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Fahrradstraßen in Berlins BezirkenAm Ende helfen nur Poller

Bezirke wie Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg treiben den Ausbau von Fahrradstraßen voran. Aber Schilder und Markierungen reichen meist nicht.

„Anlieger frei“ – ein Zusatz mit Folgen Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Während die Umsetzung von Radinfrastruktur an Hauptverkehrsstraßen eher mühsam vorankommt, tut sich was im sogenannten Ergänzungsnetz: Zumindest manche Bezirke treiben die Umgestaltung von Nebenrouten in Fahrradstraßen voran. War hier bislang Friedrichshain-Kreuzberg der große Vorreiter, legt nun auch der Bezirk Mitte beim Tempo zu.

Am Montag veröffentlichte die grüne Verkehrsstadträtin Almut Neumann eine Liste von 24 Strecken, die 2024 zur Fahrradstraße werden könnten. Bei diesem „Maßnahmen-Portfolio“ handelt es sich noch nicht um eine feste Planung – der Bezirk befinde sich „in Klärung“ mit der Senatsverkehrsverwaltung, so Neumann. Wo tatsächlich etwas passiert, sei „von mehreren Faktoren wie dem weiteren Planungsgang und der Finanzierung abhängig“.

Die Stadträtin legt sich aber fest, dass es am Ende 10 Kilometer neue Fahrradstraße sein werden, und bittet AnwohnerInnen um Anregungen. Zu den aufgelisteten Straßen gehören das nördliche und das südliche Ende der Charlottenstraße, deren mittlerer Teil bereits im Zusammenhang mit der zeitweiligen Fußgängerzone in der Friedrichstraße zur Fahrradstraße gemacht wurde. Auch auf der Garten- und der Genthiner Straße, dem Lützow- und dem Nordufer, der Schwedter und der Schillingstraße könnten Fahrradstraßen entstehen.

Die 10 zusätzlichen Kilometer würden den Bestand deutlich ausweiten: Bis das Mobilitätsgesetz 2018 in Kraft trat, gab es rund 17 Kilometer Fahrradstraße in der Stadt, seitdem sind nach Zählung des Vereins Changing Cities ebenso viele hinzugekommen. Laut der von der infraVelo GmbH geführten Übersichtskarte zum Ausbau der Radinfrastruktur wurden in diesem Zeitraum knapp 20 Straßen oder Straßenabschnitte ausgewiesen, dazu gehören bekannte Strecken wie die Kreuzberger Verbindung zwischen Südstern und Mariannenplatz, das Neuköllner Weigandufer oder die Linienstraße in Mitte.

Derzeit in Bau – wobei es oft nur um Beschilderung und Markierung geht – ist ein weiteres Dutzend, darunter auch mit einem Teil der Fasanenstraße das erste neue Projekt in Charlottenburg-Wilmersdorf. Der Umbau des schon älteren, von vielen Autofahrenden aber krass missachteten Abschnitts der Wilmersdorfer Prinzregentenstraße ist vorgesehen, aber noch nicht terminiert.

Parkplätze fallen weg

In Tempelhof-Schöneberg hat die grüne Stadträtin Saskia Ellenbeck gerade die Planung für die Friedenauer Handjerystraße präsentiert: Um dort die vorgeschriebenen Mindestbreiten einzuhalten, die garantieren, dass in beide Richtungen je zwei Räder nebeneinander fahren können, sollen auch Pkw-Stellplätze wegfallen. Außerdem ist vorgesehen, das Parken von Autos an den Kreuzungen einzuschränken, um bessere Sichtbeziehungen und dadurch mehr Sicherheit herzustellen.

Keine spruchreifen Planungen für 2024 gibt es zurzeit in Friedrichshain-Kreuzberg, wo es nach jüngstem Stand nun immerhin schon 5,5 Kilometer Fahrradstraßen gibt. „Die Priorisierung ist noch nicht abgeschlossen“, erklärt Bezirkssprecherin Sara Lühmann. Anzahl und Länge neuer Abschnitte sei stark von der Finanzierung durch die Senatsverkehrsverwaltung abhängig – „und es ist aktuell davon auszugehen, dass aufgrund der geringeren Radverkehrsmittel im kommenden Doppelhaushalt sowie der hohen Vorbelastung der Haushaltstitel durch verschobene Maßnahmen die finanziellen Spielräume nächstes Jahr deutlich geringer sein werden“.

Das Mobilitätsgesetz sieht Fahrradstraßen ausdrücklich als Lösung im Ergänzungsnetz vor; unumstritten sind sie nicht. Viele NutzerInnen beklagen, dass sie mit Autos verstopft sind. „Es gibt keine Fahrradstraße“, schreibt ein X-Nutzer, „sondern eine normale Straße, an deren Beginn das Witzschild ‚Fahrradstraße‘ mit dem Zusatz ‚alle dürfen rein‘ steht.“

Tatsächlich herrscht laut Verkehrsverwaltung bis auf punktuelle Ausnahmen in allen Fahrradstraßen die Zusatzregelung „Anlieger frei“. Die gilt nicht nur für AnwohnerInnen, sondern auch für BesucherInnen oder KundInnen. Einfaches Durchfahren ist dagegen verboten, wird in der Praxis aber höchst selten geahndet.

Wenn Google Maps hilft

Changing-Cities-Sprecherin Ragnhild Sørensen bestätigt das Problem. Die Ausschilderung bewirke anfangs wenig, erst wenn Google Maps die Fahrradstraße registriert habe, nehme der Kfz-Verkehr spürbar ab. Dass sie von der Polizei wenig zu befürchten hätten, lernten die motorisierten FahrerInnen aber ebenso schnell. „Helfen tun dann nur physische Barrieren, die den Durchgangsverkehr ausbremsen.“

Sørensen weist darauf hin, wie unterschiedlich die Bezirke in Sachen Fahrradstraßen vorgehen. „Nur dort, wo willige StadträtInnen und Pla­ne­r*in­nen sind, geht es voran.“ Marzahn-Hellersdorf, Reinickendorf und Spandau hätten noch keine einzige ausgewiesen. „Ich fürchte, wir bekommen eine neue Berlin-Teilung: in fahrradfreundliche und fahrradunfreundliche Bezirke.“

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10 Kommentare

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  • @LORD JIM

    Sie armer, armer Autofahrer.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Ich kann in Radstraßen keinen Gewinn sehen. Viele Radfahrer interpretieren solche Straßen als eine Art Spielstraße für Radfahrer, in denen man sich maximal ausbreiten kann, ohne jede Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer. Sobald Autos auf einer Straße sind, halten sich die meisten Leute zumindest von sich aus rechts, abgesehen vielleicht von einigen selbsternannten Verkehrserziehern.

    Ich halte es auch für zweifelhaft, ob Menschen, die sich im gegenwärtigen Umfeld unsicher fühlen, überhaupt in der Stadt fahren sollten, Fußgänger und andere Fahrradfahrer sind ebenfalls Gefahrenquellen, die noch weitaus schwerer zu berechnen sind als Autos, insbesondere wenn die Dichte des Radverkehrs noch deutlich ansteigt.

    • @14231 (Profil gelöscht):

      Entschuldigen Sie, aber in Fahrradstraßen dürfen sich Radfahrerende „ausbreiten“, wie Sie es ausdrücken. Autofahrende sind nur zu Gast (,wenn Autoverkehr zugelassen ist), sie müssen sich dem Tempo des Radverkehrs anpassen und Radfahrende dürfen auch nebeneinander fahren. Autofahrenden muss also kein Platz zum Überholen gemacht werden. Da es sich meist um kleine Nebenstraßen handelt, wären die 1,5 m Überholabstand ohnehin vom Autoverkehr in 95 Prozent der Fälle nicht einzuhalten und schon deswegen herrscht dann Überholverbot.

    • @14231 (Profil gelöscht):

      Als Anwohner einer solchen Straße kann ich ihren Eindruck bestätigen. Einige Radfahrer scheinen zu glauben, dass sie auf einer Fahrradstraße alles dürfen. Wenn zB ein Auto gerade einparkt und rangiert, passiert es immer wieder, dass ein Radfahrer mit rasendem Tempo auf dieses auch von weitem gut erkennbare Hindernis zufährt und nicht das kleinste bisschen abbremst. Gerne wird dann noch der Autofahrer angebrüllt, wenn der Radler mit unvermindertem Tempo um das Auto herumschlingert. Dabei ist doch völlig klar, was in so einem Fall zu tun ist. Man bremst, hält und lässt den rangierenden Fahrer ein- oder ausparken. Da sind die Regeln für Radfahrer exakt dieselben wie für Autofahrer. Vom Umhang mit Fußgängern an den Zebrastreifen will ich gar nicht erst anfangen…

  • Exorbitante Parkgebühren reichen noch nicht? Nun sollen Autofahrer auch noch auf diese Weise ausgesperrt werden.



    Schon mal überlegt, dass Autofahrer sich andere Lokationen suchen und dort ihr Geld in Cafes, Restaurants, etc. ausgeben? Ich tue das mittlerweile.



    Nur Sonntags wage ich mich noch in die Stadt - z.B. Filmkunst 66 und Cafe Bleibtreu.

    • @Lord Jim:

      Na prima, ein Auto weniger in der Stadt!

  • Vor allem wäre es nötig, Poller auch zwischen Rad- und Fußweg zu errichten. Oder noch besser: Leitplanken. Zu viele Radfahrer in Berlin gehen leider davon aus, dass sie frei zwischen Rad- und Fußweg wählen können, oder dass ihnen das Befahren des Fußweges zustünde, wenn kein Radweg vorhanden oder dieser blockiert ist. Oder wenn die Straße mit Kopfsteinen gepflastert ist.

    • @Suryo:

      Naja.... dieses Fahrradfahrerbashing ist doch nun wirklich daneben.

      Berliner Autofahrer gehen auch oft davon aus, dass die Busspur ein Parkplatz ist. Oder parken gerne auf Behindertenparkplätzen. Zweite Reihe, weil der Lieferant oder der Krankenwagen das doch auch so macht.

      Und wenn es ums Fahren und nicht ums Parken geht will ich garnicht erst anfangen. Durchfahrt verboten, aber who cares?

      • @Troll Eulenspiegel:

        Ich habe noch nie erlebt, dass ein Autofahrer den Gehweg benutzt hat, weil ihm der Straßenbelag zu holprig war.

        Ich bin passionierter Fußgänger (in Berlin jedenfalls), und ich habe es satt, immer am Anfang der verkehrstechnischen und -politischen Nahrungskette zu stehen. Wer denkt sich z.B. so einen Schwachsinn aus wie im Tiergarten an der Spree, wo der Fußweg ZWISCHEN Radweg und Autostraße verläuft? Warum muss man, wenn man an der Gedenkstätte Berliner Mauer aus der Tram steigt, oft auf der Straße warten, bis die letzten Radfahrer im Affenzahn den Berg heruntergerast sind, bis man von der gefährlichen Straße auf den Bürgersteig "darf"? Ich plädiere dafür, die Regeln konsequent an den Schwächsten, d.h. den Fußgängern, auszurichten. Und das heißt auch, dass in bestimmten Situationen eben auch ein Radfahrer mal anhalten, Kopfsteinpflaster aushalten oder eben schieben muss. Das wird sowieso immer wichtiger, weil Räder eben auch immer schwerer und voluminöser werden - ein Lastenfahrrad ist nun mal ungefähr so groß wie ein Smart und ein E-Bike ist eben nicht Muttis Drahtesel. Und erst letzte Woche wurde bekannt, dass bei Unfällen zwischen Fußgängern und Radfahrern mehrheitlich letztere schuld haben und überdies viel öfter die Fußgänger dabei verletzt oder sogar getötet werden. PS: Ja, ich weiß, dass nicht ALLE Radfahrer...aber eben, zumindest in Berlin, doch recht viele.

  • Nice Post