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Femizid bei HannoverRassistisches Motiv vermutet

Knapp zwei Wochen nach dem Mord an einer 26-jährigen Algerierin durch ihren deutschen Nachbarn, suchen Er­mitt­le­r*in­nen weiter nach einem Motiv.

Bild der ermordeten Algerierin Rahma Ayat, umrahmt von Blumen und Kerzen Foto: Michael Trammer

Hannover taz | Leise rascheln mehrere Sträuße welkender Blumen im Wind. Kleine algerische Fähnchen stecken daneben und rahmen Fotos einer jungen Frau. Von dem Bild lächelt Rahma Ayat voller Lebensfreude auf alle Passant*innen. Sie trägt auf dem Foto einen typisch-blauen Krankenhauskittel und ein Kopftuch. „KEINE MEHR!“, steht auf einem Plakat daneben.

Die Algerierin wollte Krankenpflegerin werden und arbeitete bereits in einem Krankenhaus in Hannover. Menschenleben retten war ihr Lebenstraum. Nun durchbricht die kleine Gedenkstätte für die 26-Jährige die Vorstadtidylle in Arnum, etwa zehn Kilometer südlich von Hannover. Auch mehr als eine Woche nach dem Mord im Treppenhaus, stehen die An­woh­ne­r*in­nen offensichtlich unter Schock. Laut Staatsanwaltschaft Hannover laufen immer noch die Ermittlungen zu einem möglichen Motiv.

Am Vormittag des 4. Juli tötete der 31-Jährige Deutsche Alexander K. mutmaßlich seine algerische Nachbarin Rahma Ayat. Im Hausgang soll er gegen 10:30 Uhr mit einem Messer auf sie eingestochen haben. Die Nachbarn hörten Hilfeschreie, wählten den Notruf und kämpften um das Überleben der Frau – vergeblich.

Laut Obduktionsbericht traf einer der Messerstiche Ayat direkt ins Herz. Die 26-Jährige verstarb noch vor Ort. Der Täter soll sich ergeben und die Tat dabei auch zugegeben haben, berichten Bewohner des Hauses der taz. Laut Polizei gibt es eindeutige Tatortspuren. Der 31-Jährige sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft.

Rassistische Anfeindungen

Dass Männer aus Frauenhass morden, ist nicht neu – wenn auch gesellschaftlich viel zu wenig beachtet. Gerade bei mehreren Diskriminierungsmerkmalen steigt die Gefahr, Gewalt zu erfahren. Und so könnte auch im vorliegenden Fall die Herkunft und Religion des Opfers eine Rolle gespielt haben. Wie die Mutter dem Sender Al Arabya berichtete, soll die Getötete ihrer Familie in Algerien von antimuslimischen und rassistischen Anfeindungen durch ihren Nachbarn Alexander K. berichtet haben. Dieser soll sie wegen ihres Hijabs und ihrer arabischen Abstammung belästigt haben. Bestätigen lässt sich das bisher nicht.

In den sozialen Medien äußert sich der mutmaßliche Mörder, der als Systemadministrator in Hannover arbeitete, eher zurückhaltend. Immer wieder kommentiert der IT-Techniker auf LinkedIn verschiedene politische Inhalte. Sexistische Werbung kommentiert er mit Zustimmung. Eindeutig rechtsextrem ist sein online Auftritt aber nicht. Allerdings findet sich ein älterer Beitrag, in dem Alexander K. über die Exekution von Osama Bin Laden und islamistischen Terroristen im Allgemeinen, sowie die Zur-Schau-Stellung von deren Leichenteilen phantasiert.

Eine der Anwohnerinnen, die anonym bleiben will, sagt, sie habe die Polizei auf den Beitrag hingewiesen. Rahma Ayat habe erst wenige Monate hier gelebt, erzählt sie an der Tür des Mehrfamilienhauses. Selten sei sie der Getöteten begegnet, engen Kontakt habe sie keinen zu ihr oder dem Täter gehabt.

Von einem vorhergehenden Konflikt hätten sie nichts mitbekommen – was nicht bedeute, dass es den nicht gegeben habe, sagt die Anwohnerin der taz. Sie wisse nicht genau, was sie über die Mutmaßungen zum Motiv denken solle. Die Ermittlungen dauerten ja noch an. „Ich finde es aber schade, dass erst nach solchen Fällen über Rassismus gesprochen wird“, sagt die Erzieherin der taz.

Staatsanwaltschaft hat noch kein eindeutiges Bild

„Wir haben von den Äußerungen der Eltern aus den Medien erfahren und führen umfangreiche Ermittlungen im Umfeld des Opfers und des Tatverdächtigen durch“, sagt Oliver Eisenhauer, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Hannover der taz am Telefon. Bisher sei bekannt, dass der Tatverdächtige einmal versucht habe, in die Wohnung des späteren Opfers einzudringen. Das sagten Freundinnen der Getöteten aus, so Eisenhauer.

„Fremden- und muslimfeindliche Äußerungen konnten die nicht berichten“, so der Staatsanwalt weiter. Die Social-Media-Aktivitäten des Angeklagten seien bekannt. Daraus ergebe sich noch kein eindeutiges Bild. „Ausschließen, dass es sich um ein rassistisches Motiv handelt, können wir nicht“, so der Pressesprecher. Klarheit soll die Auswertung digitaler Asservate und weitere Ermittlungen schaffen.

International sorgt der Tod von Rahma Ayat für Entsetzen und Protest. Ak­ti­vis­t*in­nen aus der algerischen Community machen online und mit Kundgebungen auf den Fall aufmerksam. Die algerische Regierung hat laut The New Arab in Folge der Tat den deutschen Botschafter einbestellt.

In Hannover demonstrierten mehr als hundert Personen und erinnerten an die Getötete. „Ihr gewaltsamer Tod steht exemplarisch für ein strukturelles Problem: Feminizide sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines patriarchalen Systems, das Frauen entwertet, kontrolliert und unterdrückt“, schreibt das Netzwerk gegen Femizide Hannover und die Junge Frauenkommune Hannover.

Bis zum Anfang Juli 2025 zählte die Initiative „Femizide Stoppen“ bereits 51 Fälle. „Die Zahlen zeigen uns, dass wir laut sein müssen und unsere Trauer in Wut und Widerstand umwandeln müssen“, so das Netzwerk.

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12 Kommentare

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  • Sie kam als 26-jährige Pflegekraft voller Hoffnung nach Deutschland, um zu helfen – stattdessen starb sie am 4. Juli, mutmaßlich getötet von einem Nachbarn, der sie laut Familie wegen ihres Kopftuchs und ihrer Herkunft schikanierte.

    Rahmas Geschichte steht für die Angst vieler muslimischer Frauen – 2024 gab es über 3.000 antimuslimische Vorfälle, besonders gegen Frauen. Für viele von uns gehört Diskriminierung und die Furcht vor Gewalt zum Alltag.

    Erschütternd ist das politische Schweigen – wie viele weitere Opfer braucht es noch, bis antimuslimischer Rassismus endlich als ernsthafte Bedrohung anerkannt wird?

    Es geht nicht um einen Einzelfall, sondern um ein systematisches Problem. Rahmas Familie fordert zu Recht, diesen Mord als rassistisches Hassverbrechen einzustufen. Ihr Ruf nach Gerechtigkeit darf nicht ungehört bleiben.

    Ich schreibe diesen Kommentar, weil Schweigen keine Option ist. Für Rahma, ihre Familie, für uns alle.

    Möge Allah Rahma in Seine Barmherzigkeit aufnehmen, ihrer Familie Geduld schenken und uns Kraft geben. Amin.

  • Was ist eigentlich aus den Ermittlungen in Wilhelmshaven geworden? Vor einiger Zeit kam dort ein schwarzer Junge ums Leben. Die Wohnung der Familie wurde in Brand gesteckt und brannte völlig aus. Auch hier wurde ein rechtsradikaler Anschlag vermutet aber man hört nachher nie wieder was davon in der Presse. Diese Vorfälle häufen sich. Auch einer der überführten Neonazi Brandstifter in einem anderen Fall hat zuvor Brandsätze / Benzin an der Wohnungstür eines ausländischen Nachbarn angebracht und mehrfach versucht, die Wohnung in Brand zu setzen- was nicht gelang. Immer wieder hört man von Brandstiftung mit zu hoher Wahrscheinlichkeit rechtsextremem Hintergrund gegen ausländische Nachbarn aber es gibt nie ein follow up oder einen Artikel der dieses Muster benennt und diese ganzen Einzelfälle zusammenfasst und über den Ermittlungsstand informiert.

  • Wenn die Anwohnerin anonym bleiben will sollte man im Artikel auch ihren Beruf nicht erwähnen.

  • Warum wird das Femizid genannt, wenn das Motiv noch unklar ist und vielleicht sogar ein rassistischer Hintergrund möglich ist?

    Oder wird jetzt jeder Mord an einer Frau durch einen Mann Femizid genannt?

    • @gyakusou:

      Mich stört die Verwendung des Begriffs Femizid in diesem Kontext auch weil dadurch eine Beziehungstat impliziert wird und das wahrscheinlich rechtsradikale, politische Motiv dadurch "privatisiert" wird. Täter und Opfer waren Nachbarn. Sie wurde aufgrund dessen ermordet, was das Kopftuch für den Täter repräsentiert hat. Das ist das Gegenteil einer persönlichen Beziehungstat.

      Wie die Taz berichtet hat, sind überwiegend junge Menschen, vorwiegend Kinder, Mädchen und Frauen sowie alte Menschen Opfer von Hasskriminalität da sie ein leichteres Opfer darstellen.

      Diese Taten sollten aber nicht als Gewalt gegen Frauen / Femizide umbenannt werden weil somit die politische Komponente (Rechtsextremismus) unsichtbar gemacht wird. Hauptmotiv für die Tat ist das Kopftuch/ der Migrationshintergrund.

      • @Schwabinger :

        Ich möchte natürlich klarstellen dass auch Femizide politisch sind da sie Ausdruck patriarchaler Gewalt sind.

    • @gyakusou:

      Das ist in der Tat so.

      "Da für Femizide bislang keine einheitliche Definition existiert und die tatauslösende Motivation in der PKS nicht erfasst wird, wird im Lagebild die Gesamtzahl der weiblichen Opfer von Tötungsdelikten angegeben."

      www.bka.de/SharedD...genFrauen2023.html

    • @gyakusou:

      "wird jetzt jeder Mord an einer Frau durch einen Mann Femizid genannt?"



      So scheint es. Ist mir auch aufgestoßen.

    • @gyakusou:

      Nu freilich…nur so wird deutlich, was offenbar viele noch immer nicht sehen wollen! Rassistische Hintergründe schließen Femizide nicht aus, denn die berechtigte Frage bleibt: Hätte der Täter einen Mann niedergestochen? Vermutlich nicht. Femizide sind Ausdruck einer Gesellschaft in der egal welche Männer egal welche Frauen töten einfach weil sie es können. Also neben der körperlichen Übermacht auch ein täterschützendes System solche Taten begünstigt, in denen dann entweder von „Beziehungstat“ / Affekten oder sonstigen verharmlosenden Euphemismen die Rede ist, um den Täter mit einem sanften Klaps auf den Po wieder in die Welt zu entlassen. Hintergründe sind bisher unklar, möglicherweise war er ja auch interessiert an ihr (warum sonst hätte er ihre Wohnung betreten wollen) und sie hat in abgewiesen. Auch das wäre dann ein Femizid. Davon unbenommen sollte wohl die Deutungshoheit bei Opfern und Betroffenen liegen, das ewige Genörgel an dem Begriff ist überholt und wenig zielführend angesichts fast täglicher Morde an Frauen in D.

      www.bka.de/SharedD...genFrauen2023.html

      • @Lou Andreas-Salomé:

        "Rassistische Hintergründe schließen Femizide nicht aus"



        Nach Ihrer Definition. Es gibt durchaus Menschen, die das anders sehen und einen Femizid deutlich enger definieren.

      • @Lou Andreas-Salomé:

        "denn die berechtigte Frage bleibt: Hätte der Täter einen Mann niedergestochen? Vermutlich nicht"

        Woher nehmen Sie diese Gewissheit?

        • @Kawabunga:

          Weil eine Frau – weniger wehrhaft weil meistens gesellschaftlich viel mehr auf Unterordnung konditioniert – wesentlich leichter zu überwältigen ist als ein Mann. Körperliche Überlegenheit benannte ich aber schon... wer lesen kann... 😉