Expertenbericht über Taliban: Ein Massengrab für Träume
Die Taliban üben eine Art „Gender-Apartheid“ aus – zu diesem Schluss kommt eine UN-Arbeitsgruppe. Sie stellte dazu einen Expertenbericht vor.
So steht es in einem gemeinsamen Report von Richard Bennett, Menschenrechtssonderberichterstatter zu Afghanistan, und der von der Mexikanerin Dorothy Estrada-Tanck geleiteten UN-Arbeitsgruppe gegen Frauendiskriminierung. Sie greifen damit eine Forderung vieler afghanischer und internationaler Frauenrechtler*innen auf.
Die Taliban haben Afghanistan „in ein Massengrab für die Ambitionen, Träume und das Potenzial afghanischer Frauen“ verwandelt, bestätige Shaharzad Akbar, bis 2021 Vorsitzende der von den Taliban aufgelösten Unabhängigen Menschenrechtskommission Afghanistans und in Genf ebenfalls auf dem Podium. Im Bericht heißt es, daraus resultiere massenhaftes „grausames physisches und psychologisches Leiden“. Akute Massenarmut verschlimmere die Situation der Afghan*innen noch.
„Gender-Apartheid“ ein Begriff der 1990er
Den Begriff Gender-Apartheid für Afghanistan entwickelten Aktivist*innen Mitte der 1990er Jahre, während des ersten Taliban-Regimes, in Analogie zum von Weißen dominierten Regime in Südafrika. Eine darauf beruhende weltweite Kampagne brachte es 1994 zu Fall. Ähnliches erhoffen sich jetzt die Aktivist*innen für Afghanistan.
Bisher hat die UNO den neuen Begriff aber nicht adoptiert. Die Expert*innen schlagen jetzt vor, ihn als „internationales Verbrechen“ einzustufen. Laut Bericht würde das die UN-Mitgliedstaaten verpflichten, „effektive Maßnahmen zu ergreifen, diese Praxis zu beenden“.
Bei der nachfolgenden Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf gab es breite Unterstützung dafür. Südafrikas Vertreterin Bronwen Levy war besonders deutlich. Sie rief die Staaten auf, genauso gegen Gender-Apartheid aktiv zu werden, „wie sie Südafrikas Kampf gegen Rassenapartheid“ unterstützt hätten.
Länder von Costa Rica bis Montenegro, auch Deutschland, verurteilten die „Gender-Apartheid“ beziehungsweise „Unterdrückung nach Gender-Kriterien“ der Taliban. Griechenland nannte das ein Verbrechen gemäß dem Rom-Statut des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Andere Länder vermieden einen direkten Bezug auf diese Begriffe, kritisierten aber die Taliban-Politik.
Die Taliban üben Druck auf UN und NGOs aus
Die Taliban verurteilten den Bericht, der ihnen offensichtlich vorab zugegangen war, bereits am Freitag. Er sei „ungerecht und unbegründet“ und beachte „die kulturellen und islamischen Werte Afghanistans“ nicht. Dazu sagte Indonesiens Vertreter in Genf, „kulturelle und religiöse Sichtweisen sollten kein Vorwand für Frauenrechtsverletzungen sein“. Saudi-Arabien, das sich als Zentrum der islamischen Welt sieht, erklärte, das Verbot von Hochschulbildung für Frauen gehe „gegen alle unseren religiösen Edikte“.
Unterdessen ziehen die Taliban die Verbotsschraube weiter an. Gegenwärtig üben sie Druck auf UN und ausländische NGOs aus, sich generell aus dem Bildungssektor – nicht nur für Mädchen – zurückzuziehen. Sie scheinen wie die Vorgängerregierung selbst die Kontrolle übernehmen zu wollen. Allerdings gelang das trotz Milliardenzuschüssen nie.
Bei ihrem Sturz 2021 hatte immer noch jede zweite Schule im Land kein Gebäude. 500.000 Kinder, darunter 300.000 Mädchen, nehmen an Unicef-finanziertem und von NGOs organisiertem sogenannten Community Schooling in Gebieten teil, wo es an Schulen fehlt. Offenbar wird verhandelt, dass wenigstens afghanische NGOs solche Kurse weiterführen können.
Zuvor gingen die Taliban in Kabul und mehreren Provinzen gegen außerschulische Kurse für ältere Mädchen vor, die offiziell bereits untersagt waren, aber noch geduldet worden waren. Das Hochschulministerium warnte Ende Mai alle Universitätslehrkräfte, in ihren Forschungspapieren das Taliban-Regime zu kritisieren.
Andererseits konnte der Norwegische Flüchtlingsrat, eine der größten NGOs im Lande, seine Arbeit mit und für Frauen und Mädchen in der De-facto-Taliban-Hauptstadt Kandahar und einigen anderen Provinzen wieder aufnehmen. Dem waren Direktgespräche mit Taliban-Offiziellen in Kandahar vorausgegangen. Und einige Taliban-Behörden spüren bereits den Mangel an weiblichen Fachkräften. Der Chef der Gesundheitsbehörde der Provinz Logar, südlich von Kabul, beklagte, dass Hebammen fehlten.
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