Folgen des Ukraine-Kriegs: Ohne Weizen kein Frieden
Weltweit steigt der Preis für Weizen, denn Ukraine und Russland sind starke Exporteure des Getreides. Das trifft auch Ägypten und den Libanon hart.
All das muss man im Hinterkopf haben, um zu verstehen, was der Ukraine-Krieg für die beiden Länder bedeutet: Mit seinen 100 Millionen Einwohnern ist Ägypten der größte Weizenimporteur der Welt. Im Schnitt hat das Land in den letzten Jahren 13 Millionen Tonnen des Getreides jährlich eingeführt. Die Hälfte seines importierten Weizens bezieht Ägypten aus Russland, ein Drittel aus der Ukraine. Im Libanon sind die Importverhältnisse ähnlich, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge: Die Ukraine deckte 60 Prozent des libanesischen Bedarfs, Russland circa 15 Prozent.
Nun schießt der Preis für Weizen nach oben. Die Ukraine exportiert derzeit nicht mehr, die vorerst letzte Lieferung in den Libanon traf an Bord der „Golden Bird“ am Dienstag im Hafen der nordlibanesischen Stadt Tripoli ein. Russland steht unter Swift-Sanktionen, was es problematisch macht, für russische Importe zu bezahlen.
Laut Ali Al-Moselhi, dem ägyptischen Handelsminister, war im Budget des Landes der Einkaufspreis für importierten Weizen auf 255 Dollar pro Tonne angesetzt. Der gegenwärtige Preis belaufe sich aber auf 350 Dollar und steige täglich. Es wird befürchtet, dass er sogar auf 500 Dollar ansteigen könnte, wenn der Krieg andauert. „Wir müssen diversifizieren, aus welchen Ländern wir Weizen beziehen“, erklärt Ahmad Shoukry Rashad vom Economic Research Forum Kairo. Das bedeute, dass man Weizen nicht mehr so billig wie bisher aus Russland oder der Ukraine kaufen könne. Je länger der Ukraine-Konflikt andauere, wodurch das Angebot weiter schrumpfe, desto größer werde der Druck auf die Zahlungsbilanz und das ägyptische Budget, so Rashad. Ägypten sieht sich derzeit in den USA, Rumänien und Kasachstan nach Ersatz um. Auch der Libanon sucht nach Alternativen. Laut dem libanesischen Wirtschaftsminister Amin Salam habe der indische Botschafter bestätigt, dass sein Land bereit sei, künftige Engpässe zu füllen.
Subventionen halten den Preis für Brot bisher unten
Im Libanon ist nicht nur der Import des Weizens ein großes Problem, sondern auch die Lagerung. Das Land hat keine Kapazitäten, das Getreide unterzubringen, bevor es verarbeitet wird. Als im August 2020 Hunderte Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen der Hauptstadt explodierten, beschädigten sie auch das Silo im Hafen. 12.000 Tonnen lagerten dort sonst. Noch immer gärt der verbrannte Weizen in und neben den Silos. Noch immer gibt es kein Alternativlager. Der Weizen soll deshalb in den Verkaufsländern verbleiben und erst dann in den Libanon gebracht werden, wenn er gebraucht wird. Die ankommenden Lieferungen wurden vor allem in Lagerhäusern im Norden des Landes untergebracht. Ägypten hat immerhin eine Weizenreserve in seinen Silos gelagert, die die Versorgung des Landes für vier bis fünf Monate sichert. Genau dann wird in Ägypten der lokal produzierte Weizen geerntet, der die Versorgung des Landes bis November absichern kann.
Auch die Preissteigerung ist im Libanon deutlich problematischer als in Ägypten. Durch eine starke Finanzkrise hat die lokale Währung seit Herbst 2019 mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren. Die Kosten für ein Kilo Brot sind seitdem um bis zu 950 Prozent gestiegen. Die Regierung subventioniert Brot: Schon im Jahr 2021 kostete sie das etwa 20 Millionen US-Dollar pro Monat. Der Libanon steht kurz vor der Zahlungsunfähigkeit, jüngst bat man die USA um einen Kredit von 20 Millionen US-Dollar. Davon sollen 50.000 Tonnen Weizen gekauft werden. Diese Menge entspricht dem monatlichen Verbrauch im Libanon.
Auch in Ägypten beziehen etwa 60 Millionen Menschen subventioniertes Brot. Für ein Drittel der Bevölkerung, die umgerechnet mit weniger als zwei Euro am Tag auskommen muss, sind die Subventionen überlebenswichtig. Das Finanzministerium in Kairo hatte umgerechnet fast drei Milliarden Euro an Brotsubventionen budgetiert, auf Basis des alten Preises. Will die Regierung den Preis für subventioniertes Brot halten, muss sie nun viel tiefer in die Tasche greifen.
Im Libanon soll Weizen nun rationiert werden
Aus Angst vor weiteren Preissteigerungen hamstern viele Menschen im Libanon neben Weizenmehl auch Sonnenblumenöl. Denn auch das importiert der Zedernstaat vor allem aus der Ukraine, rund 60 Prozent, und Russland rund 30 Prozent. Das bestätigte der Leiter des Syndikats der Lebensmittelimporteure im Libanon, Hani Bohsali. Auch Ägypten bezog im Jahr 2020 über 50 Prozent seiner Sonnenblumenölversorgung aus der Ukraine und beinahe 20 Prozent aus Russland, Tendenz unverändert. Der Preis für das Speiseöl ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs um etwa 32 Prozent gestiegen.
Nach Angaben des Nachrichtenportals The New Arab hat der Libanon nun Rationierungsmaßnahmen für Weizen angekündigt. Das Getreide solle ab jetzt nur noch für die Produktion von Brot eingesetzt werden, bis man alternative Quellen sicherstellen könne, erklärte Industrieminister George Bouchkian am Samstag.
Ansonsten können die Regierungen der beiden Länder auch auf einen alten ägyptischen Trick zurückgreifen: Als der frühere ägyptische Präsident Anwar el-Sadat im Jahr 1977 den Brotpreis erhöhte, folgten blutige „Brotunruhen“, bei denen Dutzende starben. Bis er die Preissteigerung zurücknahm. Al-Sisis Vorgänger, Hosni Mubarak, hatte aus den Fehlern Sadats gelernt. Statt die Brotsubventionen zu kürzen, ordnete er einfach an, das Fladenbrot jedes Jahr etwas kleiner zu backen – gleicher Preis, weniger Brot. Am Ende wurde Mubarak im Arabischen Frühling gestürzt, nachdem zuvor immer wieder der Slogan des Aufstandes über den Tahrir-Platz hallte: „Brot, Würde und soziale Gerechtigkeit“.
Mitarbeit: Lisa Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Bestürzung und erste Details über den Tatverdächtigen
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!