Extremwetter in Afghanistan: Dauerdürre und Fluten
Schlimme Starkregen sind Auswirkungen von Afghanistans Klimakrise. Weil sich die Taliban selbst isoliert haben, fehlen Mittel für Vorsorgemaßnahmen.
Die Behörden zahlten betroffenen Familien erste Hilfen aus und koordinieren sich mit der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) und Hilfsorganisationen.
Die erste Starkregenwelle kam Sonntag früh gegen 2 Uhr. In den Berggebieten um die Hauptstadt Kabul brachen über schlafenden Menschen Häuser zusammen, die auf dem Land meist aus Lehmziegeln bestehen und flutanfällig sind. Am Dienstag und Mittwoch zog die zweite Welle durch 22 der 33 Provinzen des Landes. Neue Opferzahlen liegen noch nicht vor. Gleichzeitig haben Teile Afghanistans wie derzeit viele andere Länder mit außergewöhnlicher Hitze zu kämpfen.
Der jetzige Starkregen ist Folge der klimawandelbedingten Ausdehnung der Monsungebiete Südasiens tief nach Afghanistan hinein. Die Schlammfluten, die sich in zuvor ausgetrockneten Flussbetten bilden, sind Resultat von Dürren, die in Stärke und Frequenz zunehmen.
Plus 1,8 Grad seit 1950
Laut der NGO Germanwatch gehörte Afghanistan zwischen 2000 und 2019 zu den zwanzig am meisten von Klimaextremen betroffenen Ländern. Rohullah Amin, Chef der Abteilung Klimawandel der Nationalen Umweltschutzbehörde NEPA, sagte, die Durchschnittstemperatur im Land habe sich seit 1950 um 1,8 Grad erhöht.
2023 ist für Afghanistan nun das dritte Dürrejahr in Folge, was im Landessüden zu neuen Binnenflüchtlingsbewegungen geführt hat. In den vergangenen fünf Jahren sank der Grundwasserspiegel landesweit durchschnittlich um elf Meter, meldet die NEPA. Sie gehört zu den wenigen seit 2001 mit Hilfe des Westens neu aufgebauten Institutionen, die die Taliban nicht aufgelöst haben – im Gegensatz etwa zur Menschenrechtskommission.
Die aktuellen Überschwemmungen werden auch durch jahrzehntelange kriegsbedingte Entwaldung begünstigt. Nur noch 2,1 Prozent der Fläche Afghanistans sind bewaldet, in den 1970ern waren es noch 4,5 Prozent. Die Holzmafia treibt Raubbau mit den besonders wertvollen letzten Zedernwäldern des Landes, das war schon unter der westlich gestützten Regierung so und setzt sich jetzt unter den Taliban fort. Das Holz ist auf Baustellen in Pakistan und am Golf begehrt.
Neue Rahmenbedingungen
Der Klimawandel verändert Afghanistan schon seit Jahrzehnten. Die Kriege der letzten 40 Jahre überschatteten aber die Folgen. Wettermuster änderten sich fundamental. Bis in die 1980er-Jahre kannten die bis dahin meist auf dem Land lebenden Afghan*innen zwei regelmäßig auftretende Regenzeiten pro Jahr, etwa zwei Wochen im Frühling und eine Woche im Herbst. Darauf hatte sich die Landwirtschaft seit Jahrhunderten eingestellt.
Zusammen mit dem Schmelzwasser der – jetzt schrumpfenden – Gletscher in Hindukusch und Pamir, die in der warmen Jahreszeit Bäche, Flüsse und unterirdische Bewässerungssysteme, sogenannte Karese, speisten, reichte das für den Anbau der Grundnahrungsmittel Weizen und Reis. Wegen des Krieges verfielen viele Karese, die Dörfer und Talschaften traditionell in Gemeinschaftsarbeit in Stand hielten. Die Agrarproduktion ging zurück, während die Bevölkerung stark wuchs.
Wegen des Krieges konnte sich kaum eine Umweltbewegung bilden. Vor 2021 beteiligten sich kleine Gruppen von Jugendlichen an der weltweiten Klimastreikbewegung. Aber auf lokaler Ebene herrscht wegen der offenbaren Schäden durchaus Umweltbewusstsein. Im Distrikt Dschaghori baut die Bevölkerung in Eigeninitiative gerade einen Damm für Regenwasser. In der Provinz Paktia sprachen Stammesräte ein Abholzungsverbot aus.
Die Taliban wollen mit der UNO „technisch“ bei der Bekämpfung von Klimaschäden kooperieren. Sie organisieren Wiederaufforstungskampagnen, nicht ohne Seitenhieb auf das westliche Militär, das Wälder und Obstgärten zerstörte, die Aufständischen als Deckung dienten. Und sie beschwerten sich, dass sie im Dezember nicht zur Umweltkonferenz COP27 nach Ägypten eingeladen wurden.
Immerhin habe Afghanistan die Klimaabkommen von Tokio und Paris unterzeichnet. Das ist ein Zeichen, dass sie sich daran gebunden fühlen und auf ausländische Hilfe hoffen. Nach der Machtübernahme der Taliban hat der Westen seine Entwicklungshilfe jedoch eingestellt – und damit auch alle Klimaprojekte.
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