Feiern in der DDR: Schwofend den Diktatoren trotzen
Der Zwang zum Opportunismus machte in der DDR auch kreativ. Wie gut die Menschen feiern konnten, zeigt die Kunstsammlung „Der große Schwof“.
Spätestens seit Gründung der Universität „Salana“ 1558 steht das thüringische Jena für akademischen Geist und Aufklärung. Seine vierzig DDR-Jahre werden meist mit renitenten Bürgerrechtlerkreisen in Verbindung gebracht. Der frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn und sein sächsischer Kollege und Schriftsteller Lutz Rathenow dürften die bekanntesten sein. Nun aber überrascht die Kunstsammlung dieser geistig beweglichen Stadt mit einer Fotoausstellung, die das richtige Leben im falschen dokumentiert: „Der große Schwof“.
Solch gesellige Selbstorganisation von unten konnte es aus westlicher Sicht in der „Ostzone“ eigentlich nicht gegeben haben, weil die SED vermeintlich auf alle Lebensbereiche durchgriff. Zeitzeugen aber wissen um das Paradoxon, dass der damalige Zwang zum Opportunismus in besonderer Weise kreative Energien stimuliert.
Ein erster Blick auf die mehr als 300 Bilder von 31 Fotografinnen und Fotografen ist ein großes Erinnerungsfest für all jene, die vor allem die 1980er Jahre erlebt und gestaltet haben. Wilde Jugendzeiten eben, oft bis hinauf ins Seniorenalter reichend. Anders als heute avancierte jeder Fest- und Feierteilnehmer in der Gartensparte, der Boheme oder in der kirchlichen Nische auch zum Mitgestalter, zum Laienstar, zum Volkskünstler. Incentive-Agenturen oder professionelle Event-Anmache teilten das Ereignis noch nicht in aktive Produzenten und konsumierendes Publikum.
Die Ausstellung vermeidet jeden Ost-Trotz. „Wir besaßen zwar wenig, aber verstanden zu leben“ – dieser verbale Trost hielt ja auch nicht lange nach 1990 vor. Das Vorwort zum 1,7 Kilogramm schweren Katalog bedient sogar stellenweise das heutige Master Narrative, wenn darin das Feiern als „Ventil aufgestauter Energien“ beschrieben wird, die dem „Diktat von Meinungen, Redeverboten, Diskreditierungen“ entsprangen. Richtig, aber im „Schwof“ brach sich ebenso pure Lebensfreude Bahn. Die wenigsten verstanden die wilde Feierei als tätigen Widerstand.
Stolz und melancholisch
Mit solcher Ambivalenz fasziniert schon das schwarz-weiße Titelfoto des Katalogeinbandes. Die jüngste Teilnehmerin eines Leipziger Tanzturniers blickt ebenso stolz wie melancholisch in eine unbestimmbare Richtung. Sie würde auch in eine der legendären Ausreisepartys vom Prenzlauer Berg passen. Flucht aus einem repressiven Staat und deftiger Abschied von vertrauten Menschen zugleich.
Erasmus Schröter experimentierte 1981 unter anderem bei diesem Porträt mit der Infrarotfotografie, also der unbemerkten Beobachtung anderer in der Dunkelheit. „Diese Art der Fotografie ist heute nicht mehr denkbar“, kommentiert Kurator Erik Stephan von der Kunstsammlung Jena. Allein schon das eifersüchtige Wachen über Persönlichkeitsrechte würde solche Bilder verhindern. Ähnliches gilt für die unbefangene Freizügigkeit vieler Fotos, sei es bei Partys im Freundeskreis oder bei offiziellen Veranstaltungen. Barbara Mahler steuert eine ganze Serie „Striptease im Osten“ bei.
Ausstellungskuratorin Petra Göllnitz hat bewusst exklusive, ja anarchistische Klubs, Szenen und Bildungsbürgerkreise mit weniger subversiver Alltagskultur gemischt. Dorffeste der 1950er Jahre bilden eine Kategorie für sich, Hochzeiten, die Dorfdisco. Das „Dreckschweinfest Mansfelder Land“ zu Pfingsten gibt es bis heute.
Feinschmecker kommen bei ironischen Beobachtungen am Rande staatsoffizieller Anlässe wie dem 1. Mai, dem „Roten Oktober“ oder bei Sportfesten auf ihre Kosten. Misswahlen oder Modenschauen wie „Chic, Charmant, Dauerhaft“ hatten ihre Unschuld noch nicht verloren.
Ideenstrotzender Klamauk
„Der große Schwof. Feste feiern im Osten“: Kunstsammlungen Städtische Museen Jena, bis 15. Oktober. Katalog: 27 Euro
Überhaupt blühten Parodie und ideenstrotzender intelligenter Klamauk. Einen legendären Ruf genoss beispielsweise der Fasching der Dresdner Kunsthochschule, schon in Farbe von Werner Lieberknecht dokumentiert. Das war damals ähnlich ungewöhnlich wie die Großveranstaltungsbilder von Jens Rötzsch. Denn typisch für die DDR-Fotografie erscheint die Transformation bunter Inhalte ins Schwarz-Weiße, auch die Erfurter Punks von Gabriele Stötzer. Solche technischen und stilistischen Experimente und Entwicklungen dokumentiert diese Schau ebenfalls.
Man verlässt sie mit dem exklusiven Gefühl, dabei gewesen zu sein, und mit einer Anfrage an die Erlebnis- und Begeisterungsfähigkeit heute. Wer sich über damalige pralle Sünden erhaben fühlen möchte, kann Harald Hauswalds Serie „Sex und Saufen“ zum Zeugnis nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste