Fehlverhalten Thüringer Beamter: Neue Vorwürfe gegen Polizei Weimar
Polizeigewalt, Stalking, falsch registrierte Waffen und ein Polizeichef, der wegschaut – Weimarer Polizist:innen berichten erneut von Missständen.
Bereits im Juni hatte die taz von Missständen in der Polizeiinspektion Weimar berichtet. Damals konnten interne Ermittlungsakten belegen, dass der Beamte Tino M. mehrfach übergriffig handelte, interne Polizeidaten weitergab und Penisfotos an ein junges Mädchen verschickte. Das Verfahren gegen M. wurde auf Januar verschoben, bis heute ist er suspendiert, erhält jedoch weiterhin Bezüge.
Nun heißt es mit Bezug auf die Recherchen in dem Schreiben, dass es „auch weiterhin keine Folgen für Kollegen“ gebe, die Fehler machen. In der anonymen E-Mail berichten die Absender:innen unter dem Pseudonym „Kollegen der Polizei Weimar“ detailliert über die Anschuldigungen.
Demnach seien die von der taz recherchierten Führungsprobleme durch die neue Dienststellenleitung unter Polizeichef René Treunert noch schlimmer geworden als bei dessen Vorgänger und heutigem Bürgermeister Ralf Kirsten. Fehler würden „nicht einfach nur verschwiegen“, sondern Kollegen, die Probleme und Straftaten ansprächen, zudem „systematisch schikaniert und demontiert“.
Konsequenzen gefordert
Drei Beamte der insgesamt 18-köpfigen Schicht haben sich zusammengefunden, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Die taz konnte mit einem von ihnen sprechen. Über zehn weitere Polizist:innen, so die Beamten, würden ihr Vorhaben, die Vorwürfe an die Öffentlichkeit zu bringen, unterstützen.
„Uns ist bewusst, dass wir mit diesem Schreiben ein schlechtes Bild auf die Polizeiinspektion Weimar hinterlassen“, schreiben die Beamt:innen. „Auch wenn wir uns wiederholen, wollen wir, dass Fehler, die absichtlich begangen werden, Konsequenzen haben. Das scheint aber nur möglich, wenn bei Bekanntwerden der Fehler auch ermittelt wird.“
Ein Polizeikommissar, der anonym bleiben will, dessen Identität der taz jedoch bekannt ist, bestätigte die Vorwürfe. Laut seiner Aussage habe der Polizeimeister Sebastian K. mehrfach „gewaltvolle Übergriffe“ gegenüber Personen zu verantworten.
Demnach habe er im Einsatz Tatverdächtige „absichtlich mit dem Kopf auf den Boden geschlagen“, bis Kollegen ihn wegziehen konnten. Während eines Polizeieinsatzes habe er einen Ladendieb „permanent verbal und körperlich provoziert“ und ihm, als dieser aufstand, „kräftig mit der Faust in den Magen geschlagen“.
Polizeigewalt, Stalking, Homophobie
Im Anschluss habe er ihn „absichtlich stark“ am Arm gegriffen, woraufhin der Ladendieb versucht habe, sich aus dem Griff zu befreien. Sebastian K. habe ihn dann „radikal zu Boden geworfen“ und gefesselt. Der Betroffene, der eigentlich nur eine Anzeige wegen Ladendiebstahls zu befürchten hatte, sei daraufhin ins Klinikum gebracht worden und habe eine Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte erhalten.
K. habe behauptet, er sei mittels eines Ellenbogenschlages angegriffen worden. Im Einsatzbericht ist lediglich die Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte vermerkt. Der Hinweisgeber sagte der taz, Sebastian K. habe Protokolle, „so rundgeschrieben, dass ein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte dabei herauskommt“. Des Weiteren sagte er, Sebastian K. habe Kolleginnen mehrfach sexistisch, sowie eine lesbische Kollegin mit den Worten „Die gehört mal ordentlich durchgebumst. Wenn ich die mal ficken würde, dann wär die Hetero“ homophob beleidigt.
Immer wieder soll K. aggressiv auf Kolleg:innen sowie Bürger:innen reagiert haben, mehrfach Personen während einer Polizeimaßnahme zum „Kampf Mann gegen Mann“ herausgefordert haben. Einen angetrunkenen Jugendlichen, der nachts durch eine Straße in Weimar lief und die Beamten mit „ACAB“-Rufen beleidigte, habe er ohne Ankündigung auf den Boden geworfen und auf ihn eingeschlagen, bis sein Kollege ihn bremste.
Sebastian K. soll darüber hinaus seine ehemalige Lebenspartnerin gestalkt haben. Der Zeuge berichtet, K. sei während der Dienstzeit mehrfach an ihrer Wohnung vorbeigefahren, zudem soll er einmal während des Dienstes ihre Wohnung unter dem Vorwand, etwas abholen zu wollen, durchsucht haben: Unterwäsche, Schränke, ihr Adressbuch. Die Eltern der Ex-Partnerin hätten ausgesagt, dass sie enorme Angst vor Sebastian K. haben, da er sie „permanent kontrolliere“ und dem neuem Lebenspartner Gewalt angedroht habe.
Bis heute keine Ermittlungen
Außerdem, so der Polizeibeamte, sei Sebastian K. im Besitz von Waffen gewesen, darunter ein Scharfschützengewehr, Großkaliberwaffen, Handfeuerwaffen, Kleinkaliberwaffen sowie ein Sturmgewehr inklusive Munition. Einige dieser Waffen davon stünden jedoch bei seinem Vater auf der Erlaubniskarte, nicht bei ihm selbst.
Die Vorwürfe, die die „Kollegen der Polizei Weimar“ in ihrer anonymen E-Mail sowie der Polizeibeamte im telefonischen Gespräch mit der taz formulieren, decken sich mit einem Schreiben vom 5. August 2019 – adressiert an René Treunert, den Leiter der Polizeiinspektion Weimar. In dem Brief wird auf fünf Seiten ausführlich dargestellt, warum die Einschätzung naheliege, dass Sebastian K. „sowohl dienstlich als auch privat eine Gefahr für andere Personen darstellt“.
Der Polizeichef muss von den Vorwürfen gewusst haben – spätestens seit dem Sommer 2019, dem Datum des Schreibens. Der taz wollte er keine Auskünfte geben und sagte lediglich, sie „renne einer Sache hinterher, die von allen Seiten zu einer einvernehmlichen Lösung gebracht wurde“.
Die „Kollegen der Polizei Weimar“ bestreiten gegenüber der taz jedoch, dass es eine einvernehmliche Lösung gegeben habe. Sie behaupten, dass Treunert Sebastian K. bereits zwei Monate nach Meldung der Vorfälle wieder in der Schicht einsetzen wollte, ohne eine:n der Beamt:innen zu den Vorwürfen befragt zu haben. Bis heute seien keine Ermittlungen eingeleitet worden.
taz-Recherchen sorgen für Wirbel
Angeblich, so die Hinweisgebenden, soll der Polizeichef „massiv Druck“ ausgeübt haben, damit gar nicht erst ermittelt werde. K. habe stattdessen im Gespräch mit Treunert psychische Probleme angegeben, woraufhin ihm jegliche Waffen entzogen worden seien. Die Waffenbehörde gibt auf Anfrage keine Auskunft.
Und die Hinweisgebenden erheben weitere Vorwürfe gegen einen anderen Beamten. Seit dieser im Ermittlungsdienst für Betäubungsmittel zuständig sei, würden immer wieder Betäubungsmittel „verschwinden.“ Akten würden nachträglich geändert und Fotos von beschlagnahmten Betäubungsmitteln seien nicht mehr auffindbar.
Mehrere Kollegen würden berichten, dass der Beamte auf dem Heimweg Jugendliche anspreche, von ihnen Drogen und Tabak sicherstelle und nie eine Anzeige gefertigt würde. Auch diese Vorfälle seien der Dienststellenleitung bekannt. Von ihr habe es geheißen, dass der Beschuldigte keine Betäubungsmittelsachverhalte mehr bearbeite. Bis heute sei dies jedoch nicht geschehen.
Schon jetzt scheinen die Recherchen für Wirbel in der Landespolizei zu sorgen. Aus Polizeikreisen heißt es, bei einer Lagebesprechung der Landespolizeidirektion am Montag habe ein Beamter gesagt, die taz würde „Druck auf den Leiter der PI Weimar ausüben“.
Ein Sprecher der Landespolizeidirektion sagte auf Anfrage, die „angesprochenen Sachverhalte mit möglicher strafrechtlicher Relevanz“ würden in Folge der Anfrage an den Bereich Interne Ermittlungen zur Prüfung übergeben. Man bedauere, keine weiteren Auskünfte geben zu können. Sebastian K. selbst nahm zu den Vorwürfen bis Redaktionsschluss keine Stellung. Nach taz-Informationen ist er weiterhin im Dienst, wenn auch in einer anderen Schicht. Aber: auf Streife, mit Dienstwaffe.
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