Fokus der Sportberichterstattung: Immer wieder Fußball
In der medialen Wahrnehmung gibt es einen klaren Pandemie-Sieger: den europäischen Männerfußball. Verdient der Rest kein Mitleid?
![](https://taz.de/picture/4095323/14/imago45644009h-1.jpeg)
B esonders hart ist die Situation für die afrikanischen Sportler, die nicht noch zusätzlich arbeiten gehen, sondern sich nur auf ihre Disziplin konzentriert haben“, so sagte es Anfang April der kenianische Speerwerfer und Olympia-Silbermedaillengewinner Julius Yego der Deutschen Welle. „Es gibt kein Geld von irgendwo her. Für mich ist es etwas einfacher, da ich nebenher noch arbeite.“ Auffällig war, dass man in den vergangenen Wochen selten etwas gehört hat von Leuten wie Yego. Selten von Speerwerfern, und seltener noch von solchen, die außerhalb der Breiten zwischen Mittelmeer und Nordsee normalerweise ihrem Broterwerb nachgehen.
Denn derzeit regiert, mehr noch als sonst: Fußball, Fußball, Fußball. Wobei, ganz richtig ist das nicht, also präziser: europäischer Männerfußball – wie schlimm es denen geht ohne Fernsehgelder, und ob nicht endlich doch Geisterspiele kommen, und welcher Viertligist als erstes Pleite gehen könnte. Das muss man nicht karikieren, viele Klubs sind tatsächlich akut bedroht – in der Regel weil, nun ja, der Fußball mit vollen Händen ausgibt, was er auch ohne Krise gerade so oder nicht mal hat, er ist ein Gambling-Modell. Aber gab es da nicht mal anderen Sport?
Wer hat, dem wird gegeben, das gilt während der Corona-Pandemie auch medial: Wer hat, dem wird Corona-Beileid gespendet. Wann war eigentlich die letzte Reportage über Männer-Eishockey-Klubs zu lesen, deren Saison schon abgebrochen wurde? Klubs, bei denen Haie-Trainer Uwe Krupp jüngst zumindest subjektiv „katastrophale Auswirkungen“ vermutete. Und wo sind die EinzelsportlerInnen, wenn es nicht gerade um die Olympia-Verschiebung ging? Augenfällig auch, dass nicht nur unter Virologen vor allem Männer erklären dürfen, wie es ihnen und der Welt gerade geht.
Soli-Aktionen für den Süden?
Obwohl die Sportlerinnen oft viel prekärer beschäftigt sind, ist von ihnen wenig zu hören. Einigen dürfte immerhin ihr Amateurstatus aktuell zum Vorteil gereichen. So weit geht die strukturelle Ungleichheit, dass in Österreich selbstverständlich die höchste Fußball-Liga der Frauen abgebrochen wurde, die der Männer nicht. Warum auch, es geht ja um TV-Verträge, während die Frauen, naja, böse Zungen würden sagen, das sind ja traditionell Geisterspiele. Die Kickerinnen haben zumindest noch den Vorteil, dass ihnen das Wort „Fußball“ ein Jota Aufmerksamkeit schenkt.
Wer sich nicht durch Google wühlt und Eigenrecherche betriebt, kommt über den europäischen Kontinent und die USA sportiv aktuell kaum hinaus. Immerhin hat sich etwa die Deutsche Welle jüngst um zumindest den Fußball außerhalb der Uefa bemüht. Da steht, dass einige afrikanische Spieler finanziell bereits mit dem Rücken zur Wand ständen und Medienvertreter um Hilfe bäten. Zu lesen ist auch, dass der kolumbianische Spitzenklub Independiente Santa Fe die Verträge seiner Spielerinnen aufhob, nicht aber die der Herrenmannschaft. Und dass man auf den Philippinen entspannt sei, weil es eh keine TV-Verträge gebe.
Es bräuchte mehr solche Nachfragen. Und wo ist die viel beschworene internationale Gemeinschaft des Sports in so einer Situation, wo sind die Soli-Aktionen für KollegInnen im globalen Süden? Dem hiesigen Sportpersonal kann man zugute halten, dass der Stress ihrer eigenen Gegenwart den Horizont verkürzen mag. Die Corona-Pandemie wirkt im Sport wie ein Objektiv, das scharf stellt auf eine Stelle, dieselbe Stelle, die es schon die ganze Zeit zeigt. Wir sehen, was wir immer sehen, nur in anders.
Es ist absehbar, welche Sportart sich hier als Erste eine Fortsetzung des Zirkus leisten wird und muss, so sie denn darf. Dann schauen wir Geisterspiele im europäischen Männerfußball, wie immer also, nur in anders. Und dann sagt Corona doch viel über dieses System.
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