Feministische Kampagne nach Köln: Immer. Überall. #ausnahmslos
Mit einer neuen Kampagne fordern Feminist_innen mehr Schutz vor sexualisierter Gewalt und wehren sich gegen Vereinnahmung durch Rassist_innen.
Dem Hashtag vorausgegangen war ein Aufruf der Feministinnen Anne Wizorek, Kübra Gümüşay und 20 anderen Aktivistinnen. Darin fordern sie den konsequenten Einsatz gegen sexualisierte Gewalt jeder Art und verwehren sich der Instrumentalisierung dieses Anliegens, „um gegen einzelne Bevölkerungsgruppen zu hetzen, wie das aktuell in der Debatte um die Silvesternacht getan wird“. Unter den mehr als 400 Mitzeichner_innen befinden sich Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD), Claudia Roth (Grüne) und Katja Kipping (Linke), aber auch die amerikanische Aktivistin Angela Davis und die britische Autorin Laurie Penny.
In der vergangenen Woche war Feminist_innen von populistischer Seite immer wieder vorgeworfen worden, ihr #aufschrei gegen Sexismus reagiere überzogen auf „harmlose Herrenwitze“, schweige aber nun, weil ihnen die Thematisierung der Herkunft der Täter nicht passe. Während „altdämliche Herrenanmachversuche“ zu einem Generalverdacht gegen „die Hälfte der Bevölkerung“ führten, handle es sich nun eher um einen „Aufschrei 0.0“, schrieb etwa Birgit Kelle im Focus. Bisher war sie vor allem mit dem Ratschlag aufgefallen: „Dann mach doch die Bluse zu“ – so auch der Titel ihres 2013 erschienenen Buches.
Allenthalben wird der #aufschrei auf einmal in Mündern geführt, die vorher noch nie ein Interesse an einem besseren Schutz vor sexualisierter Gewalt verkündet hatten. Diese dürfe „nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich ‚Anderen’ sind“, heißt es im #ausnahmslos-Aufruf. Ausnahmslos alle Menschen sollten vor verbalen und körperlichen Übergriffen geschützt sein. „Das sind die Grundlagen einer freien Gesellschaft.“ Dass dies in Deutschland und in der EU keineswegs der Fall ist, belegen eine Erhebung der Agentur für Europäischen Union für Grundrechte (FRA) sowie die Kriminalstatistiken der deutschen Polizei.
Der Erhebung zufolge wurde mehr als die Hälfte der in der EU lebenden Frauen schon einmal sexuell belästigt, ein Drittel hat in der Vergangenheit körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Allein in Deutschland würden laut Kriminalstatistik jedes Jahr mehr als 7.300 Vergewaltigungen angezeigt. Dabei ist bekannt, dass die Mehrzahl solcher Übergriffe aus Scham oder Angst nie zur Anzeige gebracht wird, die Dunkelziffer also weitaus höher liegen muss. Diese Zahlen mit „Nordafrikanern“ oder Flüchtlingen zu erklären, kann niemand ernsthaft versuchen.
So sind denn auch die Forderungen des Aufrufs dieselben, die Feminist_innen seit Jahren stellen: mehr Unterstützung für Beratungsstellen und Frauenhäuser, eine offenere und kritischere Debatte, mehr Zivilcourage und vor allem ein konsequenteres Sexualstrafrecht. Denn sexuelle Belästigung ist in Deutschland kein eigener Straftatbestand, und die Definition einer Vergewaltigung ist so eng, dass viele Fälle vor Gericht keine Chance haben. Und daran werden auch Abschiebungen und rassistische Stereotype nichts ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind