piwik no script img

Flüchtlingsdrama an Polens OstgrenzeSterben ohne lästige Zeugen

Polens Regierung will den Ausnahmezustand verlängern. Für die Gefährlichkeit Geflüchteter werden „Beweise“ vorgelegt. Überprüfen kann die niemand.

Polnische Soldaten beim Bau eines Grenzzauns zwischen Polen und Belarus Foto: Kacper Pempel/reuters

Warschau taz | Die Bilder, die Polens Staatssender TVP am helllichten Tag ausstrahlt, verstören viele Zuschauer:innen: ein Mann, der eine Kuh vergewaltigt, ein Mann – ist es derselbe? -, der sich von Kindern befriedigen lässt, dann ein schwarzes Baby, das nackt auf dem Bauch liegt – mit unnatürlich gespreizten Beinchen.

Mariusz Kaminski, Polens Innenminister, und Mariusz Blaszczak, Polens Verteidigungsminister, können die Augen von den Dias nicht abwenden. Sie wollen den Ausnahmezustand an der über 400 Kilometer langen polnisch-belarussischen Grenze um weitere zwei Monate verlängern. Dazu präsentierten sie der Öffentlichkeit „Beweise“ für den angeblichen Ansturm von muslimischen Zoophilen, Terroristen, Drogenhändlern und Pädophilen auf Polens Grenze.

Kein Wort darüber, dass an dieser Grenze innerhalb von wenigen Tagen mindestens sechs Flüchtlinge gestorben sind. Der bislang letzte war ein 16-jähriger Junge, der zuvor Blut erbrochen hatte, wie eine NGO berichtete. Weder der belarussische noch der polnische Grenzschutz hatten ihm medizinische Hilfe zukommen lassen.

Niemand weiß, was tatsächlich an der EU-Außengrenze zu Belarus geschieht. Seit einem Monat dürfen weder Journalist:innen, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen noch Angehörige medizinischer Hilfsorganisationen oder Ortsfremde den drei Kilometer breiten Grenzstreifen betreten. Es ist streng verboten, Interviews in den 183 betroffenen Orten zu führen, den Grenzschutz zu begleiten oder Fotos von den neuen Grenzanlagen oder den Flüchtlingen zu machen.

Verlautbarungen und Gerüchte

Seit der Ausrufung des Ausnahmezustands durch Präsident Andrzej Duda vor gut einem Monat gibt es nur noch Verlautbarungen der in Polen regierenden Nationalpopulisten von der Recht und Gerechtigkeit (PiS), Nachrichten aus den belarussischen Regimemedien und Gerüchte. Angeblich schützen zurzeit rund 5.000 polnische Grenzpolizisten die Grenze, reguläre Soldaten und sogenannte Terytorialsi – Hobbysoldaten, die Polen im Lokalen verteidigen sollen.

Wen Polens Nationalpopulisten auch nicht dabei haben wollen, sind Beobachter von Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache mit Sitz in Warschau. So warnen sie ständig vor angeblichen „Grenzprovokationen“, gegen die Polen und ganz Europa verteidigt werden müssten, ohne dass die Öffentlichkeit erfahren würde, wer wen wo warum und wie „provoziert“.

Auf der Pressekonferenz stehen die beiden Minister und ein General nebeneinander und stellen „Beweise“ für die angebliche Gefahr vor, die von den Flüchtlingen ausgehe und eine Verlängerung des Ausnahmezustands um weitere zwei Monate erfordere. Man habe mehrere hundert Menschen, die Polens Grenze Illegal überschritten hätten, verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt. Eine mögliche Verbindung zu Terrororganisationen, kriminellen Vereinigungen und organisiertem Menschenhandel stellte Polens Geheimdienst angeblich bei jeder zehnten Person fest.

Man habe insbesondere die Handys der Migranten ausgewertet und dort Fotos von Männern in Uniform oder mit Waffen gefunden – ein Foto, das einen abgetrennten Kopf nach einer Exekution zeige, Fotos von angeblichen palästinensischen Terroristen, die beim Tee zusammen sitzen. Bei rund 20 Prozent aller erkennungsdienstlich behandelten Personen hätten sich langjährige Aufenthalte oder Beziehungen nach Russland nachweisen lassen.

Hetzkampagne im Jahr 2015

Über die Leinwand flimmern touristische Fotos, auf denen einzelne Männer vor dem Kreml in Moskau posierten. Einige, so hieß es auf der Pressekonferenz, sympathisierten angeblich mit den Taliban. Nachprüfen lässt sich keine Information, da die Angaben zu den einzelnen Personen anonymisiert wurden.

Vom Stil her kam diese „Konferenz“ jedoch so bei den Zu­schaue­r:in­nen an wie 2015 die Hetzkampagne der PiS gegen Flüchtlinge. Angeblich, so drohte PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski damals, schleppten die Kriegsflüchtlinge aus Syrien Parasiten und Tod bringende Krankheiten ein. Polen solle sich dagegen „verteidigen“ und keinen einzigen Geflüchteten aufnehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Zitat:"



    ein Mann, der eine Kuh vergewaltigt, ein Mann – ist es derselbe? -, der sich von Kindern befriedigen lässt, dann ein schwarzes Baby, das nackt auf dem Bauch liegt "

    Ich befürchte, dass aus meinen Steuern Gelder für



    "Medienförderung und Kultur" nach Polen fliesst.

    Vielen Dank, Frau von der M Leyen

  • Am Ende liegt es doch an Deutschland das Problem zu lösen. Kein einziger Geflüchteter auf dieser Route will doch nach Polen. Richten wir doch einfach sichere Flugverbindungen ein und retten Leben und entlasten unsere europäischen Partner. Auf der einen Seite positive Signale an Geflüchtete aussenden und dann hintenrum den Grenzschutz anderer Länder zur Abwehr finanzieren um dann noch mit dem Finger auf die dortigen Hinterwäldler zu zeigen ist einfach nur verlogen.

  • Gefahr die von Flüchtlingen ausgeht?

    PS: eine Literaturempfehlung: Art Spiegelmans bekannte Graphic Novel über die Geschichte seiner Eltern "Maus"