Fluchtbewegungen durch Krieg in Sudan: Zivilisten sich selbst überlassen
Wer kann, versucht das Land in Richtung Ägypten zu verlassen. Doch der Krieg stellt viele Menschen im Land auch noch vor ganz andere Probleme.
Während ausländische Diplomaten Sudan verlassen, muss die einheimische Bevölkerung bleiben oder sich selbst sichere Fluchtrouten suchen. Bei manchen Kommentatoren sorgt das für Wut und Unverständnis. „Schön zu wissen, wie viel wir als Menschen wert sind“, schreibt am Sonntagmorgen eine Sudanesin bei Twitter.
An die ausländischen Mächte im Land richtet sie sich mit drastischen Worten: „Ihr habt uns in diese Scheiße geritten, und jetzt schwärmt ihr ein, um eure Leute rauszuholen (die, die wichtig sind) und uns bei diesen beiden mörderischen Psychopathen zurückzulassen.“ Damit meint sie Abdel Fattah al-Burhan und Hamdan Daglo Hametti; Ersterer ist Staatschef und Chef der Armee, Zweiterer stellvertretender Staatschef und Chef der Milizen der Rapid Support Forces (RSF). Der Krieg zwischen Armee und RSF hat bereits Tausende Menschen das Leben gekostet und geht unvermindert weiter.
Am Sonntagmittag berichtet derselbe Twitter-Account, ihr sei die Flucht geglückt. „Wir haben es geschafft. Ich habe im Moment keine Ahnung, wo wir hingehen, und ich tue einfach, was man mir sagt. Es ist ein Albtraum. Gott, erbarme dich, denn allen anderen ist es egal und niemand sonst wird sich erbarmen. An diejenigen, die zurückbleiben: Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
Wer in Khartum die Möglichkeit hat, macht sich jetzt auf den Weg Richtung Ägypten, so berichten es lokale Medien. In Internetkanälen werden Tipps ausgetauscht, wo welche Busse losfahren, welche Straßen passierbar sind, wo Leute ausharren und dringend Hilfe brauchen.
Weggehen muss man sich leisten können
Ein Problem: Der Weg aus Khartum nach Norden führt über den Nil, und die Nilbrücken sind Nadelöhre des Krieges. Ihre Kontrolle ist strategisch wichtig, sie sind Angriffsziele. Auch unterwegs besteht für die Flüchtenden immer die Gefahr von willkürlichen Kontrollen und Schikanen.
Ein weiteres Problem: An der Staatsgrenze am Nil ist zwar die Ausreise aus Sudan unproblematisch, nicht aber die Einreise nach Ägypten. Sudanesische Männer im Alter zwischen 18 und 50 Jahren benötigen ein Visum, wofür eine diplomatische Vertretung Ägyptens aufzusuchen ist. Da die Busse aus Khartum meist erst spätabends die Grenze erreichen, geht das nicht mehr am selben Tag – wenn überhaupt. Nicht-Sudanesen hingegen, die aus dem Land nach Ägypten wollen, bekommen derzeit das Visum an der Grenze.
Die überwiegende Mehrheit der sudanesischen Bevölkerung kann gar nicht an Flucht denken, sondern ist vor allem damit beschäftigt, das Überleben vor Ort zu organisieren. Das wird mit jedem Kriegstag ohne Wasser, Strom, medizinische Versorgung und Lebensmittelversorgung schwerer. Einzelheiten sind zunehmend schwerer in Erfahrung zu bringen. Am Sonntag brach parallel zur Ausreise der wichtigsten ausländischen Diplomaten das Internet auf fast allen sudanesischen Netzwerken zusammen. Die Netzabdeckung im Sudan liege bei 2 Prozent des Normalniveaus, hieß es am Sonntagmittag.
Klar ist aber: Die Behauptung der Regierung, die Armee kontrolliere das ganze Land und es gebe nur noch in Khartum Kämpfe, stimmt nicht. Am Freitag brachen schwere Kämpfe in der Stadt El-Obeid in der Provinz Kordofan aus, als die RSF das Polizeihauptquartier im Stadtzentrum angriff. Am Abend meldete die humanitäre UN-Koordinierungsstelle OCHA, bis zu 8.000 Menschen seien aus der Stadt geflohen. „Kämpfe und ein Mangel an den Gütern des täglichen Bedarfs“ bewirkten in zahlreichen Landesteilen zunehmende Bevölkerungsbewegungen, hieß es weiter. Benzinpreise haben sich vervierfacht, was alle anderen Dinge entsprechend verteuert, und zugleich können Menschen nicht mehr zur Arbeit und werden nicht bezahlt.
Schlagabstausch über Interviews
Sogar nach Südsudan, selbst Bürgerkriegsland mit einer noch viel dramatischeren humanitären Lage, fliehen Menschen aus Sudan. In Tschad, wo schon rund 400.000 Flüchtlinge aus Sudan leben, sind laut OCHA 10.000 bis 20.000 weitere Menschen aus dem Gebiet Darfur angekommen. Es sind zumeist Frauen und Kinder und sie lagern unter freiem Himmel, berichtet das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. In Nyala, Heimatstadt des RSF-Chefs Hametti in Süd-Darfur, kontrollieren beide Seiten militärische Einrichtungen und bekämpfen sich, ebenso in El-Fasher, Hauptstadt der Provinz Nord-Darfur.
Beide Kriegsherren geben sich unbeugsam, obwohl sie am Freitag eigentlich einer dreitägigen Waffenruhe zugestimmt hatten – am Freitagabend endete der Fastenmonat Ramadan, es folgte das Zuckerfest.
Burhan bekräftigte dann aber in einem Fernsehinterview aus dem Armeehauptquartier in Khartum, eine Einstellung der Kämpfe in Sudans Hauptstadt sei erst möglich, wenn die RSF dort nicht mehr präsent sei, und das werde bald geschehen, denn Hametti sei auf der Flucht und niemand wisse, wo er sei. Hametti reagierte am Samstag mit einem eigenen TV-Interview aus einem Militärfahrzeug in Khartum, in dem er bekräftigte: „Was Burhan sagt, ist Blödsinn, und ich werde darauf nicht antworten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck
Jeff Bezos und die Pressefreiheit
Für eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen!