piwik no script img

Folgen der Labour-SpaltungAustritt der Konservativen

Wegen der EU-feindlichen Stimmung in ihrer Partei schließen sich Ex-Tories der Labour-Abspaltung an. Entsteht eine neue Zentrumspartei?

Die Ex-Tory-Abgeordnete Anna Soubry will sich nicht von den harten Brexiteers kontrollieren lassen Foto: dpa

Drei Abgeordnete der regierenden Konservativen in Großbritannien haben am Mittwoch ihren Austritt aus der Partei verkündet und sich der Labour-Abspaltung „Independent Group“ angeschlossen. Heidi Allen, Anna Soubry und Sarah Wollaston erklärten in ihrem gemeinsamen Austrittsschreiben, der Brexit habe die Konservativen nach rechts gerückt und „alle Versuche, sie zu modernisieren, zunichte gemacht“.

Die Regierung sei im „Griff“ der rechten Brexit-Hardliner und der nordirischen DUP. Premierministerin Theresa May führe das Land in einen No-Deal-Brexit. Das sei „nicht auszudenken“. Vor der Presse sagte Anna Soubry am Nachmittag, die Anti-EU-Hardliner, die „jeden Parteiführer der vergangenen 40 Jahre kaputt gekriegt haben“, kontrollierten nun die Konservativen „von oben bis unten“, nachdem sie von der rechtspopulistischen Ukip zurückgekommen seien. Heidi Allen, junge Abgeordnete für South Cambridgeshire, erinnerte an das Modernisierungserbe des 2016 zurückgetretenen David Cameron, der sie in die Politik geholt hatte. Wollaston sagte, die britische Politik sei „kaputt“.

Am Montag hatten sieben Labour-Abgeordnete, die ebenfalls einen harten Brexit ablehnen, ihre Partei aus Protest gegen die Politik ihres Chefs Jeremy Corbyn verlassen und erklärt, Labour sei eine „rassistische“ und „antisemitische“ Partei“ geworden. Eine achte, Joan Ryan, gesellte sich am Dienstag dazu und nannte Labours Antisemitismus als Hauptgrund.

Die Dissidenten der beiden großen Parteien sind sich nicht nur in ihrer Kritik des Brexit einig, sondern auch darin, dass sie ihre bisherigen Parteien als zunehmend von rechten beziehungsweise linken Extremisten an der Basis dominiert beschreiben und sich selbst als Opfer fundamentalistischer Säuberungstendenzen sehen.

Britische Politik stehen größere Verschiebungen bevor

Für May besonders hart dürfte der Verlust dreier profilierter Frauen aus ihrer Fraktion sein. Alle elf sitzen nun gemeinsam als „Unabhängige Gruppe“ auf den hinteren Oppositionsbänken im Unterhaus. Labour ist zusätzlich geschwächt durch den Tod des walisischen Abgeordneten Paul Flynn vor wenigen Tagen, was eine Nachwahl in der Industriestadt Newport nach sich ziehen wird. Zusätzliche Nachwahlen in allen elf Wahlkreisen, deren Abgeordnete ihre Parteien verlassen haben, werden nun von vielen sowohl bei Labour als auch bei den Konservativen gefordert.

Das steht frühestens dann auf der Tagesordnung, wenn die elf eine neue Partei gründen sollten. Soweit ist es noch nicht, aber zahlreiche Beobachter sehen in den kollektiven Parteiaustritten den Beginn größerer Verschiebungen in der britischen Politik, für die der Brexit zwar der Auslöser, aber nicht der tiefere Grund ist.

Theresa May und Jeremy Corbyn sind in der Öffentlichkeit beide unbeliebt

Ob Chuka Umunna von Labour oder Heidi Allen von den Konservativen – die beiden prominentesten Jungpolitiker unter den Dissidenten haben in ihren Austrittsreden nicht so sehr den EU-Austritt thematisiert als den Drang, eine neue Politik für das Großbritannien des 21. Jahrhunderts zu gestalten. Sie treten beide selbstbewusst und begeistert auf, während ihre älteren Kollegen eher Bedauern darüber äußern, dass ihre alte politische Heimat nicht mehr auszuhalten sei.

Der Wunsch nach einem Neuanfang besteht auch in der britischen Öffentlichkeit. Einmalig in der jüngeren Geschichte Großbritanniens sind die Parteichefs Theresa May und Jeremy Corbyn in der breiten Öffentlichkeit beide extrem unbeliebt. Bei Neuwahlen könnte eine neue Zentrumskraft einiges durcheinander wirbeln. Nach aktuellen Umfragen liegen die regierenden Konservativen derzeit in der Wählergunst bei 40 bis 41 Prozent, Labour bei 33 bis 36 Prozent. Wird zusätzlich nach den Unabhängigen als Wahlmöglichkeit gefragt, erreichen diese 8 bis 14 Prozent, während die Konservativen auf 32 bis 38 Prozent schrumpfen und Labour noch deutlicher auf 26 Prozent abrutscht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ich frage mich ja, wann endlich mal von Herrn Johnson der Satz von Greta Thunberg „Ich will, dass ihr in Panik geratet“ zum Brexit kommt.

    Völlig egal ob es die Tories oder Labour machen, der Brexit ist ein wirtschaftlicher Amoklauf.

    Liam Fox, Ministers für internationalen Handel, hat versprochen alle Handelsabkommen der EU bis zum Brexit mit gleichen Abkommen zu kopieren. 40 gibt es, 4 hat man bisher abgeschlossen, mit der Schweiz, den Färöer, Chile und der afrikanischen ESA. Wichtige Staaten wie Japan haben aber gesagt, moment mal, jetzt langsam. Ihr seit ja viel kleiner als die EU, da sind die Konditionen aber schlechter.

    www.spiegel.de/wir...ert-a-1253095.html

    Honda wird sein Werk in Swindon 2021 schließen, 3500 Jobs. Autos kann man mit Jefta dann auch aus Japan exportieren.

    www.sueddeutsche.d...it-honda-1.4336306

    Nissan hat angekündigt, den X-Trail nicht mehr in England zu bauen. 7.000 Jobs in Sunderland bedroht.

    www.tagesschau.de/...an-brexit-101.html

    Sony verlegt seine Europazentrale nach Amsterdam,

    www.manager-magazi...dam-a-1249512.html

    Panasonic auch.

    www.faz.net/aktuel...rdam-15762732.html

    Unilever wird kein zweites HQ in London bauen, Dyson verlegt sein HQ nach Singapur, Standard Chartered wird sein HQ nach Frankfurt verlegen und das geht noch so weiter und wenn es kein Abkommen gibt können noch viel mehr folgen Airbus, BMW etc.

    Aber es gehen ja auch EU Institutionen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) waren bisher in GB ansässig, die EMA geht nach Amsterdam und die EBA nach Paris.

    Wieder hunderte Jobs!

    www.consilium.euro...n-agencies-brexit/