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Festnahme nach Ibiza-AffäreBerliner Justiz prüft Auslieferung

In Berlin wurde der mutmaßliche Macher des Ibiza-Videos festgenommen. Sein Anwalt wehrt sich gegen eine Auslieferung nach Österreich.

In dieser Finca entstand 2017 das Ibiza-Video Foto: Christoph Reichwein/imago

BERLIN taz | Die Fahnder griffen in Berlin zu. Vor knapp zwei Wochen wurde Julian H. im Stadtteil Pankow verhaftet, seitdem sitzt der Österreicher in der JVA Moabit. Wenn es nach seinem Heimatland geht, aber nicht mehr lange: Österreich will die Auslieferung des 40-Jährigen. Nun wird der Fall zum Politikum.

Denn Julian H. soll einer der Macher des Ibiza-Videos sein, das den österreichischen Rechtsaußen-Politiker Heinz-Christian Strache 2019 zu Fall brachte. Mittels einer vermeintlichen russischen Oligarchennichte wurde der damalige Vizekanzler und FPÖ-Politiker 2017 in eine Finca auf Ibiza gelockt, zusammen mit dem FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus. Vor versteckten Kameras stellte Strache dort Großaufträge in Aussicht und plauderte über verdeckte Großspenden. Als das Video vom Spiegel und der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, flog die österreichische Regierung auseinander.

Julian H., ein früherer Privatdetektiv, war danach abgetaucht. Die österreichischen Behörden ermittelten aber nicht nur gegen Strache, sondern auch gegen den mutmaßlichen Fallensteller. Sie suchten ihn mit einem europäischen Haftbefehl. Das Berliner Kammergericht kam dem nach und erließ im Juli einen Auslieferungshaftbefehl. Nicht für die Anfertigung des Videos, wohl aber, weil H. mit dem Video Strache angeblich über einen Mittelsmann erpresst habe. Zudem soll er an mehrere Personen insgesamt rund 2,5 Kilo Kokain verkauft haben.

Die Ermittler brauchten aber eine Weile, um herauszufinden, wo genau sich Julian H. aufhielt. Sein Anwalt Johannes Eisenberg kritisiert dessen Festnahme am 10. Dezember scharf und hält die Vorwürfe für vorgeschoben. Denn Gerichte hatten die Anfertigung und Verbreitung des Ibiza-Videos wegen des öffentlichen Interesses für gerechtfertigt erklärt.

„Fake-Vorwürfe“

Mit der „orchestrierten Verdachtskonstruktion“ soll Julian H. nun aber doch noch verfolgt werden, kritisiert Eisenberg, der auch die taz presserechtlich vertritt. So basierten die Drogengeschäfte auf widersprüchlichen Aussagen einer Frau und auf denen eines Mannes, der H. bereits in anderer Sache falsch beschuldigte. Auch habe H. das Ibiza-Video weder an Strache verkaufen wollen, noch spreche der Politiker selbst von einer Erpressung. Auch dieser Vorwurf sei „längst widerlegt“.

Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, gefilmt mit versteckter Kamera Foto: Spiegel/Süddeutsche Zeitung/dpa

Eisenberg spricht von „Fake-Vorwürfen“ wie sie autoritäre Staaten auch gegen andere Whistleblower erheben würden. Julian H. sei ein „Antifaschist“, der eine Regierungsbeteiligung der rechtsradikalen FPÖ mit beendet habe. Zudem sei sein Mandant über ihn stets zu Auskünften an die Behörden bereit gewesen. Er sei im November per Video gar als Zeuge in einem österreichischen Prozess zugeschaltet worden.

Ob es tatsächlich zu einer Auslieferung kommt, liegt nun in den Händen der Berliner Justiz. Laut einer Sprecherin des Kammergerichts berät die Generalstaatsanwaltschaft momentan über eine Vorabbewilligungsentscheidung zur Auslieferung. Danach entscheide final das Kammergericht. Sowohl das Gericht als auch die Staatsanwaltschaft erklärten, eine Entscheidung sei noch offen.

Die rot-rot-grüne Landesregierung hält sich in dem Fall bisher zurück. Es gehe um eine „unabhängige richterliche Entscheidung“, erklärte ein Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Eine politische Einmischung wäre „sehr ungewöhnlich“. Zudem sei Österreich kein Unrechtsstaat, sondern „eine funktionierende Demokratie“.

Anwalt Eisenberg sieht das anders. Die FPÖ sei in Österreich seit Jahren Staatspartei, ihre Anhänger besetzten auch in der Justiz wichtige Posten. Er habe „erhebliche Zweifel“, dass für Julian H. in dem Land eine wirksame Verteidigung möglich sei. Beschließe die Berliner Justiz tatsächlich, ihn auszuliefern, werde er eine Verfassungsbeschwerde prüfen – und einen Asylantrag für H. in Deutschland.

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11 Kommentare

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  • Gut das die Ibiza-Affäre so hohe Wellen geschlagen hat, dass der juristische Umgang mit dem Beschuldigten Julian H. von einer medialen Öffentlichkeit genau beobachtet wird.

  • 0G
    01022 (Profil gelöscht)

    Da der allereinzigste Kanzler Kurz in Rekordzeit alle seine Koalitionspartner verschleißt (erst die SP, dann die FP, und jetzt die Grünen), muss ja irgendjemand bestraft werden, dass er bald keinen Partner zum hintergehen hat.

    "now you are stuck to me



    and I am stuck to you"



    www.youtube.com/watch?v=Q5TpqfScoWA

  • Der Verkauf von 2,5 Kilogramm Kokain wäre jedenfalls eine Hausnummer.

    • 0G
      01022 (Profil gelöscht)
      @Huck :

      Marschierpulver? Das war sicher nicht für den Nachtclub des Kurz-Spezl Martin Ho, dem einzigen Nachtklubbesitzer der Welt, der um 20 Uhr schlafen geht. story.heute.at/Chr...o-ho-ho/index.html

      Und es gibt auch keine Séparées, in denen hochrangigen Politiker dem Suchtgift frönen könnten, sicher nicht.



      zoom.institute/art...ibiza_1000009.html

  • Ein paar wenige Beispiele....



    www.dw.com/de/whis...n-wurde/a-48302879

  • Und der nächste Whistleblower wird verfolgt. Solange die Themen ins Konzept passen alles gut, aber nachverfolgen wollen wir es dann doch. Siehe Manning, Snowden, Assange, und viele viele weitere. Zum Glück holen wir uns sowas wie Nawalny (ganz bittere Lebensgeschichte mit Rassismus und Co.) und anderen Personen zu uns, wenn wir sie gegen böse "Diktaturen" einsetzen wollen. komisch bei whistleblowern die westliche Organisationen/Unternehmen/Regierung kritisieren schaffen wir das nicht. Interessenskonflikt?

  • Kann es sein, dass die BRD einen Mann ausliefert, der sich um die Offenlegung der illegalen Absichten eines Nazis verdient gemacht hat? Zumindest muss man den Strache doch als einen der Ideale der einzigen Nazidiktatur sehr nahe stehenden Mann bezeichnen.

    Wenn man im österreichischen Fernsehen immer wieder die Wiederholung von 1955 der einstigen Erklärung des damaligen Außenministers Figl sieht, wo er erkläret: 'Österreich ist frei', dann kann man feststellen: Österreich wurde damals von den Besatzungsmächten in die politische Unabhängigkeit entlassen, aber frei von den Verbrechern der Nazizeit ist es bis heute leider nicht.

    • @fvaderno:

      Es gibt viele Dinge, die wir an der Nazidiktatur kritisieren, und ihre politische Justiz gehört definitv dazu. "Politische Justiz" wäre aber auch, wenn die Justiz einen Menschen aufgrund empfundener politischer Meriten (wie den Sturz eines extrem rechtslastigen, korrupten Politikers) für über dem Gesetz stehend erklären würde. Wenn sie einen als Drogendealer Beschuldigten in Haft hat und Österreich ihn gerne ausgeliefert haben möchte, dann hat unsere Justiz gefälligst DArüber zu entscheiden und nicht, ob der Mann einen politischen Heiligenschein trägt.

      Genausowenig darf sie natürlich ein möglicherweise politisch motiviertes Verfolgungsinteresse der Österreicher blind unterstützen. Deshalb wird so ein Auslieferungsantrag ja auch richterlich geprüft. Wenn der Vorwurf erkennbar an den Haaren herbeigezogen ist, wird auch nicht ausgeliefert.

      Fazit: Für Alle gilt die Unschuldsvermutung. Aber wer mal etwas Gutes bewirkt hat, ist deshalb nicht automatisch KEIN Verbrecher. Und "Get out of jail free"-Karten gibt es in einem funktionierenden Rechtsstaat nicht.

  • Anscheinend verwechselt dieser Anwalt Österreich und Ungarn. Ich bin für eine Auslieferung.

  • Was soll ein Anwalt auch anderes sagen (wenn er den dann an die Öffentlichkeit tritt).

    Die deutsche Justiz kann das Ganze in Ruhe prüfen und die Justiz unserer Nachbarn fällt gegebenenfalls ein Urteil. Alles im grünen Bereich.

    Bedenklich ist eher die Nähe zwischen Vertretung durch den Anwalt und Berichterstattung. Während in der Presse vor einer Woche im allgemeinen über die Festnahme berichtet worden ist (Ausnahme taz), hat kein anderes Blatt (Ausnahme taz) hat über die entsprechenden Vorwürfe des Anwaltes berichtet.

  • Bin ja mal gespannt was die SPD dazu so sagt.



    Wo doch Christine Lambrecht grade erst einen Gesetzentwurf zum Schutz von Whistleblowern eingebracht hat ...