Foodsharing und die Tafeln: Niemand nimmt sich was weg
Steht Foodsharing in Konkurrenz zu den Tafeln? Das suggerieren Medienberichte. Doch die Tafeln im Norden dementieren.
So käme es immer wieder zu unglücklichen Situationen, in denen Mitglieder von Foodsharing Lebensmittel beziehen, die dann für die Tafel fehlen. Die taz nord hat in Hamburg, Niedersachsen und Bremen nachgefragt.
Das „Brot-und-Butter-Geschäft“, wie es Uwe Lampe, Vorsitzender des Landesverbands der Tafeln in Niedersachsen und Bremen, nennt, laufe derzeit schwierig. Grund seien laut Lampe vor allem die wachsende Nachfrage um 30 bis 40 Prozent, was auf die andauernde Energiekrise zurückzuführen sei. Außerdem komme es zu einem Rückgang der nicht verkauften Lebensmittel. Letzteres ist Lampe zufolge Folge von Rabattierungsmaßnahmen wie beispielsweise die „Rettertüte“ von Lidl sowie Folge optimierter Kalkulationen der Supermärkte.
Als zentralen Grund für die ernste Lage der Tafeln sieht Lampe die Lebensmittelretter-Initiativen wie Foodsharing und Co. aber nicht. „Es ist, wenn überhaupt, ein sehr punktuelles Problem“, sagt er, „und es ist absolut nicht dramatisch!“ Das bestätigt auch Julia Bauer, Pressesprecherin der Hamburger Tafel.
Tafeln stehen an erster Stelle
Anna Verres, Tafel-Sprecherin auf Bundesebene, ist zwar der Überzeugung, dass es zu Situationen kommen könne, in denen Foodsharing-Mitglieder Lebensmittel entgegennehmen, die die Tafeln hätten verteilen können. An eine Tafel verweisen, die derartige Erfahrungen gemacht hat, können aber weder Lampe noch Verres.
Frank Bowinkelmann, erster Vorsitzender und Mitbegründer von Foodsharing, sieht in den Vorwürfen in erster Linie ein Kommunikationsproblem: „Aus unserer Sicht liegt kein struktureller Konflikt zwischen der Tafel und unserem Verein vor.“ Dabei sei in der bundesweiten Vereinbarung zwischen der Tafel und den Lebensmittelretter*innen klar geregelt: „Die Tafel steht immer an erster Stelle.“
Dass es im Einzelfall bei nicht „gebrieften“ Ehrenamtler*innen zu Kommunikationsschwierigkeiten kommen könne, sei nicht ausgeschlossen, meint Bowinkelmann. Dabei handele es sich aber um kaum nennenswerte Einzelfälle. Konkrete Fälle, in denen Foodsaver der Tafel Lebensmittel weggeschnappt haben, sind auch der Hildesheimer Foodsharing-Initiative nicht bekannt.
Solche Situationen seien laut Bowinkelmann schon allein deswegen eher unwahrscheinlich, weil die Lebensmittelretter-Initiative ganz andere Lebensmittel beziehe als die Tafel. So werden Lebensmittel, die bereits abgelaufen und trotzdem genießbar sind, von der Tafel gar nicht erst ausgegeben. Der Vorsitzende betont, dass es auch dazu kommen könne, dass bei den Tafeln Lebensmittel im Abfall landen, die wiederum von Foodsavern gerettet werden würden. Auch hier scheint ein Kommunikationsproblem vorzuliegen.
Kommunikation statt Eskalation
Auch stehe die Menge der geretteten Lebensmittel von Foodsharing nicht im Verhältnis zu den Mengen der Tafel, sagen Bowinkelmann und Lampe. Während die meisten Foodsaver nur mit einem Rucksack ausgestattet seien, befülle die Tafel ganze Lieferwagen. Bowinkelmann ist der festen Überzeugung, dass die derzeitigen Engpässe bei der Tafel nur schwer auf Foodsharing zurückzuführen sind.
Lampe rechnet damit, dass die Zahl der Bedürftigen in den kommenden Monaten weiter ansteigen wird. Gerade in den noch bevorstehenden Krisenzeiten ist daher eine gute Kommunikation unabdingbar, um die überwiegend friedliche Koexistenz der Tafel und des Foodsharings aufrecht zu erhalten.
„Denn an sich sind die beiden Initiativen eine sinnvolle Ergänzung“, findet Anna Verres, Tafel-Sprecherin auf Bundesebene. Auch Foodsharing-Vorsitzender Bowinkelmann wünscht sich eine mediale Berichterstattung, die auf Kommunikation statt Eskalation setzt, um in Zukunft insinuierte Schuldzuweisungen zu vermeiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen