Forderungen an Rot-Grün-Rot in Berlin: Initiativen wollen mitreden

Bis Ende der Woche wollen SPD, Grüne und Linke ihren Koalitionsvertrag fertig haben. Was muss rein? Die taz hat in der Zivilgesellschaft nachgefragt.

Demo-Schild von DW-Enteignen: "Ihr wollt das Volk repräsentieren? Das will es". Dazu eine Grafik, die die Mehrheitsentscheidung zum Volksentscheid zeigt

Demo von DW-Enteignen am 11. Oktober bei den Sondierungen zwischen Grünen, SPD und FPD Foto: dpa

Deutsche Wohnen & Co enteignen

Überall, wo die Ver­hand­le­rIn­nen von SPD, Grünen und Linken zuletzt auftauchten, sind die lilafarbenen Westen schon da. Vor allem das Kurt-Schumacher-Haus, der Sitz der Berliner SPD, ist unter Dauer-Belagerung.

Die Message der Demonstrierenden: Der Wille von 59,1 Prozent der Wäh­le­rInnen – mehr als eine Million Menschen – darf nicht ignoriert werden. Das versucht auch eine siebenköpfge Kontaktgruppe der Kampagne den Po­li­ti­ke­rIn­nen zu vermitteln. „Wir fordern keine Prüfung, ob der Volksentscheid umgesetzt werden kann, sondern nur wie“, so Sprecher Jonas Becker.

Die Initiative verlangt, dass ihr bereits erarbeitetes Vergesellschaftungsgesetz nach einer kurzen Prüfphase ins Abgeordnetenhaus eingebracht wird. „Eine Expertenkommission braucht es nicht mehr“, betont Becker. Erst recht keine mit Ver­te­te­rIn­nen der Immobilienfirmen, wie von SPD-Seite bereits ins Spiel gebracht: „Sollen wir die Mafia einladen, um ein Gesetz zur Bekämpfung der Mafia zu prüfen?“ Mit anderen Ex­per­tIn­nen würde man sich gleichwohl zusammensetzen, etwa um über die zukünftige Verwaltung der enteigneten Wohnungen zu sprechen.

Arbeitskreis Wohnungsnot

Die Zeit wird knapp für die rot-grün-roten Koalitionsverhandlungen. Für diese Woche sind jeden Tag Runden der sogenannten Dachgruppe angesetzt. Auf dem Programm stehen die Themen Stadtentwicklung (am Montag), Inneres, Bildung, Wissenschaft, Verwaltung und Finanzen. Dann müssen in einer letzten Runde die verbliebenen Unstimmigkeiten bereinigt werden. Bis Freitagnacht muss der Vertrag stehen, damit die Linke ihre Mitgliederbefragung starten und Franziska Giffey am 21. Dezember als Regierende Bürgermeisterin gewählt werden kann. (bis)

„Wir haben als Arbeitskreis Wohnungsnot den Masterplan zur Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 von Senatorin Elke Breitenbach sehr begrüßt“, sagt Martin Parlow vom AK Wohnungsnot, einem Zusammenschluss von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, der sich als Lobby für Wohnungslose versteht. „R2G muss in den nächsten fünf Jahren beweisen, dass die neue/alte Koalition es ernst meint mit der Beendigung der Wohnungsnot in Berlin. Kernbestandteil muss der bessere Zugang zu Wohnraum im Sinne des Housing First sein.“

Auch die soziale Wohnraumversorgung müsse dazu neu aufgestellt werden, so Parlow. „Wir brauchen eine gezielte Förderung zur Schaffung von Wohnraum für Wohnungslose, die auch sozialen Trägern das Bauen ermöglicht. Warum nicht genauso viel Geld für die Schaffung von Wohnraum ausgeben wie für die Unterbringung der 50.000 wohnungslosen Menschen, also 120 Millionen Euro jährlich?“ Weiterhin müsse der Wildwuchs und das Profitdenken bei den für die Unterbringung zuständigen privaten Wohnheimen enden. „Darunter brauchen wir eine ganzjährige Kältehilfe im 24/7 Betrieb. Im Kampf gegen Wohnungsverlust brauchen wir echte Fachstellen in den Bezirken mit ausreichend Personal für die Präventionsarbeit.“ Zudem müssten die positiven Erfahrungen des Modellprojekts Housing First in die Reform der Regelangebote einfließen.

Bildungswerk bbk Berlin

Von der Koalition der Freien Szene – dem Sprachrohr der 40.000 Künst­le­rIin­nen der Stadt – werden seit 2012 wichtige spartenübergreifende Bedarfe ermittelt, sagt Wibke Behrens vom „bildungswerk des berufsverbands bildender künst­le­r*in­nen berlin“. „Die Stärkung der Selbstverwaltung und ein Runder Tisch Freie Szene wie beim Runden Tisch Tanz ist daher mein erster Wunsch.“

Der zweite sei die kulturpolitisch kompetente Sicherung von dringend benötigtem und bezahlbarem Arbeits-Raum. „Es ist so wichtig, die Bedarfe vorausschauend von Anfang an konsequent in die Stadt-Entwicklungsplanung neuer Quartiere einzubeziehen.“

Gleichzeitig sollen Areale und Projekte wie die Alte Münze mit „klugem Betreibermodell und sinnigem Nutzungskonzept, verlässlichen Zeitzielen und verbindlichen Kostenplänen in enger Kommunikation und gemeinsamer Steuerungsverantwortung mit der freien Szene so aufgestellt werden, dass nachhaltig und für viele Jahrzehnte wichtige Orte für die Kultur gesichert sind“.

Moabit hilft

„Es wäre uns eine Herzensangelegenheit, wenn die beiden wichtigsten Behörden für Geflüchtete, das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) und Landesamt für Einwanderung (LEA), endlich ins 21. Jahrhundert überführt würden“, betont Diana Henniges von Moabit hilft. „Beide Ämter sind – im zweiten Corona-Jahr – nicht in der Lage, digital zu arbeiten.“ Für nahezu alles brauche man erst eine Registrierung, um dann irgendwann einen Termin zur ‚Vorsprache‘ oder Bearbeitung zu bekommen. Entweder müsse man Wochen bis Monate auf Antwort warten oder seit neuestem wieder stundenlang beim LEA draußen in der Kälte.

„Das LAF antwortet häufig gar nicht. Jeder Schriftverkehr dauert Wochen bis Monate, solange bekommen Menschen keine Bescheide, die unerlässlich sind für Berlinpässe, Leistungen, einen WBS.“ Das LEA stelle sogar „Phantasiepapiere“ mit Berliner Briefkopf aus, die es offiziell gar nicht gibt und mit denen man bei BVG-Kontrollen und in den Sozialämtern Ärger bekomme und nicht mal ein Konto eröffnen könne.

„Bei der Wohnungslosenhilfe muss dringend die Qualität der ASOG-Heime in den Bezirken besser werden“, so Henniges weiter. „Es kann nicht sein, dass die Beschwerdestelle für Heimbewohner (Bubs) nur für LAF-Heime gilt, nicht aber für die Läuse-Pensionen, denen die Bezirke teils horrendes Steuergeld in den Rachen schmeißen.“

Zum neuen Partizipations- und Integrationsgesetz sagt Henniges: „Es gibt jetzt zwar mehr Geld für kleine und wenig professionelle Vereine – aber wir brauchen nicht das 100. Kochprojekt.“ Vielmehr brauche man endlich eine Regelfinanzierung, also „die lange versprochene Verstetigung unserer Arbeit“. „Wir müssen weg von der ‚Projekteritis‘, wo wir jedes Jahr neu Gelder beantragen müssen um weitermachen zu können. Zum Beispiel könnte das Land die Miete vieler Organisationen direkt übernehmen. Wir von Moabit hilft etwa zahlen jährlich 21.000 Euro Miete an die BIM, also für eine Landesimmobilie! Das Geld müssen wir mühsam über Drittmittel einwerben, die Zeit und Energie (und das Geld!) können wir wirklich besser verwenden.“

Berliner Flüchtlingsrat

„R2G hat die Abschiebepolitik von CDU-Innensenator Henkel unvermindert fortgesetzt“, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat. „Der Anteil Berlins an Abschiebungen bundesweit wurde gegenüber dem Vorgängersenat von 5,7 auf 6,1 Prozent sogar etwas gesteigert.“ Zentral ist für Classen deshalb die Forderung, die Zuständigkeit für die Ausländerbehörde künftig von der In­nen­se­na­to­rIin an die für Integration zuständige Se­na­to­rIn zu übertragen, um das Aufenthaltsrecht nicht zuerst nach polizeilichen Maßstäben umzusetzen. „Das fordern auch die Grünen, und die Linke hat es in ihren Parteitagsbeschlüssen zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen nochmal ausdrücklich bekräftigt.“

Auch schwerkranke und behinderte Menschen wurden unter R2G mit großer Brutalität abgeschoben und humanitäre Härten ignoriert, so Classen. „Wir fordern daher, dass die Ausländerbehörde stets die Indizwirkung ärztlicher und psychologischer Atteste beachten und zunächst Gelegenheit zu weiterer Begutachtung geben muss.“ Derzeit ignoriere die Ausländerbehörde psychologische Atteste generell, auch ärztliche Atteste würden nicht beachtet, wenn sie nicht verschärften formalen Maßgaben entsprechen.

Volksentscheid Berlin autofrei

Die Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ wartet derzeit auf die Prüfung der gut 50.000 Unterschriften für den Antrag eines Volksbegehrens, die sie im August beim Senat eingereicht hat.„Wenn die SPD zu ihrem Namen steht, liegt es in ihrer Verantwortung, die Verkehrswende aktiv voranzubringen“, sagt Sprecherin Nina Noblé, „denn sozial gerecht ist, eine Mobilität unabhängig vom Auto zu ermöglichen – für alle.“

Die Umsetzung des 2018 in Kraft getretenen Mobilitätsgesetzes sei in den letzten Jahren „verschleppt“ worden, und das vorliegende Sondierungspapier lasse „auch für die kommende Wahlperiode keine fortschrittliche und zukunftsfähige Mobilitätspolitik erwarten“, heißt es in einer Stellungnahme der Initiative. Um Platz für die Verkehrswende zu schaffen, müssten die vorhandenen Flächen im öffentlichen Raum gerecht verteilt werden – „etwa durch die Umwidmung von jährlich 60.000 öffentlichen Pkw-Stellplätzen“ und das Heraushalten von Durchgangsverkehr aus Wohnquartieren durch Kiezblocks.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.