piwik no script img

Flüchtlingsaktivist über EU-Umverteilung„Ihr habt es versprochen …“

Rikko Voorberg, Gründer der NGO „Let’s bring them here“, will Flüchtlinge aus Griechenland mit dem Auto in die Niederlande holen, um die EU-Quote zu erfüllen.

Aus der Ägäis gerettet: syrische Flüchtlinge mit Wärmedecken auf der griechischen Insel Chios Foto: reuters

taz: Herr Voorberg, Sie sind vor Kurzem mit Hunderten Autofahrern vor die Parlamente Den Haags und Brüssels gezogen, um sich als Flüchtlings­chauffeure anzubieten. Was hat Sie dazu veranlasst?

Rikko Voorberg: Wir wollten die niederländische Regierung an ihr Versprechen erinnern, bis September 8.710 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien aufzunehmen. Das ist ihr Anteil an den 160.000 Menschen, die seit Ende 2015 in der EU umverteilt werden sollen. Das Ministerium für Einwanderung hat bereits erklärt, sich an diese Vereinbarung nicht mehr halten zu wollen. Wir werden beim jetzigen Tempo bestenfalls ein Viertel der Quote erfüllen.

Und Sie wollen diesen Job nun übernehmen?

Unsere Bewegung „Let’s bring them here“ (Wir holen sie her) will der schweigenden Mehrheit den Niederlanden eine Stimme geben, die bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen und sie notfalls sogar aus Griechenland selbst abzuholen. Die Botschaft unserer Autokorsos war: Ihr habt es versprochen, wir stehen bereit, lasst es uns tun!

Wurde Ihr Angebot akzeptiert?

Das Einwanderungsministerium hat uns geantwortet, dass man nur versprochen habe, maximal 4.000 Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen. Das sei zudem 2015 gewesen, als dort noch 63.000 Flüchtlinge vor allem aus Syrien und Irak Anspruch auf Umverteilung hatten – heute seien es nur noch 24.000. Also müssten die Niederlande prozentual weniger Menschen aufnehmen.

Bild: Rikko Voorberg
Im Interview: Rikko Voorberg

Der 36-Jährige ist niederländischer Schriftsteller, Theologe und Kirchenaktivist für Flüchtlinge. Im September 2016 startete er die Bewegung „Let’s bring them here“. Anlass war sein Besuch von Flüchtlingslagern in Griechenland.

Bislang sind nur rund 10.000 Flüchtlinge aus Griechenland in die EU verteilt worden. Was ist mit den anderen?

Viele sitzen irgendwo auf dem Balkan fest, vor geschlossenen Grenzen. Oder sie sind erst nach dem Türkei-Deal vom März 2016 in Griechenland eingetroffen und haben daher keinen Anspruch auf Umverteilung. Ihre sofortige Rückführung in die Türkei wird aber kaum durchgesetzt. Derzeit sitzen in Griechenland immer noch über 60.000 Menschen fest, die meisten ohne Chance auf eine legale Weiterreise.

Polen, Österreich, Ungarn, Dänemark und Großbritannien haben überhaupt noch niemanden aufgenommen. Sie aber verklagen den niederländischen Staat – warum?

Wenn die anderen EU-Staaten zu wenig tun, sollten die Niederlande umso mehr helfen. Solange auf EU-Ebene keine andere Lösung ausgehandelt ist, ist die Quote bindend. Unsere Klage vor dem Gericht in Den Haag hatte leider keinen Erfolg. Am 24. März hat das Gericht entschieden, bis zum September abzuwarten, ob die Quote noch erfüllt wird. Doch die Absichten der Regierung sind bekannt und es gilt jetzt zu handeln – wir werden daher Einspruch einlegen. Immerhin ermahnte der Richter den Staat zu schnellerer Umverteilung und widersprach der Ansicht, dass die Flüchtlinge, die nach dem Türkei-Deal eingetroffen sind, keinen Anspruch auf Verteilung hätten. Es war wichtig, das klarzustellen.

Wird „Let’s bring them here“ jetzt auf eigene Faust nach Athen fahren?

Wir waren schon einige Male dort und stehen mit griechischen Flüchtlingsnetzwerken in Kontakt. 481 von 500 geplanten Fahrern haben sich schon dazu bereit erklärt, die gestrandeten Menschen von Griechenland in die Niederlande zu fahren. Sobald sie einen Fuß bei uns im Land haben, dürfen sie hier Asyl beantragen.

Sind sie dann nicht Schlepper?

Nein, denn Schlepper handeln verdeckt und gegen Bezahlung. Wir aber suchen gerade die Aufmerksamkeit der Medien für das Schicksal dieser Menschen. Wir werden als Demonstranten mit Fahnen nach Griechenland fahren und mit dem Versprechen unserer Regierung an der Grenze aus dem Auto winken. Wenn wir dabei Gesetze brechen, dann nur, um ihre Unmenschlichkeit aufzuzeigen.

Haben ihre Fahrer keine Angst, verhaftet zu werden?

Natürlich besteht die Gefahr einer Haftstrafe, in der Regel von bis zu vier Jahren. Aber schauen Sie sich Cédric Herrou an. Er hat lange Zeit Flüchtlinge vom Balkan über Italien nach Frankreich geschleust. Jetzt wird er angeklagt und gefragt, warum er das getan hat. Und er sagte: Weil ich Franzose bin! Seine Werte hätten ihn dazu moralisch verpflichtet.

Mehr als den Staat müssen Aktivisten die Schlepper-Mafia fürchten, der wir ihr Geschäft streitig machen. Für sie sind Flüchtlinge nur eine Fracht, sich ihnen anzuvertrauen bedeutet eine enorme Gefahr. Es ist furchtbar, dass das für viele der einzige Weg ist und es noch kein humanitäres Schleppernetzwerk gibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Was sind das für lächerliche Zahlen, 8.000 Leute oder 4.000, wenn Deutschland 1 Mio aufgenommen hat....peinlich finde ich das.