Feindliches Design bei BVG und Bezirken: Aufenthalt unerwünscht
Der Künstler Martin Binder sammelt Beispiele für obdachlosenfeindliches Design in Berlin. Bezirke und BVG wollen davon keine Kenntnis haben.
Für ein Augmented Reality Projekt hat Binder in Zusammenarbeit mit dem Verein Querstadtund der Union für Obdachlosenrechte Berlin (UfO) ein Archiv von Bildern angelegt. Ein Beispiel sind die Wartebänke in der U-Bahn-Station Rotes Rathaus in Mitte. Die Sitzflächen sind auf kleine kreisförmige Bereiche begrenzt, die auf Betonquadern angebracht wurden. Wer sich dort hinsetzt, merkt schnell: Die Sitzmöbel mögen zwar stylisch aussehen, sind aber selbst für den kurzen Aufenthalt ungemütlich. Das Material ist kalt, hart und ruschtig, es gibt keine Rückenlehnen. Hier zu sitzen erfordert entweder Kraft in den Beinen oder rutschfeste Sohlen. Für einen längeren Zeitraum sind sie jedenfalls nicht geeignet.
Das sollen sie vielleicht auch gar nicht. Immerhin bieten viele Wartebänke in Berlin wenig Platz und sind unbequem. Von feindlicher Architektur will die BVG jedoch nichts wissen. Auf eine parlamentarische Anfrage des Grünen-Abgeordneten Ario Ebrahimpour Mirzaie vom Juni vergangenen Jahres heißt es aus der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt: „Der Begriff ‚defensive Architektur‘ ist bei der BVG nicht bekannt, und es gibt hierzu keine Richtlinien. Sitzgelegenheiten werden grundsätzlich für Menschen, nicht gegen Menschen genutzt.“
„Feindliche Architektur hat oft mehrere Funktionen und manche davon können auch einen positiven Charakter haben“, sagt Andreas Abel. Er ist Streetworker bei Gangway, einem Verein, der in Berlin mit obdachlosen Erwachsenen und Jugendlichen arbeitet. Solche Uneindeutigkeiten erschweren die Kritik. Als Beispiel nennt Abel die Lichtinstallation am Savignyplatz in Charlottenburg, die in der Unterführung für bunte, schnell wechselnde Beleuchtung sorgt. „Für Passant*innen ist das Lichtspektakel bestimmt schick, aber obdachlose Menschen, die hier nachts regensicher untergekommen wollen, werden dadurch vertrieben“, sagt der Straßensozialarbeiter.
Keine Bänke, aber Betonblöcke mit Metallspitzen
An anderen Orten ist es leichter zu erkennen, dass ein längerer Aufenthalt verhindert werden soll: So wurde der Lüftungsschacht am Fernsehturm durch Querverstrebungen zum Sitzen unbequem und zum Liegen unbrauchbar gemacht. Zuvor hatten sich hier vor allem im Winter Menschen aufgehalten, weil die ausströmende Luft von unten wärmte.
Auf Anfrage der Grünen an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, wer diesen Umbau zu verantworten hat, kam nur heraus: Das Bezirksamt Mitte war es nicht. Die Maßnahme erforderte auch keine Baugenehmigung.
Auch der Bezirk will von obdachlosenfeindlicher Architektur nichts wissen: „Von dem Bezirksamt Mitte wird nicht versucht, mit sogenannter defensiver Architektur auf die Nutzung des öffentlichen Raums restriktiv Einfluss zu nehmen“, heißt es. Besondere Sensibilität gibt es allerdings auch nicht. „Leitfäden oder Rundschreiben zum Umgang mit defensiver Architektur beziehungsweise allgemein zu dem Themenbereich sind dem Senat nicht bekannt.“
Mehr als eindeutig zeigt sich am Ostbahnhof die ablehnende Haltung gegenüber Menschen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten: Vor den Parkplätzen gegenüber der Bahnhofshalle wurde eine Wiese mit Blumenbeeten und einem kleinen Mäuerchen 2012 durch Betonblöcke ersetzt, 2015 wurden diese mit Blechspitzen versehen.
Der Effekt: Die Blöcke können nicht mehr zum Sitzen genutzt werden. Innerhalb des Bahnhofs gilt das Hausrecht, das den Aufenthalt auf den Bänken ohne Fahrschein untersagt. Auch hier sieht der Senat die Verantwortung nicht bei sich, sondern bei der Deutschen Bahn.
Menschen mit eingeschränkter Mobilität haben Nachsehen
Das Unternehmen begründet die Baumaßnahme damit, die Parkplätze von der Straße abgrenzen zu wollen. Auf die Frage der Grünen, ob es Vorgaben zur Gestaltung der Sitzgelegenheiten gibt, teilt die Senatsverwaltung mit, dass sich die Deutsche Bahn neben technischen Vorgaben vor allem an die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung und mit eingeschränkter Mobilität halte.
Welche Funktion die Metallspitzen in dieser Hinsicht haben sollen und warum stattdessen auch an dieser Stelle – wie auch auf dem ganzen Gelände rund um den Bahnhof – keine Bänke vorhanden sind, bleibt offen. Obwohl ja insbesondere Menschen mit eingeschränkter Mobilität auf Sitzgelegenheiten angewiesen sind. In einem kurzen Video fängt Martin Binder das Resultat ein: Neben den bewehrten Betonklötze sieht man eine Gruppe von rund 40 Personen, die an der Bushaltestelle warten – im Stehen.
„Verdrängung von Obdachlosen aus dem öffentlichen Raum findet auf verschiedenen Wegen statt, Architektur und Design sind nur ein Teil davon“, sagt Andreas Abel. Zusammen mit dem Grips-Theater und anderen Unterstützer*innen lobte Gangway 2021 den Negativpreis „Goldene Keule“ für den „Obdachlosenfeindlichsten Ort Berlins“ aus.
Die Auszeichnung ging an den Hansaplatz in Tiergarten im Bezirk Mitte. Grund ist unter anderem die 2020 geänderte Platzordnung, die, rechtlich höchst fragwürdig, das „unnötige Aufhalten im öffentlichen Raum“ untersagen wollte. Nach starker Kritik wurde diese Regelung geändert. Mittlerweile gilt die Platzordnung nur noch für private Flächen. „Wo genau die Grenzen verlaufen, ist nicht ersichtlich“, sagt Andreas Abel. „In der Bäckerei hängt die Platzordung bis heute aus.“
Reinickendorf verbietet defensive Architektur
Die klarste Linie gegen ausgrenzende Architektur gibt es in Reinickendorf. Dort beschloss die Bezirksverordnetenversammlung im Dezember 2022, dass das Bezirksamt von defensiver Architektur abzusehen hat. Gemeint sind damit laut Beschlussvorlage beispielsweise „verstreute Steine, Betonbänke und Poller, die vor allem den Zweck haben, Jugendliche und Obdachlose von öffentlichen Plätzen fernzuhalten“.
„Die Verdrängung einer ohnehin benachteiligten Gruppe ist falsch“, heißt es auf taz-Nachfrage von der FPD Reinickendorf, die den Beschluss eingebracht hatte. Sie fordert, zusätzliche seniorengerechte Möbel – zum Beispiel mit einem Bügel zum Aufstehen – anzubringen. Mit obdachlosenfreundlicher Architektur hat das wenig zu tun: Denn auch die Bügel dienen dazu, Menschen vom Liegen abzuhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren