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Forderung nach dem Ende von Alg IISPD rüttelt an Hartz IV – ein bisschen

Ein solidarisches Grundeinkommen soll her. Doch es fehlen genaue Ideen und politische Mehrheiten. Und die Finanzierung? Ist ungeklärt.

Lieber solidarisches Grundeinkommen statt verordneter Armut Foto: Imago/ Christian Ohde

Berlin taz | Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist dafür, SPD-Vize Ralf Stegner auch. Und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat es sich ausgedacht – das „solidarische“ Grundeinkommen. Auch als Antwort auf die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ausgelöste Hartz-IV-Debatte versuchen derzeit Teile der SPD eine vorsichtige Abkehr von der Arbeitsmarktreform der Schröder-Ära.

Doch was ist eigentlich ein „solidarisches“ Grundeinkommen? Geld ohne Arbeit jedenfalls nicht, das wäre ein „bedingungsloses“ Grundeinkommen. Müller schlägt vielmehr vor, dass Langzeitarbeitslose „gesellschaftliche“ Tätigkeiten ausführen können – und das in unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen und mit Mindestlohn vergüteten Arbeitsverhältnissen. Die Teilnahme an den zu schaffenden Jobprogrammen wäre freiwillig und könnte Langzeiterwerbslosen ermöglichen, außerhalb des regulären Arbeitsmarkts einer dauerhaften Beschäftigung nachzugehen.

Die Idee klingt sinnvoll – ist allerdings noch recht unausgegoren. Für Menschen in Bedarfsgemeinschaften ist zum Beispiel die Frage relevant, ob das solidarische Einkommen mit den Regelsätzen anderer Haushaltsmitglieder verrechnet würde und damit das Einkommen schmälern würde. Außerdem ist unklar, wer als Träger der gemeinnützigen Jobs fungieren würde. Weiterhin müsste über die Zielsetzungen geförderter Arbeitsverhältnisse diskutiert werden. Geht es darum, Menschen für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren, oder jenen, die dort keine Chance haben, eine dauerhafte Beschäftigung zu ermöglichen?

Ob die Haltung der SPD mehrheitfähig ist, bleibt offen

Eines ist jedoch klar: Die Befürworter der Idee in der SPD wollen das Grundeinkommen mit einer zumindest teilweisen Abkehr von Hartz IV verbinden. SPD-Vize Ralf Stegner plädiert für einen sanktionsfreien „Anspruch auf das Existenzminimum“. Damit wäre ein vielfach kritisiertes Element der Hartz-IV-Gesetzgebung vom Tisch. Der Vorsitzende der NRW-SPD, Michael Groschek, sagte der taz, mit der Etablierung eines großflächigen sozialen Arbeitsmarkts könne „im nächsten Schritt dann durch ein faktisch wahrnehmbares Recht auf Arbeit – auch durch öffentliche Beschäftigungsangebote mit einem auskömmlichen Grundeinkommen – Hartz IV überwunden werden“.

Inwieweit diese Haltung in der SPD mehrheitsfähig ist, bleibt aber offen. Am Montag äußerten sich mehrere Mitglieder der konservativen SPD-Strömung Seeheimer Kreis auf Nachfrage nicht zur Debatte über das solidarische Grundeinkommen. Die Union dürfte der Idee auch nicht unbedingt aufgeschlossen gegenüberstehen.

Linken-Politikerin Inge Hannemann reagierte mit Skepsis auf den Vorschlag aus der SPD. Damit versuche die Partei „von der Debatte um Sanktionen und niedrige Regelsätze abzulenken“, sagte die prominente Hartz-IV-Kritikerin der taz. Außerdem könnten von den Jobangeboten nur jene profitieren, die auch uneingeschränkt arbeitsfähig seien. „Über 50-Jährige, Menschen mit Behinderungen, Geringqualifizierte: Diese Menschen brauchen nicht nur kurzfristig einen Job, sondern langfristige Unterstützung“, so Hannemann.

Interessant dürfte auch die Frage der Finanzierung werden. Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD sind für die kommenden vier Jahre 4 Milliarden Euro für die Teilhabe am sozialen Arbeitsmarkt von 150.000 Langzeitarbeitslosen vorgesehen. Im Februar gab es aber mehr als 850.000 Langzeiterwerbslose. Eine Art Anspruch auf öffentliche Beschäftigung dürfte teuer werden.

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14 Kommentare

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  • Hartz IV ist die neue "Hölle" in unserer säkularisierten Welt. Wie sehr es die entwürdigt, die darin gefangen sind ist dabei die halbe Problematik, die andere Hälfte kommt in der Diskussion zu kurz. Hartz IV hat viele Arbeitnehmer in Angst versetzt. Aus lauter Angst vor Hartz Iv nehmen sie prekäre Arbeitsverhältnisse und unzumutbare Arbeitsbedingungen hin, ohne sich zu beschweren. Stillschweigend aber mit geballter Faust in der Tasche haben sie ihr Vertrauen in den Zusammenhalt der Gesellschaft und diejenigen die das eingefädelt haben verloren. Nutzen tut dies nur Unternehmern, die daran gut verdienen Arbeitnehmer und Zeitarbeiter gnadenlos auszubeuten.

    Wenn jemand wirklich nach der Vergiftung unserer Gesellschaft durch Hass und die Krise der Politik sucht, sollte er über die faule Wurzel Hartz Iv nicht hinwegsehen oder durch kleine Schönheitsreparatueren etwas bessern wollen. Dieses System schadet allen!

  • Alles nur für die Galerie - die SPD will sich ein bisschen sozial aufhübschen - sind ja Wahlen in Hessen - gelle. Da die CDU das auf keinen Fall mitmacht, können sich Nahles (Brüll) und Scholz (Knautsch) öffentlich als soziale Maid Marian und Robin Hood aufspielen - passieren tut nix. Und noch was ins Stammbuch - ein großer Teil der Hartz IV-Bezieher muss die 'Gnade' des Jobcenters in Anspruch nehmen, obwohl sie arbeiten. Den Mindestlohn erhöhen, so dass man davon leben kann - das könnten Heil und Co ja umsetzen - aber wer glaubt schon noch an den Weihnachtsmann....

  • "Müller schlägt vielmehr vor, dass Langzeitarbeitslose „gesellschaftliche“ Tätigkeiten ausführen können – und das in unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen und mit Mindestlohn vergüteten Arbeitsverhältnissen. Die Teilnahme an den zu schaffenden Jobprogrammen wäre freiwillig und könnte Langzeiterwerbslosen ermöglichen, außerhalb des regulären Arbeitsmarkts einer dauerhaften Beschäftigung nachzugehen."

     

    Es reicht, dass nur eine der Komponenten (Vergütung, Freiwilligkeit, Gemeinnützigkeit) im weiteren "Präzisierungsverfahren" entfällt und wir können Zwangsarbeit zum ggf. Hungerlohn bekonmmen.

    Was anderes ist eigentlich von der SPD nicht zu erwarten. Verkauft wird es natürlich als große Errungenschaft.

  • Die Idee, „Arbeit statt Arbeitslosigkeit [zu] finanzieren“ (genauer: finanzieren zu lassen vom Steuerzahler) ist nicht neu. Unter dem Kürzel ABM ist sie seit 1988 und unter dem Kürzel SAM seit 2002 Gesetz. Merkt das eigentlich niemand?

     

    Nun soll eine Uralt-Idee also unter einem neuen Label vermarktet werden. „Solidarisches Grundeinkommen“ soll sie heißen. Vermutlich, weil das Grundeinkommen grade ohnehin in aller Munde ist - um darüber hinweg getäuscht werden soll, dass nichts, aber auch gar nichts an dieser Idee auch nur ansatzweise solidarisch ist.

     

    Erst werden Menschen aus Gründen des privaten Profit eingestellt und nachher werden sie aus den selben Gründen des privaten Profits wieder gefeuert. Weil aber ein Mensch keine Maschine ist, kann man ihn nicht folgenlos abstellen, wenn man ihn nicht mehr zu brauchen meint. Nachdem viele Beschäftigte so wenig verdienen, dass sie keinerlei Rücklagen bilden können, entstehen durch Entlassungen manchmal Notlagen. Die aber werden nicht durch die Verursacher behoben, sondern durch die sogenannte Öffentlichkeit. Durch jene Menschen also, die (nahezu) nie mitentscheiden dürfen, wenn es um Fragen der Einstellungen, der Bezahlung oder der Entlassung geht.

     

    Chancen privatisieren, Risiken vergesellschaften – was daran ist solidarisch? Nichts. Der SPD allerdings scheint das egal zu sein. Immer schon. Hauptsache, ihre Führer dürfen den Handlanger machen für Leute, die keinesfalls selber in die Politik gehen wollen, sondern lieber richtig Geld verdienen.

    • @mowgli:

      Wenn man einen Langzeitarbeitslosen einstellt und ein bisschen über die Schweirigkeit, ihn einzuarbeiten klagt, kann der Arbeitgeber jetzt schon 75% des Lohnes als Zuschuß bekommen. 12 bis 36 Monate lang.

      Danach ist der Betroffene aber wieder arbeitslos und ein neuer muss her.

  • Solidarisches Grundeinkommen: Gerne wenn er Empfänger auch so solidarisch wäre möglichst viel zu seinem Unterhalt beizutragen. Solidarität geht in beide Richtungen.

    • @Frank Stippel:

      Sehr richtig, Frank. Der Sozialstaat in Deutschland verkommt immer mehr zu einer Einbahnstrasse. Wenn wir eine Arbeitspflicht fuer Hartz IV Empfaenger haetten, dann gaebe es von denen auch viel weniger. Wetten?

    • @Frank Stippel:

      Sie empfangen Solidarität, ohne dass es Ihnen vll bewusst wird. Wir reden vom Verdienst und keiner fragt, ob es wirklich verdient ist; Genauso vom Gewinn, ohne das wirklich klar ist, woraus gewonnen wird. Jeder für sich wäre ein einsamer Schlumpf auf dem Berg. Also alles Solidarität, gewollt oder ungewollt, bewußt oder unbewußt, gut oder schlecht verteilt. Solidarität ist die Matrix.

  • das „solidarische“ Grundeinkommen löst die Probleme nicht!

     

    Arbeiten zum Mindestlohn bedeutet z.Zt. für viele Menschen lediglich zum Aufstocker zu werden und weiterhin keine Alterssicherung aufzubauen, die aus der Grundsicherung befreit.

     

    Die Frage nach der Verdrängung von Normalarbeitern durch diese Grundeinkömmler. Wer, der jetzt Bedarf hat und nicht einstellt würde denn das Budget haben für diese neue Variante?

     

    Was helfen würde:

    1. ein angehobener Mindestlohn von ca 12-13 €, der viele Aufstocker aus den Schikanen von ALG2 befreit und eine Rente schafft, die den Namen auch verdient.

    2. Bessere Finanzierung der Kommunen, damit diese tarifvertragliche Arbeitsverhältnisse für kommunale und soziale Aufgaben schaffen können.

    3. Lockerung der "Schuldenbremse" damit öffentlliche Bauten und Infrastruktur wieder in Schuss gesetzt werden kann. Dass schafft und sichert viele Normalarbeitsplätze.

    4. Wegfall der Bevormundung von Arbeitslosen. Die meisten nahben ihr Leben bis zur Abeitslosigkeit gut selber im Griff gehabt. Die brauchen keine Bevormundng von jemandem mit dem einzigen Qualitätsunterschied, dass der Sachbearbeiter einen befristeten Arbeitsvertrag hat, und der Arbeitslose befristet nicht.

  • Wenn die SPD jemals wieder aus der selbstgegrabenen Hartz4-Grube herausklettern und eine ernsthafte soziale Alternative darstellen will, ist dies der einzig mögliche Weg. Schön, das wenigstens Einzelne das jetzt erkennen.

  • Das Grundeinkommen ist die Zukunft, der SPD- Vorschlag aber Unsinn. Bürokratie pur. Komplizierte Be- und Verrechnung, aufwändiges Organisieren von Jobs, die ja auch niemand anderen seinen Arbeitsplatz kosten sollen. Und was wenn man mehr Arbeitswillige als Arbeit hat? Der große Vorteil eines bedingungslosen Grundeinkommen hingegen wäre ja gerade der Abbau von Bürokratie, die SPD aber macht genau das Gegenteil daraus. Zudem wird die Option des Dazuverdienstes sich wahrscheinlich relativ schnell in eine Notwendigkeit, wenn nicht eine Pflicht verwandeln. Den harten Kern der Langzeitarbeitslosen erreicht man so auch nicht und alle anderen entfernt man vom ersten Arbeitsmarkt. Einfach Unsinn!

    Ebenso wie beim Thema der Bürgerversicherung bleibt die SPD auch hier komplett an der Oberfläche der Probleme. Das eigentlich Notwendige, die Abschaffung der Sozialversicherungen zugunsten einer solidarischen Finanzierung der Sozialausgaben über Steuern, wird überhaupt nicht thematisiert. Jeder erhält ein Grundeinkommen, jeder beteiligt sich an dessen Finanzierung, dahin muss es gehen. Kein Aufwand, keine Kontrolle, keine Gerichtsprozesse. Auf dieser Grundlage könnte man sogar an einen einheitlichen Einkommensteuersatz ohne jede Absatzmöglichkeit nachdenken. Immerhin, das Thema Grundeinkommen wird zunehmend größer.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Auch ich freue mich darüber, dass Bewegung in die Angelegenheit kommt. Dies ist ein erster Schritt, den ich schätze. Es müssen viele weitere folgen. Nicht nur in Talk-Shows und anderen Foren inszenierter Öffentlichkeit. Vor allem in einer würdigen Sozialpolitik für die Betroffenen.

     

    'Am Ball bleiben' lautet die Devise.

  • Das einzige, was ich der SPD zutraue, ist, daß sie sich weitere Gruppen ausgeguckt hat, die sich im Namen von "mehr soziale Gerechtigkeit" mit der modernen Form von Sterbehilfe zusammenlegen lassen.

  • "Die SPD rüttelt an..."

    Ein Teil der SPD rüttelt da nur. Die Seeheimer werden sich wohl weiter in ihrem Kreis drehen.

    Trotz allem, auch der Unausgegorenheit wegen, es bewegt sich was. Könnt allerdings auch sein, das sprengt die Groko.