Flüchtlingsunterkünfte in Bayern: Bedroht, geschlagen, getötet
Geflüchtete Frauen beklagen die gewalttätigen Zustände in Bayerns Asylunterkünften. „Muss man erst sterben, bis etwas geschieht?“, so eine Aktivistin.
Eine Weile nach dem Vorfall erhielt sie eine Wohnung außerhalb der Unterkunft, doch ihr Mann rief sie weiter auf dem Handy an und stieß Morddrohungen aus. Wusste er, wo sie sich aufhält? „Wenn ich jetzt rausgehe, trage ich zum Schutz Mütze und Sonnenbrille“, erzählt Tesfaye.Wie kann das sein? Eigentlich werden Flüchtlingsunterkünfte rund um die Uhr von Security bewacht. Doch das, was Tesfaye erlebte, ist kein Einzelfall.
Um auf das Problem der drohenden Gewalt in den Heimen aufmerksam zu machen, hat der Bayerische Flüchtlingsrat auf einer Pressekonferenz am Mittwoch einige geflüchtete Frauen vorgestellt. Bei ihnen führt einzig ihr Geschlecht dazu, dass sie Betroffene von – häufig sexueller – Gewalt waren oder sind. Und: Der Flüchlingsrat meint, in ihren Fällen sei es auch die speziell bayerischen Strukturen der Flüchtlingsunterbringung gewesen, die Gewalt ermöglichten, ja beförderten.
Neu ankommende Flüchtlinge werden in Bayerin weiterhin über das Land verteilt in so genannten Ankerzentren untergebracht. Alleinreisende müssen dort bis zu zwei Jahre ausharren, Familien sechs Monate. Immer wieder wurden diese teils großen Unterkünfte als „Lager“ kritisiert. Der Flüchtlingsrat sieht sie als „gewaltfördernd und isolierend“, Frauen hätten einen erschwerten Zugang zu Schutz, Unterstützung und Informationen über ihre Rechte.
Allein traut sich eine Betroffene nicht in die Küche
Zwar hat die Bundesregierung beschlossen, dass das System der Ankerzentren „nicht weiterverfolgt“ werde, doch die CSU-geführte bayerische Staatsregierung hält daran fest. Es habe sich bewährt, meint Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Zarah S., eine 30-jährige Frau aus dem Iran, beschreibt, wie es in den Einrichtungen zugeht. Sie werde von Männern „gestalkt“, erzählt sie. In die Küche geht sie nur, wenn ihr Partner dabei ist. Da dieser aber häufig weg ist, müsse sie oft bis zum Abend darauf warten. Zimmer und Duschen lassen sich nicht absperren. „Ich habe viel Stress und Panik“, meint sie.
Aus dem Iran war S. geflohen, weil ihre Familie sie noch als Jugendliche zwangsverheiratet hatte. Als sie sich wehrte, verstieß die Familie sie. Hier, in Deutschland, ist ihr Status unsicher, sie hat keine Arbeitserlaubnis. Zwei Mal war sie schon wegen psychischer Probleme zur Behandlung in einer Klinik. „Ich möchte arbeiten, lernen und studieren“, sagt S. „Mein Partner gibt mir sehr viel Kraft, ohne ihn würde ich mich umbringen.“ Beim Erzählen über ihre Situation fängt Zarah S. an zu weinen.
Auch die Äthiopierin Kidst Tesfaye weint, sie hat zwei Kinder, die sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Sie erinnert sich, wie ihr Mann mit dem Messer auf sie losgegangen war. Wie er mit dem Gürtel auf das Gesicht des dreijährigen Sohnes eingeschlagen hatte, was zu einer erheblichen Augenverletzung führte. Fünf Jahre hatte sie in Deutschland gearbeitet, dann belegte sie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mit einem Arbeitsverbot. Ihr droht die Abschiebung. Jetzt ist sie ehrenamtlich in der Kinderbetreuung in einem fränkischen Städtchen tätig.
Nadine Kriebel vom Flüchtlingsrat kritisiert, dass nur zwei Prozent der anerkannten Asylanträge wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung angenommen werden. Viele der geflüchteten Frauen unterstützt und begleitet Elshaday Haile, Nürnberger Aktivistin des Vereins Imedana/Rosa Asyl. „Frauen brauchen mehr Schutz“, sagt die gebürtige Äthiopierin, es fehle an Beratungsstellen. „Wenn sie aber zur Polizei gehen, bekommen sie oft nicht so schnell Hilfe.“
Den erschütternden Fall eines Femizids erlebte Haile 2021 im fränkischen Kronach. Ein früherer Partner drohte einer Frau in einer Asylunterkunft immer wieder mit dem Tod. „10, 15 Mal hatte sie die Polizei angerufen und gesagt, dass er sie umbringen wird“, so Haile. Schließlich wurde sie getötet, wie auch ihr zweijähriges Kind. „Muss man erst sterben, bis etwas geschieht?“ Der mutmaßliche Täter ist in Haft und angeklagt, der Prozess hat noch nicht begonnen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!