Feministin über Sexarbeit: „Alle Frauen tauschen Sex gegen Geld“
Wenn Frauen Prostituierte befreien wollen, lohnt es sich, zweimal hinzusehen, meint die englische Feministin Laurie Penny.
taz: Alice Schwarzer sagt, Sexarbeit sei eine Menschenrechtsverletzung. Was sagen Sie?
Laurie Penny: Ich selbst habe diese Arbeit noch nicht gemacht, allerdings sind Freunde von mir Sexarbeiterinnen. Ich glaube, die Frage nach der Menschenrechtsverletzung ist die falsche. Wichtiger ist, wie kann ihre Arbeit so gestaltet werden, dass sie die Menschenwürde nicht verletzt? Ein Verbot der Prostitution, wie Alice Schwarzer es fordert, das hatten wir viele Jahre und haben es noch in den meisten Ländern der Welt. Das hat den Sexabeiterinnen noch nie genutzt.
Jemand, den ich vielleicht gar nicht mag, überschreitet meine Intimitätsgrenzen. Kann das normale Arbeit sein?
Es gibt viele Arten von Arbeit, die über persönliche Grenzen geht oder verletzend ist. Frauen haben schon immer Emotionalität und Intimität verkauft. Sehen Sie sich die typischen Frauenjobs an. Und es wird mehr: Wir sollen uns mit unserer ganzen Persönlichkeit unserem Arbeitgeber zur Verfügung stellen. Wir alle verkaufen immer mal wieder Gefühle.
Auch manche Exprostituierten sagen, Prostitution mache einen kaputt. Während ihrer Tätigkeit hätten sie zwar behauptet, sie seien selbstbestimmt –aber nur aus Selbstschutz.
Natürlich können Menschen sehr schlechte Erfahrungen in der Sexarbeit machen. Die meisten dieser Erfahrungen machen sie, weil Sexarbeit illegalisiert ist oder in einer Grauzone stattfindet. Es wird Zeit, daran etwas zu ändern.
27, ist eine britische Feministin und Autorin. Sie unterhält den Blog „Penny Red“ und schreibt als Kolumnistin für das Magazin New Statesman. In ihrem Buch "Fleischmarkt" (Nautilus, 2012) untersucht sie die versteckten Strukturen der Verdinglichung des weiblichen Körpers im Kapitalismus.
Schwarzer sagt, dass viele ausländische Sexarbeiterinnen ihre Rechte gar nicht einfordern können.
Man soll also Leuten die Rechte verweigern, weil sie zu dumm oder Ausländer sind? Ich dachte, dass Feminismus das Gegenteil sei: Frauen handlungsfähig machen.
Sie meinen, man spricht von Würde und meint Kontrolle?
Absolut. Das war in der gesamten Geschichte der Prostitution so: Es gibt Frauen mit Würde und Frauen ohne Würde. Das ist verletzend, nicht nur für Prostituierte, sondern für alle Frauen. Frauen, die mit mehreren Männern schlafen, werden abgewertet. Hier spielt das Patriarchat mit dem Staat zusammen: Die Sexarbeiterin wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen, weil die promiske Frau ausgeschlossen werden muss. Denn sie stellt das Patriarchat infrage. Emotionale Arbeit der Frauen ist in unserer Gesellschaft nur dann gut, wenn sie unbezahlt ist: Männer und Kinder lieben und all diese Liebesdienste an ihnen verrichten.
Feministinnen wollen Prostituierte retten, weil sie Angst vor der promisken Frau haben?
Das ist der eine Grund. Ich glaube aber auch, dass Frauen, die sich selbst täglich mit sexuellem Kapital ausstatten müssen, um in der Gesellschaft Erfolg zu haben, tief in ihrem Innern eine Angst und eine Wut haben. Sex gegen Geld tauschen, das tun alle Frauen in dieser Gesellschaft mehr oder weniger. Und dieser unbarmherzige Mechanismus macht wütend. Diese Gefühle lassen sie an den Prostituierten aus, weil die den Mechanismus deutlich zeigen: Sex für Geld.
Es gibt auch eine Annäherung von Nichtsexarbeiterinnen an die Prostituierte, oder? Frauen kopieren ihre Kleidung oder lernen Poledance oder strippen. Wollen die etwas vom sexuellen Kapital der Prostituierten abhaben?
Ja, sie spielen mit diesen Elementen. Sie wollen den Gewinn dieses Kapitals abschöpfen, ohne die wirkliche Arbeit einer Poledancerin zu machen. Die Professionelle wird dabei nicht aufgewertet. Sie kann sich nicht für den nächsten Job bewerben und sagen: Ach ja, zwischen diesem und jenem Jahr war ich Poledancer. Stattdessen hat sie eine Lücke im Lebenslauf. Sexuelle Macht ist die einzige Macht, für die Frauen gefeiert werden. Zugleich werden sie dafür gehasst und bestraft, wenn sie diese Macht wirklich nutzen wollen.
Sex ist eigentlich dafür da, dass ungefähr zwei Menschen Spaß haben. In der Prostitution wird das ein asymmetrisches Verhältnis. Ist das entfremdet?
Ich glaube, dass Sex in unserer Gesellschaft ohnehin entfremdet ist. Allerdings ist der Sex der Frauen entfremdeter, weil man ihnen einredet, sie müssten Männern gefallen. Aber auch der männliche Sex wird uns problematisch präsentiert: Männer müssen Sex haben, sonst vergewaltigen sie. Es ist wie eine Naturgewalt, sie können nichts dagegen machen. Das hören die Mädchen, aber Jungen hören das auch. Ihnen wird gesagt, dass Sex die einzige Methode ist, wie sie Intimität leben können. Die Prostituierten bekommen dann fast eine Art Therapeutenrolle. Ich sehe, wie Männer damit kämpfen. Es ist sehr traurig.
Viele gehen aber auch in den Puff, weil sie es einfach finden. Es wird ihnen zu Hause zu anstrengend. Irgendwie auch schade, oder?
Tja, vielleicht gehen aber auch ihre Ehefrauen ebenso in den Puff? In der Tat waren Frauen historisch gesehen immer gegen Prostitution, weil die Sexarbeiterinnen ihren Handel „Sex gegen sozialen Schutz“ unterliefen. Das aber ist die Idee der Ehe. Deshalb würde ich gern für so etwas wie freie Liebe plädieren, wäre der Begriff nicht in den Sechzigern total entwertet worden. Der Sex sollte überhaupt kein Tauschmittel sein.
Aber es beruhen doch nicht alle Partnerschaften auf diesem Tausch Sex gegen Schutz. Frauen können sich doch allein schützen und ihr eigenes Geld verdienen.
Das wäre schön, wenn es so wäre. Es ist aber oft nicht so: Sie wissen, wie ungleich die Einkommen von Männern und Frauen sind. Es ist ein Tabu und darüber zu reden schmerzt, aber der sexuelle Wert wird auf dem Partnerschaftsmarkt möglichst gewinnbringend verkauft. So sieht es aus. Und wir werden das Thema Prostitution so lange haben, wie legaler Sex auf dem Partnerschaftsmarkt versteigert wird und außerehelicher Sex illegal oder illegitim bleibt.
Das heißt, das ganze Thema verschwindet, wenn Frauen so viel Geld verdienen wie Männer?
Man kann sich sexuell nur auf Augenhöhe begegnen, wenn man nicht von der Beziehung abhängig ist. Ich rede nicht davon, dass Frauen in Aufsichtsräte müssen. Ich rede von der Teilzeitkraft, die zu Hause unbezahlt arbeitet. Ja, die sexuellen Beziehungen sähen anders aus, wenn Frauen unabhängig wären. Frauen sähen anders aus, wenn sie unabhängig wären.
Sie meinen ohne Make-up und Lippenstift?
Nein, Feminismus sollte sich nicht mit dem Urteil über das Aussehen der anderen beschäftigen. Jede Art, sich zu kleiden, wird zur Unterdrückung, wenn man denkt, man müsse sich nun so oder so kleiden. Ich zum Beispiel hätte viel Make-up, wenn ich heute nicht so spät dran gewesen wäre. Und man muss sagen: Die Vorstellung, dass Feministinnen hässlich sind, hat sehr viele junge Frauen abgeschreckt. Es ist ihre größte Angst, hässlich zu sein. Es geht darum, auch diese verinnerlichte Kontrolle abzubauen: Eine Freundin von mir rät immer zu einem Experiment: Ziehen Sie die hässlichsten Sachen an, die Sie haben, sehen Sie so furchtbar aus, wie Sie können. Und dann gehen Sie aus. Und Sie sehen, dass es den Leuten egal ist. Das ist sehr befreiend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!