Feinde und Freunde der Demokratie: Nicht durchdrehen
Doch Demokratie ist keine Werbekampagne. Angesichts der Krisen, die sie erschüttern, ist es die größte Aufgabe, dem Hass zu trotzen, der uns einlädt.
Das ist ein Angriff auf die Demokratie!“ ist so ein Standardsatz dieser Tage. Man hört ihn so oft, dass der Angriff selbst kaum mehr eine Bedrohung, sondern eher eine Gewohnheit geworden ist, man schaut nur noch, von wem er denn dieses Mal kommt.
Bei der Frankfurter Buchmesse wurde deutlich, wie sehr die Demokratie und vor allem jene Menschen, die Freiheitsrechte in Anspruch nehmen, gefährdet sind. In der Paulskirche erhielt dieses Jahr der Schriftsteller Salman Rushdie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Vor der Kirche ein erhöhtes Sicherheitsaufkommen. Gegen Rushdie war vor über dreißig Jahren eine Fatwa ausgesprochen worden, es ist kaum ein Jahr her, dass ein Attentäter versuchte, während eines Auftritts auf die Bühne zu stürmen und ihm das Leben zu nehmen, mit dem Messer. Rushdie hat überlebt, das rechte Auge bleibt beschädigt, doch sein freier Geist ist ihm und uns geblieben. Auch sein Humor. Als es unter dem Publikum plötzlich Unruhen gab, blickte er skeptisch in den Raum, fragte, ob alles okay sei, alle beruhigten ihn, die Person habe bereits Hilfe erhalten. Rushdie fuhr mit seiner Rede fort.
Spürbar wurden die abstrakten Feinde der Demokratie und ihre Bedeutung auch, als der slowenische Philosoph Slavoj Žižek bei der Eröffnungsfeier der Buchmesse eine Rede hielt, die heftige Diskussionen auslöste. Am darauffolgenden Tag hatte ich ihn als Gast auf der Bühne und sah, wie sich mit ihm neben dem Publikum der Saal mit Sicherheitskräften füllte. Am Tag darauf hatte ich ein Gespräch mit Michail Chodorkowski, auch hier die erhöhte Sicherheit, die Fragen nach Vorkehrungen, die Bewegungsfreiheit, die es für ihn nicht einfach gibt. Dieses Jahr war besonders spürbar, welcher Preis für das freie Wort zu bezahlen ist. Rushdie beschrieb es so, dass in ihm nach wie vor das ruhige Kind lebte, das er einst war, aber sein Leben hatte eine andere Richtung für ihn vorgesehen.
Was folgt aus der aufgeheizten Stimmung?
Tun wir genug gegen die Radikalisierungsprozesse, die mit der Art und Weise beginnen, mit denen wir über Kriege und Krisen reden? Meist ist abstrakt von „Feinden der Demokratie“ und den Angriffen auf Demokratie die Rede, machen wir uns und anderen diskursiv deutlich genug, wann diese beginnen? Machen wir derzeit deutlich genug, wann jemand mit seinem diskursiven Feuer auch die gewaltbereiten Kräfte zum Zündeln motiviert?
Derzeit ist eher zu sehen, wie selbst die Geschichte der Entstehung des Asylkompromisses, die eine äußerst gewaltvolle war, die über den Umweg Solingen, Hoyerswerda und Rostock ging, von Politikern heute als gutes Beispiel für Gesetzesänderungen im Bereich der Migration angeführt wird.
Was bedeutet die aufgeheizte Stimmung im Konkreten für jene, die von ihren demokratischen Freiheitsrechten öffentlich Gebrauch machen wollen? Braucht es in naher Zukunft für alle gesellschaftlichen Themen, die öffentlich verhandelt werden sollen, Personenschutz für die Protagonisten? Und wer wird sich dem Diskurs zu diesem Preis auf Dauer stellen? Was ist Freunden der Demokratie, die für Meinungsäußerungen im Netz mehr als vierundzwanzig Stunden brauchen, weil sie über die Konsequenzen nachdenken, weil irgendwo am Ende der Instakacheln und Tweets doch Menschen sitzen, die Botschaften empfangen, und man mit plakativen Statements der Sache nicht gerecht werden kann.
Seit den brutalen Angriffen der Hamas auf Israel und den barbarischen Akten gegen die Zivilbevölkerung tobt der Krieg auch im Netz. Nicht nur terrorisiert die Hamas die Menschen in Israel, sie verbreitet ihren Terror über das Netz weltweit. Wer ins Netz geht, erhält die Bilder des Terrors ohne Filter, Folge ist einerseits eine Abstumpfung, andererseits eine Aufheizung. Jetzt fordern viele im Netz voneinander, sich umgehend zu positionieren. Hinzu kommen die Bilder der leidenden Menschen im Gazastreifen. Es ist ein Abgrund, in den wir gerade hilflos blicken; den Weg aus der aktuellen Situation kennt im Moment niemand.
Die alte Normalität gibt es nicht mehr
Als die Pandemie handhabbarer wurde, dachten alle, es wird eine Rückkehr zur Normalität geben, doch was kam, war der Krieg in der Ukraine. Jetzt Israel. Es gibt die alte Normalität nicht mehr, und wir müssen lernen angesichts des Daueralarms, von den Kriegsnachrichten bis zur Klimakatastrophe, die Ruhe zu bewahren – und tätig zu bleiben. Auch geistig tätig.
Ich habe mit der Rede von Salman Rushdie in der Paulskirche wieder neu verstanden, dass jeder Krieg im Kopf beginnt. Rushdies Feinde, seine Gegner, haben alles gegeben, damit an diesem Tag ein Mann vor uns steht, der nur noch Hass, Verzweiflung oder Galle sprühenden Zynismus kennt. Stattdessen stand da einer, der seinen Humor behalten hat, an Bildung als Ausweg aus der Barbarei glaubt, der nach wie vor für jene Werte kämpft, die man als zivilisatorische Errungenschaft beschreibt. Es ist die größte Aufgabe, dem Hass, der uns einlädt, zu trotzen.
Als ich Michail Chodorkowski fragte, wie er es im russischen Gefängnis auch angesichts der brutalen Strafe geschafft hat, klar zu bleiben, sagte er: „Ich habe gesagt, das gehört jetzt auch zu deinem Leben.“ Du musst damit umgehen, ohne zu überdrehen, ohne verrückt zu werden, heißt das. Es gibt in dieser Zeit unzählige Gründe, durchzudrehen. Die Gewalt weltweit, aber auch auf deutschen Straßen. Die Angriffe hier auf Synagogen. Viele hatten es sich zu bequem gemacht im pseudogewichtigen Dreschen von Phrasen, haben das „Nie wieder!“ ebenso überbeansprucht wie sonstige Schlagworte des Aktivismus.
Doch Demokratie ist keine Werbekampagne. Im Gegenteil, es braucht jetzt den denkenden, fühlenden, handelnden Teil der Zivilgesellschaft. Es braucht jene, die sich nicht gegenseitig Schlagworte an den Kopf werfen, sondern gemeinsam nach Fragen, Antworten und vielleicht Lösungen suchen. Am besten auch noch manchmal mit Humor. Trotz allem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja