Flüchtlinge zweiter Klasse in Polen: Tod oder Klaviermusik
Polen bekommt für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge viel Lob. Doch Menschen aus anderen Ländern müssen die Grenze fürchten. Zara will trotzdem helfen.
M ir wurde schwindelig, als ich den Zaun gesehen habe. Fünfeinhalb Meter hohe Metallstäbe, darüber Natodraht. Das ist einfach ein unmenschlicher Anblick.“ So erinnert sich Zara Grabowski an die Nacht im Februar, in der sie trockene Kleidung, warmen Tee und Schlafsäcke in den polnischen Wald brachte. Zara, Mitte zwanzig und Studentin aus Warschau, heißt eigentlich anders, möchte ihren richtigen Namen aber aus Sorge um ihre Sicherheit nicht öffentlich machen. Seit knapp einem Jahr verbringt Zara Grabowski ihre Tage nicht an der Uni, sondern im polnisch-belarussischen Grenzgebiet.
Wir sitzen an einem Plastiktisch mit geblümter Tischdecke in einem kleinen Kebab-Imbiss in der polnischen Kleinstadt Michałowo. Beim Falafelessen berichtet Zara von ihrer letzten Intervention im polnischen Wald: Am Nachmittag erreicht der Hilferuf einer Gruppe Schutzsuchender sie und ihre Mitstreiter:innen. Sie schreiben, dass das Essen knapp ist. Sie frieren und der Akku ihrer Smartphones geht zur Neige.
Dabei wollten sie ihre Kräfte für die Flucht durch Polen sammeln. Die Gruppe ist vor dem Krieg im Jemen geflohen und möchte einen Asylantrag in der EU stellen. Seit Monaten sind sie unterwegs. Mal in Bussen, mal auf Ladeflächen von Transportern oder Lkw, meist jedoch zu Fuß.
In der Winternacht im Februar steht die Gruppe vor dem letzten physischen Hindernis, das sie von der Europäischen Union trennt: dem meterhohen Grenzzaun aus Stacheldraht. Zara und ihre Mitstreiter:innen möchten die Schutzsuchenden in ihrem Kampf gegen das EU-Grenzregime unterstützen. Deswegen ziehen sie in der kalten Februarnacht mit vollgepackten Wanderrucksäcken durch den polnischen Urwald Białowieża, um die Hilfsgüter abzuliefern.
EU-Geld für Abschottung?
Das EU-Grenzregime zeigt sich an der polnisch-belarussischen Grenze in seiner ganzen Hässlichkeit. Entlang der 186 Kilometer langen grünen Grenze zwischen EU-Mitglied Polen und dem geografisch wie politisch russlandnahen Belarus erstreckt sich der über fünf Meter hohe Hochsicherheitszaun, dessen Anblick Zara erschaudern ließ. Neben der physischen Barriere ist die östliche EU-Außengrenze mit seismischen Detektoren, Wärmebildkameras und Bewegungsmeldern technologisch aufgerüstet und bewacht.
Immer wieder betonen Vertreter:innen der EU-Institutionen, dass sie keine finanziellen Mittel für Grenzzäune und -mauern ausgeben. Das entspräche nicht den humanitären Werten der Union. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verweigerte 2022 auch Polen finanzielle Mittel zum Bau des Grenzzaunes. Trotzdem ist die EU an der fortschreitenden Militarisierung und Aufrüstung ihrer Außengrenzen beteiligt. Wärmebildkameras, Drohnen und andere Technologien stellt die Union ihren Außenstaaten bereitwillig zur Verfügung.
Die Ablehnung der EU, Grenzzäune zu finanzieren, scheint nun auch zu schwinden. Nach einem Sondergipfel zum Thema Flucht und Migration am 10. Februar 2023 in Brüssel präsentierte von der Leyen einen neuen Plan gegen „illegale Migration“. Es ist von mehr Abschottung und besserem Grenzschutz, statt von mehr Achtung für Menschenrechte und Solidarität die Rede.
Die Mitgliedstaaten vereinbarten ein Pilotprojekt, bei dem es um die Sicherung der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Bulgarien und der Türkei geht. Auch dort erstreckt sich ein kilometerlanger Hochsicherheitszaun. Nationale Mittel, Gelder im Rahmen des Solidaritätsmechanismus unter den Mitgliedstaaten und EU-Haushaltsmittel sollen in Grenzinfrastruktur wie Kameras, Wachtürme und Fahrzeuge investiert werden. So sieht es der Plan des Pilotprojekts der EU vor.
Pushbacks und Sperrgebiet
Ohne diese Infrastruktur würde kein Grenzzaun funktionieren, meint die Kommissionspräsidentin, die Grenzzäune doch eigentlich nicht finanzieren wollte. Nach dem Gipfel in Brüssel scheint es Einigkeit unter den EU-Mitgliedstaaten zu geben. Sie wollen mehr Zäune und ein härteres Vorgehen gegen sogenannte illegale Migration.
Im Sommer 2021 missbrauchte Lukaschenko, der belarussische Diktator, Tausende Schutzsuchende aus dem Nahen Osten für sein politisches Kalkül. Um Druck auf die EU aufzubauen, wurden Flüge aus Krisenregionen nach Belarus gechartert und die Schutzsuchenden dann an die polnische Grenze getrieben.
Die EU ließ sich erpressen und antwortete auf die von Lukaschenkos verübte Misshandlung ihrerseits mit Misshandlung der instrumentalisierten Schutzsuchenden. Gewalt und „Pushbacks“ (illegale Rückführung, ohne Prüfung des individuellen Schutzanspruchs) erwarteten die flüchtenden Menschen vonseiten des Grenzschutzes.
Im Winter 2021/2022 rief die polnische Regierung ein Sperrgebiet an der Grenze zu Belarus aus. Weder Aktivist:innen noch Vertreter:innen von Menschenrechtsorganisationen oder Journalist:innen durften den drei Kilometer breiten Grenzstreifen passieren.
Schwer bewaffnet im Wald
Die Maßnahme wurde von Jurist:innen als undemokratisch und verfassungswidrig kritisiert. Journalist:innen sahen die Pressefreiheit angegriffen und Menschenrechtsaktivist:innen waren daran gehindert, den vielfachen Rechtsbruch gegenüber Schutzsuchenden zu dokumentieren und dagegen vorzugehen.
Nachdem die Anzahl der im Osten Polens ankommenden Schutzsuchenden im Sommer 2022 wieder etwas gesunken war, wurde die Sperrzone aufgehoben. Stattdessen sollen jetzt der Grenzzaun und regelmäßige Patrouillen von Grenzschutzeinheiten Schutzsuchende abschrecken und am Betreten der EU hindern.
Neben dem Zaun, den Kameras und dem Stacheldraht gehören in Polen die Polizei, das Militär sowie eine spezielle Grenzschutzeinheit (Straż Graniczna) und die sogenannte Territorialverteidigungsarmee (Wojska obrony terytorialne) zum Grenzsicherungsapparat der EU. Sie patrouillieren schwer bewaffnet im polnischen Grenzwald, um Schutzsuchende aufzuspüren. Gelingt ihnen das, halten sie die Menschen fest und schieben sie auf die andere Seite des Grenzzaunes, in den belarussischen Wald zurück.
Zara Grabowski, derzeit Vollzeitaktivistin
Regelmäßig und systematisch werden die deutlich geäußerten Asylgesuche der Menschen von den polnischen Beamt:innen ignoriert, die Rechte von Geflüchteten missachtet. Die EU-Außengrenze wird rechtswidrig abgeschottet. „Wir wissen von Fällen, wo Menschen sich extra ein Schild mit der Aufschrift,Ich möchte Asyl' auf Polnisch um den Hald gehängt hatten. Trotzdem wurden sie einfach abgeschoben“ erzählt Zara entrüstet.
„Sie hassen auch uns“
Sie hat ihre Falafeltasche aufgegessen und steht auf. Sie will das Gespräch lieber draußen weiterführen. Eine Gruppe junger Männer ist vor einigen Minuten in den Imbiss gekommen. Während sie auf ihre Bestellung warten, schauen sie immer wieder zu unserem Tisch. Zara fühlt sich nicht mehr wohl damit, hier über ihren Aktivismus und ihre politische Meinung zu sprechen.
Viele Anwohner:innen sind ihr und ihren Mitstreiter:innen nicht wohlgesinnt. Immer wieder treffen Zara, die aufgrund ihrer Kleidungswahl aus der Masse der lokalen Bevölkerung heraussticht und als linke Aktivistin zu erkennen ist, böse Blicke im Supermarkt. „Viele Menschen haben Angst vor Schutzsuchenden. Die Propaganda der Regierung wirkt leider. Deswegen hassen sie auch uns.“
Zara seufzt und bezahlt ihre Mahlzeit. Wir treten nach draußen auf die matschige Straße. Wochenlang lag im Grenzgebiet Schnee. Nun ist Tauwetter. Wir laufen durch die Straßen von Michałowo und Zara fährt fort: „Die bösen Absichten der polnischen Beamt:innen, die den politischen Willen der EU ausführen, werden durch die systematischen Pushbacks klar und deutlich.“
Zara fürchtet auch für ihre eigene Sicherheit
Schätzungen zufolge hat Polen seit 2021 Zehntausende illegale Pushbacks nach Belarus durchgeführt. Oftmals gehen die Pushbacks mit Anwendung von physischer und psychischer Gewalt einher. Schutzsuchende werden geschlagen, erniedrigt sowie rassistisch und islamfeindlich beleidigt. Die verübten Misshandlungen und die Gewaltexzesse haben für die polnischen Beamt:innen so gut wie nie Folgen. Die Betroffenen befinden sich nach dem Rechtsbruch wieder in Belaus, also außerhalb der EU. Von dort haben sie kaum Möglichkeiten, gegen den polnischen Grenzschutz vorzugehen.
Helfer werden kriminalisiert
Auch Zara hat mit den Grenzschutzeinheiten Erfahrungen gemacht. Immer wieder werden die Autos der Aktivist:innen an Posten des Grenzschutzes (Straż Graniczna) angehalten, durchsucht und die Identität der Aktivist:innen wird festgestellt und festgehalten. „Wir wollen humanitäre Hilfsgüter an Menschen liefern, die bei Minusgraden und ohne Verpflegung im Wald ausharren, und haben Angst, dafür verhaftet zu werden.“
Zara ist fassungslos und wütend. Die Studentin hat vor ungefähr einem Jahr ihr Studium unterbrochen und verbringt seitdem fast jeden Tag an der polnisch-belarussischen Grenze. Sie ist Vollzeitaktivistin, weil sie den Zustand an der Grenze unerträglich findet. Weil sie nicht tatenlos mitansehen kann, wie Menschen von Beamt:innen ihres Landes verprügelt und gequält werden. Weil sie die Abschottung Europas nicht widerstandslos hinnehmen will.
Deswegen nimmt sie die mögliche Kriminalisierung in Kauf und riskiert Bußgelder und eine strafrechtliche Verurteilung für ihren aktivistischen Einsatz.
Über zwanzig Menschen wurden seit Herbst 2021 wegen solidarischer Aktionen in Polen verhört, angeklagt, in Gewahrsam genommen oder zu einem Bußgeld verurteilt. Das geht aus einem Ende Januar 2023 veröffentlichten Bericht des Szpila-Kollektivs und der Helsinki Foundation for Human Rights hervor.
EU-weite Repressionen
Anfang März wurde erstmals eine deutsche Staatsbürgerin, die vom polnischen Grenzschutz verdächtigt wurde, sich dem Grenzzaun genähert zu haben, des Landes verwiesen, berichtete die taz. Mit der Ausweisung von Aktivist:innen soll humanitäre Hilfe kriminalisiert werden. Es ist eine weitere Eskalation der Repressionen gegen solidarische Menschen.
Auch in anderen EU-Staaten werden Helfer:innen und Aktivist:innen, die sich für die Rechte von Schutzsuchenden einsetzten, kriminalisiert und schikaniert. In Griechenland werden humanitäre Helfer:innen und Aktivisti:innen mitunter wegen Menschenschmuggels angeklagt.
Die italienische Regierung weist Schiffen der zivilen Seenotrettungsflotte seit einigen Monaten Häfen im Norden des Landes zu. Die Schiffe müssen kilometerweit fahren, um die aus Seenot geretteten Schutzsuchenden an Land zu bringen. Das kostet sie viel Geld und auch Zeit, welche sie nicht im Einsatz in der Rettungszone sein können.
Die Februarnacht, in der Zara den schwindelerregend hohen Zaun sah, dauerte für sie und die anderen Aktivist:innen noch bis in die frühen Morgenstunden. Die wachhabenden Grenzbeamt:innen wurden auf die Aktivist:innen aufmerksam. Insbesondere der Grenzstreifen wird stark und lückenlos überwacht. Regelmäßige Patrouillen der Grenzschutzeinheiten und Kameras an Weggabelungen machen es fast unmöglich, unbemerkt das Grenzgebiet zu betreten.
Schikane von taz-Reporterin
Als ich mich für die Recherche dem Zaun näherte, kamen jedes Mal nach wenigen Minuten Beamt:innen der Straż Graniczna. Sie fragten, was ich an dem Zaun zu suchen hätte, und nahmen meine Personalien auf.
Auch Zara und ihre Mitstreiter:innen wurden in der Nacht, in der sie die Hilfsgüter abliefern wollten, von den Grenzbeamt:innen aufgehalten. „Sie kamen vermummt, schwer bewaffnet, mit drei Geländefahrzeugen aus mehreren Richtungen“, berichtet Zara. Man hört kaum Angst in ihrer Stimme. Sie spricht klar und besonnen von den Ereignissen dieser Nacht. Nur selten kocht Wut in ihr hoch. Dann wird ihre Stimme lauter und fängt leicht an zu zittern.
Sie fährt sich durch die mittellangen blonden Haare und fährt fort: „Die Beamt:innen waren total aggressiv und beleidigten uns. Wir sollen doch lieber Rotwein trinken und Sushi essen anstatt dreckigen Migrant:innen zu helfen. So ekelige Sachen haben sie zu uns gesagt.“
Mehrere Stunden lang wurden die jungen Aktivist:innen von den Grenzschützer:innen im Wald festgehalten. Angeblich um ihre Identität zu klären. Zara und ihre Mitstreiter:innen verweigerten ein Schuldbekenntnis, sich widerrechtlich verhalten zu haben.
Immer mehr Leichen im Wald
Zwar ist es eine Ordnungswidrigkeit, sich auf 15 Meter dem Grenzzaun zu nähern, Zara und andere Aktivist:innen lehnen diese Strafe jedoch aus politischen Gründen ab. Sie verweigern jegliche Aussage und Kooperation mit den Beamt:innen. „Wir machen nichts Falsches, nichts Verwerfliches. Nichts, wofür man uns bestrafen sollte“, meint Zara.
Auf die Entschlossenheit der jungen Aktivist:innen reagierten die Grenzschützer:innen im Wald mit erhöhter Aggression und mit Einschüchterungsversuchen. Durchgefroren, müde und erschöpft verließen die Aktivist:innen nach insgesamt über acht Stunden den polnischen Grenzwald.
Anfang März telefoniere ich mit Zara. Die Vorfälle im Wald beschäftigen sie noch sehr. Der Anblick des Zaunes, aber auch das aggressive Verhalten der Grenzschützer:innen haben sie verstört. „Wenn sie das mit uns machen, was machen sie dann mit denen, die nicht weiß sind, die keinen europäischen Pass haben?“, fragt sich Zara. „Wie können Menschen so hasserfüllt sein? Und wie kann unsere Gesellschaft ein so menschenverachtendes Grenzregime aufbauen und aufrechterhalten? Wie kann das irgendjemand rechtfertigen?“
Zara Grabowski nach dem Zusammenstoß mit agressiven Grenzschützern
Am Morgen des 26. Februar 2023, einige Tage nach dem Falafelessen mit Zara, stehe ich vor einer kleinen katholischen Kirche in Michałowo. Auf einer Anzeigentafel, die ein kleines Dach vor Schnee und Regen schützt, flattert eine Traueranzeige: „Wir bedauern den Tod von Ahmed Hamed Al Zabhawi. Am 19. September 2021 wurde sein Leichnam im Wald in der Nähe des polnischen Dorfes Frącki gefunden. Der Verstorbene war 29 Jahre alt und kam aus dem Irak. Ahmed war gelernter Ökonom. Er hinterlässt eine Ehefrau und eine zweijährige Tochter.“
Anonyme Bestattungen
Hunderte weitere Traueranzeigen flatterten an diesem Morgen an schwarzen Brettern und öffentlichen Informationstafeln in grenznahen Dörfern und Städten. Auf den Plakaten sind die Namen und, wenn bekannt, die Todesursache und einige weitere persönliche Informationen von Menschen zu lesen, die seit 2021 ihr Leben auf der Flucht durch Polen verloren haben.
Insgesamt sind es mindestens 34 Asylsuchende, die seit 2021 in polnischen Wäldern gestorben sind. So die Daten, die das Bündnis Grupa Granica (Grenzgruppe) intern sammelt. Die Dunkelziffer ist wohl deutlich höher. Einige Schutzsuchende starben an Hypothermie, andere an Erschöpfung oder sie sind im Grenzfluss ertrunken. Vielfach ist die Todesursache jedoch ungeklärt.
Genauso ungeklärt ist häufig die Identität der gefundenen Toten. Schutzsuchende haben selten einen Identitätsnachweis bei sich. Außerdem liegen ihre leblosen Körper oft wochen- oder monatelang im Wald, bis sie gefunden werden. Eine Identifikation der menschlichen Überreste ist dann nur noch schwer möglich.
Immer wieder müssen unbekannte Tote begraben werden, bestätigt Zara. Seit sie im Grenzgebiet aktiv ist, war Zara schon bei einigen Beerdigungen von verstorbenen Schutzsuchenden, die auf dem muslimischen Friedhof in Bohoniki beerdigt wurden.
Rassistische Motive
„Wir wollen die lokale Bevölkerung wachrütteln. Sie sollen mitbekommen, was in ihrer Umgebung passiert. Vielleicht tun sie dann etwas gegen dieses Unrecht vor ihrer Haustür“, erklärt eine Bewohnerin, die an der nächtlichen Protestaktion im Februar beteiligt war. In der Woche zuvor wurden vier Leichen von Schutzsuchenden gefunden.
Am 12. Februar wurde die Leiche einer Frau aus Äthiopien im Wald in der Nähe der ostpolnischen Kleinstadt Hajnowka von Anwohner:innen entdeckt. Vier Tage später fand ein Suchtrupp bestehend aus Anwohner:innen und Aktivist:innen die Leiche einer weiteren Person im Wald, die Schutz gesucht hatte. Am selben Tag teilte der polnische Grenzschutz mit, dass zwei weitere Leichen in der Nähe des Flusses Switslatsch aufgefunden wurden.
Als Antwort auf diese vier neuen Leichenfunde, aber auch in Gedenken an die anderen im polnischen Grenzgebiet verstorbenen Schutzsuchenden, organisierten Aktivist:innen und Anwohner:innen die Protest- und Aufklärungsaktion am 25. Februar.
„Seitdem wir gesehen haben, wie Polen mit weißen, christlichen Geflüchteten aus der Ukraine umgeht, wird das rassistische Motiv des Grenzschutzes an der Ostgrenze noch mal deutlicher“, analysiert Zara. Im Südosten teilt Polen eine 526 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs wurden rund 8,5 Millionen Grenzübertritte zu Fuß, per Bus, im Auto oder mit dem Zug nach Polen registriert.
Zwei-Klassen-Flüchtlinge
Ukrainische weiße Staatsbürger:innen dürfen ohne Weiteres nach Polen und in andere EU-Staaten einreisen. Sie werden nicht zurückgeschoben, geschlagen und gedemütigt, so wie die Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze. Hilfskonvois dürfen die Grenze passieren, freiwillige Helfer:innen werden als Held:innen gefeiert und die Flüchtenden teils mit Klaviermusik empfangen.
Während seines Besuchs in Warschau Mitte Februar lobte US-Präsident Joe Biden die Bemühungen und die Aufnahmebereitschaft Polens gegenüber Schutzsuchenden. 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine hat der östliche Nachbar Deutschlands seit Beginn des russischen Angriffskriegs aufgenommen und eine legale Bleibemöglichkeit geboten. Ein löbliches Beispiel staatlicher und zivilgesellschaftlicher Solidarität, findet Biden. Zu der systematischen Misshandlung Schutzsuchender an der polnisch-belarussischen Grenze schwieg er.
Die Realität an den Außengrenzen der EU ist seit Jahren menschenverachtend und gewalttätig. Hochsicherheitszäune, Pushbacks, physische und psychische Gewalt sind zur gängigen Grenzpraxis der Europäischen Union geworden. Eine Änderung der migrationspolitischen Ausrichtung der EU oder ihrer Mitgliedstaaten ist nicht absehbar. „Eigentlich wird alles schlimmer“, sagt Zara während des Telefongesprächs am Anfang des Monats frustriert.
Die migrationspolitischen Entwicklungen in Europa und in Polen bereiten ihr Sorge. Die polnische Regierung möchte die Befugnisse der Grenzschutzeinheiten ausweiten. Sie plant eine Änderung des Ausländergesetzes. Diese Änderung würde die Straż Graniczna dazu befugen, final über Ausreisepflicht, Duldung und Einreiseverbot für Schutzsuchende zu entscheiden – ein Verstoß gegen das Grundrecht auf eine faire, unabhängige Anhörung.
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