Festnahme eines NSU-2.0-Verdächtigen: Innenminister Beuth atmet auf
Nach dem Fahndungserfolg im NSU-2.0-Komplex verbreitet Hessens Innenminister Zuversicht. Doch zentrale Fragen bleiben offen.
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Seit im Jahr 2018 die ersten Drohschreiben an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız publik wurden, steht Beuth und mit ihm die hessische Polizei unter Druck. Denn die Ermittlungen zu den teils rassistischen und menschenverachtenden Morddrohungen gegen insgesamt 32 Personen und 60 Institutionen brachten erhebliche Missstände in der hessischen Polizei ans Tageslicht. Die Fahnder mussten feststellen, dass wiederholt sensible persönliche Daten der Opfer rechtswidrig von Polizeicomputern in Frankfurt und Wiesbaden abgerufen worden waren. Sie stießen auf rechte Chatgruppen, in denen Polizeibeamte Nazisymbole und rassistische Parolen ausgetauscht hatten.
Von Anfang an stand der Umgang mit Betroffenen und Öffentlichkeit in der Kritik. Die Adressaten der Drohschreiben sowie Abgeordnete des Innenausschusses erfuhren mehrfach wichtige Informationen nicht vom Minister, sondern aus den Medien. Der Landespolizeipräsident musste gehen, weil er Beuth angeblich nicht über Ermittlungsdetails informierte.
Beuth feuerte ihn, ernannte im Anschluss einen Sonderermittler und veranlasste eine umfangreiche Untersuchung rechter Umtriebe in der hessischen Polizei. Mehrere Beamte wurden entlassen, noch immer sind zahlreiche Straf- und Disziplinarverfahren gegen ehemalige oder suspendierte Polizisten anhängig.
Nicht nur Betroffene äußern Zweifel
Wie sehr der Imageschaden der Polizeiarbeit in Hessen zugesetzt hat, beklagte zuletzt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jens Mohrherr, in der Frankfurter Rundschau: „Es belastet die Kolleginnen und Kollegen. Einer hat mir mal gesagt: Das ist, als ob man mir eine Bleiweste umhängt, wenn ich jeden Tag in den Dienst komme. Es wiegt auch schwer, wenn sich Kolleginnen und Kollegen in Frankfurt beschimpfen lassen müssen, sie kämen vom,Nazirevier'“, so der Gewerkschafter gegenüber der FR.
Innenminister Beuth verbreitete nach der Festnahme des Tatverdächtigen Zuversicht: „Die jahrelangen widerlichen Drohungen und Einschüchterungen gegen Personen des öffentlichen Lebens können nun in einem rechtsstaatlichen Verfahren geahndet werden“, sagte Beuth am Dienstagmorgen. Doch nicht nur die Betroffenen äußern Zweifel. „Wie soll der Berliner Tatverdächtige ohne Bezug zur Polizei an sensible Daten gekommen sein, die aus Polizeicomputern abgefragt wurden“, fragte etwa die Linken-Politikerin Janine Wissler in einer ersten Reaktion gegenüber der taz.
Für die SPD-Landtagsfraktion erklärte Günter Rudolph: „Solange mögliche Verbindungen zwischen dem mutmaßlichen Täter und potenziellen Helfern innerhalb von Polizeibehörden nicht ausermittelt sind, ist der Komplex ‚NSU 2.0‘ nicht abgeschlossen. Zur vollständigen Aufklärung gehört eine Antwort auf die Frage, wie ein Rechtsextremist aus Berlin an Daten aus dem hessischen Polizeiinformationssystem kommen konnte“, so Rudolph.
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