Festnahme in US-Stadt Kenosha: Kindergesicht mit Knarre

Am Dienstag wurden bei Protesten im US-Bundesstaat Wisconsin zwei Menschen erschossen. Jetzt wurde ein 17-jähriger Waffenfan festgenommen.

Ein Mann mit Megafon auf einer Demonstration.

Proteste an der Stelle in Kenosha, wo zwei Menschen bei einer Demonstration ermordet wurden Foto: Morry Gash/ap

NEW YORK taz | Ein 17-jähriger weißer Mann ist seit Mittwoch mit einer Anklage wegen zweifachen Mordes hinter Gittern. Kyle R. hat, so zeigen es Videos von verschiedenen Augenzeugen, in der Vornacht mit einem Sturmgewehr in eine Menschenmenge in Kenosha in Wisconsin geschossen. Zwei Demonstranten, die gegen rassistische Polizeigewalt auf der Straße waren, sind tot. Ein dritter verlor einen Arm. Aber in Kenosha machte der Polizeichef ziemlich unumwunden die Gewalt-Opfer verantwortlich. „Sie waren trotz Ausgangssperre auf der Straße“, sagte Daniel Miskinis am Mittwoch bei einer Pressekonferenz.

Es war ein weißer Polizist, der am Sonntag die 100.000 EinwohnerInnen-Stadt in Wisconsin ins Chaos gestürzt hat. Bei einem Polizeieinsatz schoss der Polizist mindestens sieben Kugeln in den Rücken des schwarzen Jacob Blake. Während der 29-Jährige versuchte, in ein Auto zu steigen, auf dessen Rückbank seine drei Kinder saßen, hielt der Polizist ihn mit seiner linken Hand am T-Shirt fest, zugleich schoss er mit der rechten aus unmittelbarer Nähe auf ihn.

Blake hat Schusswunden im Magen, Darm, den Nieren und der Leber. Seine Wirbelsäule ist zertrümmert. Jacob Blake senior, der Vater des schwer Verletzten, erfuhr am Mittwoch, dass sein Sohn vermutlich von der Hüfte abwärts gelähmt bleiben wird.

Von den Ermittlungsbehörden kamen unterdessen neue Informationen zu dem Polizeieinsatz am Sonntag, die Auswirkungen auf die Entwicklung des Falls haben könnten. Blake habe ein Messer in seinem Fahrzeug gehabt, sagte der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates Wisconsin, Joshua Kaul. Das Messer sei auf dem Boden des Innenraums auf der Fahrerseite sichergestellt worden. Der Mann habe den Polizisten zuvor „zu einem bestimmten Zeitpunkt“ gesagt, dass er ein Messer habe, sagte Kaul. In dem Auto seien keine weiteren Waffen gefunden worden.

Umringt von anderen stellt ein Schwarzer eine Flasche auf den Boden, daneben liegen Blumen

Spontanes Gedenken am Tatort in Kenosha: Blumen für die am Dienstag abend getöteten Foto: Brendan McDermid/reuters

Bürgerwehr mobilisierte zum Selbstschutz

Unmittelbar nach den Schüssen kam es zu ersten Protesten vor dem Gericht in Kenosha. Die Demonstranten verlangten die sofortige Entlassung und eine Anklage gegen den Polizisten und seine beiden Kollegen. Später in der Nacht gingen Autos in Flammen auf und Schaufenster von Geschäften wurden eingeschlagen. Seit Dienstag gilt in Kenosha eine nächtliche Ausgangssperre. Zugleich ist die örtliche Polizei mit Nationalgardisten des Bundesstaates Wisconsin verstärkt worden.

Während die Demonstrationen der Bürgerrechtler jeden Tag stärker wurden, mobilisierte zugleich eine örtliche Bürgerwehr zum Selbstschutz. Auf Facebook rief die „Kenosha Guard“ mit einem Text, der erst am Mittwoch von Facebook gelöscht wurde, „zu den Waffen“. Es gehe darum, so der Aufruf „unser Leben und unser Eigentum“ zu verteidigen.

Bislang ist unklar, ob der 17-Jährige, der am Dienstagabend aus seinem 30 Minuten entfernten Heimatort Antioch im Nachbarbundesstaat Illinois mit einem Sturmgewehr nach Kenosha kam, dem Aufruf der „Kenosha Guard“ gefolgt ist. Aber fest steht, dass er auf seinen eigenen sozialen Netzwerken, seine Sympathie für die Polizei und für Trump, sowie seine Vorliebe für Schusswaffen vielfach kundgetan hat. Manche Beobachter wollen sein Gesicht auch in der ersten Reihe des Publikums bei einem Trump-Wahlkampfmeeting im Januar diesen Jahres erkannt haben.

Auf den dramatischen Videos aus der Nacht zum Mittwoch hat der 17-Jährige weiße Teenager ein kindliches Gesicht. Auf seinem Körper wirkt die Schusswaffe riesig.

Am späten Dienstagabend begann die örtliche Polizei damit, die Demonstranten vom Gericht von Kenosha zu einer Tankstelle zu treiben. Dabei kam reichlich Tränengas zum Einsatz.

An der Tankstelle warteten Dutzende von schwer bewaffneten Milizionären auf die vor der Polizei fliehenden Demonstranten. In dem Chaos, das sich dort entwickelte, eröffnete der 17-Jährige das Feuer in die Menschenmenge. Zwei Demonstranten versuchten, ihm die Waffe wegzunehmen. Nach unbestätigten Informationen ist mindestens einer der beiden unter den Toten.

Der 17-Jährige lief weg. Als ihm auf seiner Flucht mehrere gepanzerte Polizeifahrzeuge entgegen kamen, hielt er beide Hände hoch und konnte ungestört weiter laufen. Auch diese Szene ist auf Videos aus der Nacht fest gehalten. Der Bundesstaat Illinois, wo der 17-Jährige am Mittwoch verhaftet wurde, will in den nächsten Tagen über seine Auslieferung nach Wisconsin entscheiden.

In Kenosha verlängerten die Behörden am Mittwoch die nächtliche Ausgangssperre um eine weitere Stunde. Der Gouverneur von Wisconsin vergrößerte die Anzahl der Nationalgardisten aus seinem Bundesstaat auf 500. Und aus Washington schrieb Donald Trump per Tweet, dass er ebenfalls Nationalgardisten schicken werde.

Polizeigewalt kein Thema beim Republikaner-Parteitag

Bei dem gleichzeitig laufenden Parteitag der Republikaner erwähnte niemand die Polizeigewalt, die das Chaos in Kenosha ausgelöst hat. Doch zahlreiche Republikaner, darunter auch der Sprecher der nationalen Polizeigewerkschaft NAPO, verurteilten die „Anarchie und Gewalt“ auf den Straßen. Unter einem Präsidenten Joe Biden, so die nunmehr zentrale Wahlkampfbotschaft der Republikaner, werden die USA in Anarchie, Chaos und Gewalt versinken.

Am späten Mittwochnachmittag umzingelten mehrere nicht gekennzeichnete schwarze Fahrzeuge an einer Straßenkreuzung in Kenosha einen Wagen der Gruppe „Riotkitchen206“. Die Insassen waren im Einsatz, um Demonstranten in Kenosha mit Essen zu versorgen. Aus den nicht gekennzeichneten schwarzen Fahrzeugen sprangen Polizisten mit vorgehaltenen Waffen. Einer von ihnen zertrümmerte ein Fenster des Fahrzeugs von „Riotkitchen206“. Dann führten sie die Insassen ab. Stunden später war immer noch unbekannt wo sie waren.

„Beginnt so ein Bürgerkrieg?“, war eine Frage, die am Mittwoch in manchen Köpfen in den USA war. Doch gleichzeitig bahnte sich in Louisiana und Texas ein massiver Hurrikan an. Und die Republikaner feierten am dritten Tag ihres Parteitags die „Law and Order“-Politik ihres Präsidenten.

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