Fehlbildungen durch Hormonpräparat: Freispruch für Duogynon
Ein britisches Gremium kommt zu dem Ergebnis, dass das ehemalige Schering-Präparat nicht für embryonale Fehlbildungen verantwortlich ist.
Das Hormonpräparat Duogynon der Berliner Pharmafirma Schering ist nicht verantwortlich für die Fehlbildungen, mit denen Hunderte Babys zwischen 1950 und Ende der 1970er Jahre in Großbritannien und Deutschland geboren wurden. Zu diesem Ergebnis kommt ein von der britischen Regierung eingesetztes Expertengremium zur wissenschaftlichen Untersuchung möglicher Ursachen embryonaler Fehlbildungen.
Zwei Jahre lang hatten Mediziner, Biologen, Gesundheitspolitiker des britischen Parlaments und Vertreter der britischen Arzneimittelaufsichtsbehörde alle verfügbaren medizinisch-wissenschaftlichen Studien zum Thema ausgewertet, Zeugen und Sachverständige befragt: „Die Gesamtheit der begutachteten wissenschaftlichen Daten deutet nicht auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Duogynon und Geburtsfehlern hin“, heißt es in dem 144 Seiten starken Abschlussbericht (pdf-Datei), den das Gremium am Mittwoch in London veröffentlichte.
Eltern betroffener Kinder reagierten enttäuscht: „Der Bericht ist eine einzige Vertuschung, er ignoriert wichtige Beweisstücke“, sagte Marie Lyon, Vorsitzende der Association for Children Damaged by Hormone Pregnancy Tests, der BBC.
Der bayerische Grundschullehrer André Sommer, der Geschädigte in Deutschland vertritt, sagte der taz, er habe sich erhofft, dass das Gremium zumindest einen „möglichen Zusammenhang“ zwischen der Einnahme des Medikaments und den Fehlbildungen erkenne. Diese Hoffnung habe sich zerschlagen.
Duogynon, eine Östrogen-Progesteron-Kombination, wurde in Form von Dragees und Spritzen bis in die späten 1970er Jahre in Großbritannien und auch in Deutschland als hormoneller Schwangerschaftstest und zur Behandlung von Menstruationsstörungen eingesetzt. Löste das Medikament bei der Frau keine Regelblutung aus, dann galt diese als schwanger.
Vom Markt genommen
Der Verdacht, dass der starke Hormoncocktail die Organe ungeborener Kinder schwer geschädigt haben könnte, war zuletzt durch interne, über Jahrzehnte geheim gehaltene Schering-Dokumente, unter anderem zu Tierversuchen mit Duogynon, genährt worden, die inzwischen im Landesarchiv Berlin für die Öffentlichkeit einsehbar sind. Das Pharmaunternehmen Bayer als Schering-Nachfolger hat den Zusammenhang zwischen der Medikamenteneinnahme und den Fehlbildungen stets bestritten. Ende der 1970er Jahre wurde das Medikament aus wirtschaftlichen Gründen vom Markt genommen.
Das britische Expertengremium verwies am Mittwoch auf die „methodischen Beschränkungen“ der damaligen Zeit und erklärte, es habe keine Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen dem Präparat und den Geburtsfehlern und Fehlgeburten finden können. Zu einem ähnlichen Ergebnis war 2012 in Deutschland eine – kleinere – retrospektive Fallstudie des Instituts für klinische Pharmakologie der Berliner Charité im Auftrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gekommen.
Das britische Expertengremium empfiehlt nun allen Frauen, die Duogynon in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren eingenommen hatten, einen genetischen Test zu machen, um andere mögliche Ursachen für die Fehlbildungen ihrer Babys abklären zu lassen.
Außerdem fordern die Experten die Einrichtung eines elektronischen Meldesystems, damit künftig eventuell medikamentös bedingte Schädigungen während oder nach der Schwangerschaft frühzeitig erfasst und untersucht werden können.
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