon lange mit soziotechnischen Phänomenen. Für meine Doktorarbeit habe ich die Inszenierung von Hostessen auf Automessen analysiert. Da ist mir aufgefallen, dass viele junge, sehr attraktive Frauen als passive Schauobjekte neben den Autos präsentiert wurden, während die Verkäufer, die das Wissen über die ausgestellten Automobile aktiv an Besucher und Besucherinnen vermitteln, ganz durchschnittliche Männer sind.
ist Soziologin an der FU Berlin und forscht zu Mensch-Roboter Beziehungen. Sie ist Gutachterin für zahlreiche internationale Fachzeitschriften und wissenschaftliche Stiftungen und Sprecherin der AG DIG*IT*AL, die sich kritisch mit Digitalisierungsprozessen und künstlicher Intelligenz auseinandersetzt.
Oje.
Eben. So eine geschlechterdifferente Arbeitsaufteilung muss im 21. Jahrhundert ja nun wirklich nicht sein. Also habe ich die Hersteller gefragt, wie der Job der Hostessen in der Zukunft aussehen könnte. Häufig war die Antwort, dass die Hostessen wohl langfristig durch Roboter ersetzt werden könnten. Diese würden dann nicht nur perfekt aussehen, sondern auch das Wissen über die Autos weitergeben. Ich fand dieses Thema so spannend, dass ich nach meiner Doktorarbeit begann, mich mit „weiblichen“ Robotern zu beschäftigen – und bin so auf die Sexroboter gestoßen.
Was genau ist denn ein Sexroboter?
Das sind humanoide Roboter, die mit künstlicher Intelligenz (KI) versehen sind. Sie bestehen quasi aus einem starren Körper und einem Kopf, der Funktionalitäten besitzt wie Siri oder Alexa. Die Roboter können sprechen und Emotionen simulieren, haben grundsätzlich einen weiblich geformten Körper, der pornografische Schönheitsideale nachahmt und an eine lebensgroße Barbiepuppe erinnert. Sexroboter sind ein gutes Beispiel dafür, dass neuartige Technikentwicklungen immer noch einem männlichen Kanon folgen. Man spricht hier auch von der I-Methodology, also einer Herangehensweise, bei der in der Technikentwicklung das Produkt nach den Bedürfnissen und Vorstellungen des Entwicklers designt wird. Kurz, wenn Technikentwickler nicht über den eigenen Tellerrand schauen.
Also sind sie geformt durch einen „male gaze“, den männlichen Blick?
Absolut. Und die sexuelle Funktion beschränkt sich auf unterschiedliche Möglichkeiten der Penetration, als sei dies die einzige Möglichkeit, Sex zu haben. Dass sexuelle Bedürfnisse und Vorlieben ganz unterschiedlich sind, wird nicht bedacht. Auch die Charaktereigenschaften dieser Roboter folgen vermeintlich weiblichen Stereotypen, wie zum Beispiel liebevoll, sinnlich, gesprächig oder hilfsbereit. Die Entwicklungsteams orientieren sich dabei an sogenannten Genderskripten, wie zum Beispiel „Mann verführt Frau“ oder „Männer sind aktiv, Frauen passiv“.
Aber können Roboter überhaupt dominant und aktiv sein?
Natürlich. Roboter werden so, wie die Entwicklungsteams sie erschaffen. Modelle des Roboterherstellers Boston Dynamics können einen Flickflack oder Rock ’n’ Roll tanzen. Es gibt also definitiv die Möglichkeit, auch Sexroboter nicht passiv zu gestalten. Bei den aktuellen Sexrobotermodellen ist es nur nicht gewollt. Zum Beispiel gibt es Modelle, die einen stereotypen Orgasmus simulieren können. Hierbei wird aber auch wieder nur ein heteronormatives und passiv anmutendes Genderskript aus der Pornografie übernommen. Und das ist schade.
Gibt es auch männliche Exemplare?
Kaum. Und die wenigen, die es gibt, werden ebenfalls aus einer männlichen Perspektive für eine männliche Kundschaft konstruiert. Auch hier bleibt der Körper komplett starr, und Penetration gilt als Normsex.
Sollten Sexroboter also abgeschafft werden?
Nein, gar nicht. Ich habe generell nichts gegen Sexroboter. Ich glaube fest daran, dass mit Sexrobotern neue Arten von Beziehungen und Befriedigung erlebt werden können. Aber eben nicht so, wie sie aktuell konstruiert werden. Wir müssen bei der Technikgestaltung wegkommen vom übersteigerten Naturalismus, von der extremen pornografischen Stereotypisierung und hin zu einer neuen und vielfältigen Art von technischem Gegenüber.
Was heißt das konkret?
Sexroboter sollen nicht Menschen oder Frauen ersetzen, sondern als zusätzliche Möglichkeit dienen, Sexualität weiter auszuleben. So wie es mittlerweile Druckwellenvibratoren gibt, denen man auf dem ersten Blick nicht mal ansieht, was für einen Zweck sie eigentlich haben. Diese Sextoys bieten eine komplett neue Art von Befriedigung. Die klitorale Stimulation durch Druckwellen ist eine Funktion, die kein Mensch, mag er sich noch so anstrengen, nachmachen kann.
Sie haben in der Pressemitteilung Ihrer Forschung geschrieben, dass es queere Roboter geben soll – aber Diversität geht ja über Queerness hinaus, und wie kann ein Roboter überhaupt queer sein?
Ja genau, ich spreche in dem Zusammenhang auch von Queerbots. Mir geht es bei dem Begriff queer nicht allein ums Aussehen oder die sexuelle Orientierung, sondern um den queeren Ansatz im Allgemeinen. Die Queer Theory geht davon aus, dass Sexualität, Geschlecht und Begehren Effekte von soziokulturellen Normierungen und Regulierungspraxen sind. Wichtig ist, bei der Technikkonstruktion inhärente Machtverhältnisse und Ausgrenzung offenzulegen und zu hinterfragen. Technikkonstruktionen sind nicht festgeschrieben, sondern fluide und demnach form- und veränderbar.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie so ein queerer Sexroboter überhaupt aussehen soll. Soll er überhaupt wie ein Mensch aussehen?
Ich möchte hier gar nichts vorgeben. Hauptsache, weg von diesem strikten Anthropomorphismus, also der Zuschreibung menschlicher Eigenschaften auf die Roboter. Menschen können ja mit allen möglichen Gegenständen emotionale Bindungen oder sexuelle Beziehungen eingehen. So ein Roboter kann also eine beliebige Zahl frei formbarer Gliedmaßen haben, die vibrieren und einen umschlingen. Er kann wie ein Ball aussehen oder aus Plüsch sein. Man könnte mit Wärme oder Kälte arbeiten. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Aber was ist das Problem daran, wenn Sexroboter aussehen wie reale Frauen?
Wenn wir mit solchen Robotern in Zukunft immer häufiger zu tun haben, kann es zu einer symbolischen Übertragung von Sexismen auf Frauen kommen. Es besteht auch die Gefahr, dass, wenn bestimmte Macht- oder Gewaltfantasien immer wieder an frauenähnlichen Robotern praktiziert werden, diese auch auf reale Frauen übertragen werden.
Ist es aber nicht besser, wenn Gewaltfantasien an Robotern begangen werden anstatt an Menschen?
Das ist eine schwierige ethische Frage, ich bin Soziologin und keine Ethikerin. Es gibt aber durchaus Überlegungen, ob man einen Consent-Modus einbauen sollte. Also eine Funktion, in der der Roboter dem Sex zustimmen muss. Aber was passiert, wenn der Roboter nicht zustimmt und man ihn trotzdem zum Sex nötigt? Da gibt es viele Problematiken, die noch nicht ausreichend diskutiert worden sind.
Kann man das nicht mit Computerspielen vergleichen? Nur, weil ein Kind Killerspiele zockt, heißt es nicht, dass es auf der Straße Menschen erschießt.
Nein, das kann man meiner Meinung nach nicht vergleichen. Bei einem Computerspiel sitzen Menschen vor Monitoren, die sie irgendwann ausschalten. Ein Roboter in der analogen Welt hat einen ganz anderen Stellenwert – man lebt mit ihm, liebt ihn vielleicht sogar und kommuniziert mit ihm wie mit Menschen auch. Man nimmt ihn deshalb früher oder später als Gegenüber wahr. Gleichzeitig hängt man den Sexroboter an einem Haken auf, wenn man ihn vernünftig aufbewahren möchte.
Am Haken? Nicht im Bett?
Klar, manche bewahren ihn sicherlich auch im Bett oder auf einem Stuhl auf, aber so ein Roboter ist relativ schwer. Er wiegt um die 40 Kilo. Das Silikon wird also nach einer Weile platt gedrückt, und damit das nicht passiert, nimmt man den Kopf ab und hängt den Rest des Körpers an einem Haken auf. Das sieht schon sehr makaber aus.
Sind diese Roboter denn eigentlich schon weit verbreitet?
Sie sind aktuell noch ein Nischenprodukt und erst seit kurzer Zeit auf dem Markt. Verlässliche Zahlen gibt es daher noch nicht. Potenzielle Kunden müssen viel Geld, einen Internet- und Stromanschluss haben und die pornografische Ästhetik der aktuellen Modelle mögen. Ich empfinde diese einfältige Technikgestaltung als eine Vergeudung von Möglichkeiten! Die Robotik hat so viel mehr Potenzial! In naher Zukunft werden wir mit Robotern zusammenleben. Auf lange Sicht sollte es deshalb nicht unser Ziel sein, Menschen beziehungsweise Frauen robotisch nachzubilden oder gar zu ersetzen. Das Motto der Zukunft sollte vielmehr sein: Hin zu neuen Optionen und Funktionalitäten, die unser Leben im Allgemeinen und auch im sexuellen Bereich bereichern können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation