Fahrradfahren auf der Autospur: Anwalt klagt sich auf die Straße
Ein Berliner Anwalt hat ein ganz spezielles Feindbild gefunden: die Radwegbenutzungspflicht. Er klagt die Schilder einzeln weg.
Rote Outdoor-Jacke, neongelbes Schutz-Band am Hosenbein, schwarzer Fahrradhelm – Volkmann trägt die Insignien überzeugter Stadtverkehrs-Radfahrer. „Ich fahre gern schnell“, sagt er. „Dieses Gegurke“ mit dem Hollandrad, das sei nichts seins. „Ich schmeiß‘ mich gerne in den Verkehr.“ Einen Führerschein hat er gar nicht erst gemacht.
Die Straßenverkehrsordnung listet das runde, blaue Schild als Zeichen Nr. 237 auf. Es verbietet Autos oder Motorradfahrern, auf dem Radweg zu fahren. Umgekehrt gebietet es aber auch: “Der Radverkehr darf nicht die Fahrbahn, sondern muss den Radweg benutzen.“
Seit der Fahrradnovelle von 1997 dürfen die blauen Schilder nur noch aufgehängt werden, wenn „aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt“ – die Stelle, an der das Schild steht, muss also besonders gefährlich sein. So hat es das Bundesverwaltungsgericht 2009 auf höchster Ebene bestätigt.
Und da Volkmann nicht nur Radfahrer, sondern auch durch und durch Jurist ist, prüft er nun bei jedem blauen Schild, dem er begegnet, ob es diese Voraussetzungen erfüllt. Ist er der Ansicht, dass das nicht der Fall ist, erhebt er bei der Verkehrslenkung Widerspruch. Im Zweifel zieht er vor Gericht. Seit 1998 zählt Volkmann 82 Widersprüche und 47 Klagen. In zwei Drittel der Verfahren war er nach eigenen Angaben erfolgreich.
Volkmann klagt im eigenen Namen, Mandanten gewinnt er mit dem Thema nicht. „Wer bezahlt denn einen Anwalt dafür, dass er gegen ein Radschild vorgeht“, sagt er selbst. Das sei nur etwas für Freaks, für Paradiesvögel. Ob ihn das selbst auch zum Freak mache? Volkmann zuckt mit den Achseln, verzieht den Mund. „Ja, sicher, klar.“
Von Dritten habe er gehört, dass die Mitarbeiter der Verkehrslenkung ihn für einen Spinner halten. Das ehre ihn, sagt er. Für einen Spinner halten sie ihn dort aber gar nicht. Seine Fans sind sie allerdings auch nicht unbedingt. Volkmann treibe die Verwaltung an, sagt die Sprecherin des Ressorts für Stadtentwicklung in Berlin, Petra Rohland. Die Urteile verschöben aber auch Prioritäten. Eine Änderung an einer anderen Kreuzung, die vielleicht wichtiger sei, müsse dann hintanstehen.
Telefoniert haben die Kontrahenten noch nie miteinander. Die Kommunikation laufe ausschließlich schriftlich, sagt Volkmann. Damit er vor Gericht auch etwas vorlegen könne. Dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) gefällt diese Strategie nicht: Besser sei es, direkt mit der Verkehrsbehörde zu sprechen, heißt es bei der Pressestelle. Denn selbst durch ein gewonnenes Gerichtsverfahren, entstehe kein Meter guter Radweg.
Aber auch Volkmann sagt, er wolle etwas erreichen. Ob ihm das mit seinen Klagen gelungen ist? „Nicht so richtig“, räumt er selbst ein. Behördenintern habe er dem Radverkehr vielleicht etwas mehr Bedeutung verschafft. Die Verwaltung gibt sich in der Tat Radfahrer-freundlich: “Uns ist es auch wichtig, mehr Radwege auf die Straße zu bringen“, sagt Sprecherin Rohland. Der Chef der Verkehrslenkung fahre mit dem Rad ins Büro. Und auch unter den Mitarbeitern gebe es viele passionierte Radler.
Er suche nicht bewusst nach Schildern, erläutert Volkmann. Vielmehr finde er sie eher zufällig. So hat er die Schilder, gegen die er aktuell klagt, bei einem Ausflug ins Grüne in Berlin-Köpenick entdeckt. Die Rechtsstreitigkeiten erfüllten ihn mit Leidenschaft und solange das der Fall ist, will er weitermachen. Volkmann tritt kräftig in die Pedale, rauscht über die nächste Ampel und verschwindet im Stadtverkehr. Auf der Autospur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland